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Krey, Alexander, Die Praxis der spätmittelalterlichen Laiengerichtsbarkeit. Gerichts- und Rechtslandschaften des Rhein-Main-Gebietes im 15. Jahrhundert im Vergleich (= Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 30). Böhlau, Wien 2015. 758 S., 11 Abb. Besprochen von Reinhard Schartl.

Krey, Alexander, Die Praxis der spätmittelalterlichen Laiengerichtsbarkeit. Gerichts- und Rechtslandschaften des Rhein-Main-Gebietes im 15. Jahrhundert im Vergleich (= Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 30). Böhlau, Wien 2015. 758 S., 11 Abb. Besprochen von Reinhard Schartl.

 

Das zu besprechende Werk ist die überarbeitete Fassung der von Albrecht Cordes betreuten Dissertation des Verfassers. Als Ziel seiner Arbeit benennt er die Rekonstruktion grundsätzlicher Funktionsmechanismen spätmittelalterlicher Gerichtslandschaften am Beispiel der Entstehung und Festigung von Oberhöfen als neuer Verschränkung der Gerichte innerhalb vielschichtiger Landschaften. Krey stellt die These auf, dass die Oberhöfe, indem sie ihren Weisungen „geformte rechtliche Grundsätze“ zugrunde gelegt hätten, die Ausprägung gemeinsamer Rechts- und Denkformen und damit deutschrechtlicher, nichtgelehrter Gewohnheiten in ihrem Einzugsbereich begünstigt hätten. Seiner Untersuchung legt er die Überlieferung der Oberhöfe Frankfurt am Main, Gelnhausen und Ingelheim sowie zur Absicherung auch Nürnberg zugrunde. Als Definition für die Oberhoftätigkeit entscheidet er sich nach einer Diskussion verschiedener älterer Ansichten dazu, ein Gericht als Oberhof anzusehen, das anfragenden Gerichten in laufenden Prozesssachen konkrete Auskunft gab oder in der Neuzeit Sachen entschied oder Privatpersonen auch in abstrakter Form Auskunft erteilte, ohne durch Vereinbarung der Parteien, Gerichtsstandsprivileg oder als Schiedsgericht tätig zu werden. Dabei muss allerdings bemerkt werden, dass die Weisungen nicht durch das gesamte, den Richter (Schultheiß, Vogt) einschließende Gericht, sondern nur durch die Schöffen erteilt wurden, was der Verfasser an anderer Stelle durchaus anerkennt. Im Folgenden untersucht Krey, wann sich die Oberhoffunktion herausbildete. Dabei geht er von dem naheliegenden Ansatz aus, dass dies die volle Ausprägung der örtlichen Gerichtsbarkeit voraussetzte. Diese findet er in Frankfurt am Main, Ingelheim und Gelnhausen ab der Mitte des 13. Jahrhunderts vor. Für die Tätigkeit des Frankfurter Oberhofs kann er erste belastbare Belege ab 1335 entdecken und sichere Hinweise erst ab dem mittleren 14. Jahrhundert identifizieren, in Gelnhausen erste Rechtsanfragen aus Schweinfurt zwischen 1371 und 1381, während er für Ingelheim annimmt, dass der Oberhof schon einige Jahrzehnte vor Beginn der Protokollierung im ersten Urteilsbuch ab 1366 seine Tätigkeit entfaltete. In einem weiteren Abschnitt untersucht Krey die Entstehungsbedingungen der Oberhöfe, wobei er ausführlich die Nähe der Orte zu Kaiser und Reich analysiert. Dabei zieht er zum einen in Betracht, dass die Rhein-Main-Gegend königliches Kerngebiet war, zum anderen betrachtet er kritisch die Ansichten, die einen Zusammenhang zwischen den Kaiserpfalzen in Frankfurt, Gelnhausen und Ingelheim und der Oberhoftätigkeit sehen. Er lehnt überzeugend eine unmittelbare Verbindung ab, weil die Pfalzen am Ende des 13. und am Beginn des 14. Jahrhunderts, als sich die Oberhoftätigkeit entwickelte, bereits nicht mehr in Funktion waren. Gleichwohl erkennt er an, dass die Orte der untersuchten Oberhöfe in königlicher Tradition mit einer ehemals bedeutenden Pfalz standen und Frankfurt wie Gelnhausen Tochterstädte hatten. Daran schließt sich ein umfangreiches Kapitel an, in dem Krey die Einflussnahme Frankfurts auf die Dörfer im Umkreis untersucht, durch die diese Ortschaften im 15. Jahrhundert an den Oberhof gebunden wurden. Bei seiner folgenden Erörterung kann er für Frankfurt belegen, dass eine Stadtrechtsübertragung nicht automatisch zu einer Oberhofbeziehung führte, