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AAAKöbler, Gerhard, Bildung in Bismarcks Gedanken und Erinnerungen, 2016

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Abs. 5 [1-2] welche die Pflege des nationalen Gefühls als ihren Zweck bezeichnete. Aber bei persönlicher Bekanntschaft mit ihren Mitgliedern mißfielen mir ihre Weigerung, Satisfaction zu geben, und ihr Mangel an äußerlicher Erziehung und an Formen der guten Gesellschaft, bei näherer Bekanntschaft auch die Extravaganz ihrer politischen Auffassungen, die auf einem Mangel an Bildung und an Kenntniß der vorhandenen, historisch gewordenen Lebensverhältnisse beruhte, von denen ich bei meinen siebzehn Jahren mehr zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte als die meisten jener durchschnittlich ältern Studenten. Ich hatte den Eindruck einer Verbindung von Utopie und Mangel an Erziehung. Gleichwohl bewahrte ich innerlich meine nationalen Empfindungen und den Glauben, daß die Entwicklung der nächsten Zukunft uns zur deutschen Einheit führen werde; ich ging mit meinem amerikanischen Freunde Coffin die Wette darauf ein, daß dieses Ziel in zwanzig Jahren erreicht sein werde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 25 Die Neigung zu befremdendem Eingreifen in die verschiedensten Lebensverhältnisse war unter dem damaligen väterlichen Regimente vielleicht größer als heut, aber die Organe zum Eingreifen waren weniger zahlreich und standen an Bildung und Erziehung höher als ein Theil der heutigen. Die Beamten der Königlichen hochlöblichen Regirung waren ehrliche, studirte und gut erzogne Beamte, aber ihre wohlwollende Thätigkeit fand nicht immer Anerkennung, weil sie sich ohne locale Sachkunde auf Details zersplitterte, in Betreff deren die Ansichten des gelehrten Stadtbewohners am grünen Tische nicht immer der Kritik des bäuerlichen gesunden Menschenverstandes überlegen waren. Die Mitglieder der Regirungs-Collegien (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 30 [1-13] Gerichten den starken Parteiströmungen leichter und hingebender unterliegen als Verwaltungsbeamte; und es ist auch kein psychologischer Grund dafür erfindlich, daß bei gleicher Bildung die letztern a priori für weniger gerecht und gewissenhaft in ihren amtlichen Entscheidungen gehalten werden sollten als die erstern. Wohl aber nehme ich an, daß die amtlichen Entschließungen an Ehrlichkeit und Angemessenheit dadurch nicht gewinnen, daß sie collegialisch gefaßt werden; abgesehn davon, daß Arithmetik und Zufall bei dem Majoritätsvotum an die Stelle logischer Begründung treten, geht das Gefühl persönlicher Verantwortlichkeit, in welcher die wesentliche Bürgschaft für die Gewissenhaftigkeit der Entscheidung liegt, sofort verloren, wenn diese durch anonyme Majoritäten erfolgt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 112 [1-35] dessen Umfang nie etwas verheimlicht werden kann. Es ist natürlich, daß die Städter dahin streben, den Steuererheber von der Fabrikindustrie, von dem städtischen Häuserwerth, von dem Rentier und Capitalisten so fern als möglich zu halten, und ihn lieber auf Acker und Wiesen und deren Producte anzuweisen. Ein Anfang ist damit gemacht, daß in den bisher mahlsteuerpflichtigen Städten die untersten Stufen von der neuen directen Steuer frei bleiben, während sie auf dem Lande nach wie vor Klassensteuer zahlen. Wir hören ferner von Maßregeln zur Unterstützung der Industrie auf Kosten der Staatskassen, aber wir hören nicht davon, daß man dem Landmanne zu Hülfe kommen wolle, der wegen der kriegerischen Aussichten auf der Seeseite seine Producte nicht verwerthen kann, aber der durch Kündigung von Capitalien in dieser geldarmen Zeit seinen Hof zu verkaufen genöthigt wird. Ebenso hören wir mit Bezug auf indirecte Besteuerung mehr von dem Schutzzollsystem zu Gunsten inländischer Fabrication und Gewerbe sprechen, als von dem für die ackerbautreibende Bevölkerung nöthigen freien Handel. Es ist wie gesagt natürlich, daß ein Theil der städtischen Bevölkerung mit Rücksicht auf die beregten Streitpunkte kein Mittel scheut, bei den bevorstehenden Wahlen das eigne Interesse zur Geltung zu bringen und die Vertretung der Landbewohner zu schwächen. Ein sehr wirksamer Hebel zu letzterem Zweck liegt in den Bestrebungen, der ländlichen Bevölkerung diejenigen ihrer Mitglieder zu verdächtigen, deren Bildung und Intelligenz sie befähigen könnte, die Interessen des Grund und Bodens auf der Nationalversammlung mit Erfolg zu vertreten; man bemüht sich daher, eine Mißstimmung gegen die Rittergutsbesitzer künstlich zu befördern, indem man meint, wenn man diese Klasse unschädlich macht, so müssen die Landbewohner entweder Advokaten oder andre Städter wählen, die nach den ländlichen Interessen nicht viel fragen, oder es kommen meist schlichte Landleute, und die denkt man durch die Beredsamkeit und kluge Politik der Parteiführer in der Nationalversammlung schon unvermerkt (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 190 Die Entwicklung der Dinge bot keine Gelegenheit, die Berliner Versammlung für die deutsche Sache nutzbar zu machen, während ihre Uebergriffe wuchsen; es reifte daher der Gedanke, sie nach einem andern Orte zu verlegen, um ihre Mitglieder dem Drucke der Einschüchterung zu entziehn, eventuell sie aufzulösen. Damit steigerte sich die Schwierigkeit, ein Ministerium zu Stande zu bringen, welches diese Maßregel durchzuführen übernehmen würde. Schon seit der Eröffnung der Versammlung war es dem Könige nicht leicht geworden, überhaupt Minister zu finden, besonders aber solche, welche auf seine sich nicht immer gleichbleibenden Ansichten gefügig eingingen, und deren furchtlose Festigkeit zugleich die Bürgschaft gewährte, daß sie bei einer entscheidenden Wendung nicht versagen würden. Es sind mir aus dem Frühjahre mehre verfehlte Versuche erinnerlich: Georg von Vincke antwortete auf meine Sondirung, er sei ein Mann der rothen Erde, zu Kritik und Opposition und nicht zu einer Ministerrolle veranlagt. Beckerath wollte die Bildung eines Ministeriums nur übernehmen, wenn die äußerste Rechte sich ihm unbedingt hingebe und ihm den König sicher mache. Männer, welche in der Nationalversammlung Einfluß hatten, wollten sich die Aussicht nicht verderben, künftig, nach Herstellung geordneter Zustände, constitutionelle Majoritätsminister zu werden und zu bleiben. Ich begegnete unter anderm bei Harkort, der als Handelsminister in das Auge gefaßt war, der Meinung, daß die Herstellung der Ordnung durch ein Fachministerium von Beamten und Militärs bewirkt werden müsse, ehe verfassungstreue Minister die Geschäfte übernehmen könnten; später sei man bereit. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 272 Ich fand in Frankfurt zwei preußische Commissarien aus der Zeit des Interim, den Oberpräsidenten von Boetticher, dessen Sohn später als Staatssekretär und Minister mein Beistand sein sollte, und den General von Peucker, der mir Gelegenheit zu meinen ersten Studien über das Ordenswesen gab. Er war ein gescheidter, tapferer Offizier von hoher wissenschaftlicher Bildung, die er später als Generalinspecteur des Militär-Erziehungs- und Bildungswesens verwerthen konnte. Im Jahre 1812 in dem York'schen Corps dienend, hatte er durch Diebstahl seinen Mantel eingebüßt, den Rückzug in der knappen Uniform machen müssen, sich die Zehen erfroren und durch die Kälte anderweitige Schäden erlitten. Trotz seiner äußerlichen Unschönheit gewann dieser kluge und tapfere Offizier die Hand einer hübschen Gräfin Schulenburg, durch welche später das reiche Erbe des Hauses Schenck von Flechtingen in der Altmark an seinen Sohn gelangte. In merkwürdigem Contrast mit seiner geistigen Bedeutung stand seine Schwäche für Aeußerlichkeiten, die den Berliner Jargon um einen Ausdruck bereicherte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 422 [1-124] befreundeten Höfen gehalten, jedes verstimmende Detail nach Hause zu melden; namentlich als ich in Petersburg mit einem Vertrauen beehrt wurde, welches ich fremden Diplomaten in Berlin zu gewähren für bedenklich gehalten haben würde. Jede zur Erregung von Verstimmung zwischen uns und Rußland geeignete Meldung würde bei der damals und in der Regel antirussischen Politik der Königin zur Lockerung unsrer russischen Beziehungen ausgenutzt worden sein, sei es aus Abneigung gegen Rußland und aus vorübergehenden Popularitätsrücksichten, sei es aus Wohlwollen für England und in der Voraussetzung, daß Wohlwollen für England und selbst für Frankreich einen höhern Grad von Civilisation und Bildung anzeige als Wohlwollen für Rußland. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 441 1) Es handelte sich um Meinungsverschiedenheiten in der Frage über die Bildung der ersten Kammer. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 526 [1-154] Der Kaiser, den ich bei meiner damaligen Anwesenheit in Paris zum ersten Male sah, hat mir bei verschiedenen Besprechungen damals nur in allgemeinen Worten seinen Wunsch und seine Absicht im Sinne einer französisch-preußischen Intimität zu erkennen gegeben. Er sprach davon, daß diese beiden benachbarten Staaten, die vermöge ihrer Bildung und ihrer Einrichtungen an der Spitze der Civilisation ständen, auf einander angewiesen seien. Eine Neigung, Beschwerden, die durch unsre Verweigerung des Anschlusses an die Westmächte hervorgerufen wären, mir gegenüber zum Ausdruck zu bringen, stand nicht im Vordergrunde. Ich hatte das Gefühl, daß der Druck, den England und Oestreich in Berlin und Frankfurt ausübten, um uns zu Kriegsdiensten im westmächtlichen Lager zu nöthigen, sehr viel stärker, man könnte sagen, leidenschaftlicher und gröber war, als die in wohlwollender Form mir kund gegebenen Wünsche und Versprechungen, mit denen der Kaiser unsre Verständigung speciell mit Frankreich befürwortete. Er war für unsre Sünden gegen die westmächtliche Politik viel nachsichtiger, als England und Oestreich. Er sprach nie Deutsch mit mir, auch später nicht. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 738 [1-219] und ausgenutzt hätte, was ja möglich war ohne weitre Repressionen derart, wie Oestreich sie in Prag und Wien durch Windischgrätz und in Ungarn durch russische Hülfe zu bewirken genöthigt war. In der Petersburger Gesellschaft ließen sich zu meiner Zeit drei Generationen unterscheiden. Die vornehmste, die europäisch und classisch gebildeten Grands Seigneurs aus der Regirungszeit Alexanders I., war im Aussterben. Zu ihr konnte man noch rechnen Mentschikow, Woronzow, Bludow, Nesselrode und, was Geist und Bildung betrifft, Gortschakow, dessen Niveau durch seine übertriebene Eitelkeit etwas herabgedrückt war im Vergleich mit den übrigen Genannten, Leuten, die classisch gebildet waren, gut und geläufig nicht nur französisch, sondern auch deutsch sprachen und der crême europäischer Gesittung angehörten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 739 Die zweite Generation, die mit dem Kaiser Nicolaus gleichaltrig war oder doch seinen Stempel trug, pflegte sich in der Unterhaltung auf Hofangelegenheiten, Theater, Avancement und militärische Erlebnisse zu beschränken. Unter ihnen sind als der ältern Kategorie geistig näher stehende Ausnahmen zu nennen der alte Fürst Orlow, hervorragend an Charakter, Höflichkeit und Zuverlässigkeit für uns; der Graf Adlerberg Vater und sein Sohn, der nachherige Hofmeister, mit Peter Schuwalow der einsichtigste Kopf, mit dem ich dort in Beziehungen gekommen bin und dem nur Arbeitsamkeit fehlte, um eine leitende Rolle zu spielen; der Fürst Suworow, der wohlwollendste für uns Deutsche, bei dem der russische General nicolaitischer Tradition stark, aber nicht unangenehm, mit burschikosen Reminiscenzen deutscher Universitäten versetzt war; mit ihm dauernd im Streit und doch in gewisser Freundschaft Tschewkin, der Eisenbahn-General, von einer Schärfe und Feinheit des Verständnisses, wie sie bei Verwachsenen mit der ihnen eigenthümlichen klugen Kopfbildung nicht selten gefunden wird; endlich der Baron Peter von Meyendorff, für mich die sympathischste Erscheinung unter den ältern Politikern, früher Gesandter in Berlin, der nach seiner Bildung und der Feinheit seiner Formen mehr dem (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 748 [1-223]in guten Manieren und gesellschaftlichem Tone die jüngere zeitgenössische Generation zurück stand gegen die vorhergehende des Kaisers Nicolaus und beide wieder in europäischer Bildung und Gesammterziehung gegen die alten Herrn aus der Zeit Alexanders I. Dessenungeachtet blieb innerhalb der Hofkreise und der "Gesellschaft" der vollendete gute Ton in Geltung und in den Häusern der Aristokratie, namentlich so weit in diesen die Herrschaft der Damen reichte. Aber die Höflichkeit der Formen verminderte sich erheblich, wenn man mit jüngern Herrn in Situationen gerieth, welche nicht durch den Einfluß des Hofes oder vornehmer Frauen controllirt waren. Ich will nicht entscheiden, wie weit das Wahrgenommne aus einer socialen Reaction der jüngern Gesellschaftsschicht gegen die früher wirksam gewesenen deutschen Einflüsse oder aus einem Sinken der Erziehung in der jüngern russischen Gesellschaft seit der Epoche des Kaisers Alexander I. zu erklären ist, vielleicht auch aus der Contagion, welche die sociale Entwicklung der Pariser Kreise auf die der höhern russischen Gesellschaft auszuüben pflegt. Gute Manieren und vollkommne Höflichkeit sind in den herrschenden Kreisen von Frankreich außerhalb des Faubourg St. Germain heut nicht mehr so verbreitet, wie es früher der Fall war, und wie ich sie in Berührung mit ältern Franzosen und mit französischen und noch gewinnender bei russischen Damen jeden Alters kennen gelernt habe. Da übrigens meine Stellung in Petersburg mich nicht zu einem intimen Verkehr mit der jüngsten erwachsenen Generation nöthigte, so habe ich von meinem dortigen Aufenthalt nur die angenehme Erinnerung behalten, welche ich der Liebenswürdigkeit des Hofes, der ältern Herrn und der Damen der Gesellschaft verdanke. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 95 [2-29] nicht in dem drohenden Sinne, in welchem Prinz Friedrich von Hessen zwei Jahre später mir dieselben Worte sagte, sondern als Ausdruck seiner Unentschiedenheit. Wiedergesehn habe ich den Erbprinzen erst am Tage nach der Schlacht von Sedan in bairischer Generalsuniform. Nachdem am 30. October 1864 der Friede mit Dänemark geschlossen war, wurden die Bedingungen formulirt, unter denen wir die Bildung eines neuen Staates Schleswig-Holstein nicht als eine Gefahr für die Interessen Preußens und Deutschlands ansehn würden. Unter dem 22. Februar. 1865 wurden sie nach Wien mitgetheilt. Sie deckten sich mit den vom Kronprinzen empfohlnen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 148 [2-45] sollte an die Stelle Europas gesetzt werden, welche der östreichische Staat von Tyrol bis zur Bukowina bisher ausfüllt? Neue Bildungen auf dieser Fläche könnten nur dauernd revolutionärer Natur sein. Deutsch-Oestreich könnten wir weder ganz, noch theilweise brauchen, eine Stärkung des preußischen Staates durch Erwerbung von Provinzen wie Oestreichisch-Schlesien und Stücken von Böhmen nicht gewinnen, eine Verschmelzung des deutschen Oestreichs mit Preußen würde nicht erfolgen, Wien als ein Zubehör von Berlin aus nicht zu regiren sein. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 558 Der böse Traum, aus dem Eure Majestät nervös und agitirt erwachten, kann doch nur so weit in Erfüllung gehn, daß wir noch manche stürmische und lärmende Parlamentssitzung haben werden, durch welche die Parlamente ihr Ansehn leider untergraben und die Staatsgeschäfte hemmen; aber Eurer Majestät Gegenwart dabei ist nicht möglich, und ich halte dergleichen Erscheinungen wie die letzten Reichstagssitzungen zwar für bedauerlich als Maßstab unsrer Sitten und unsrer politischen Bildung, vielleicht unsrer politischen Befähigung; aber für kein Unglück an sich: l'excès du mal en devient le remède. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)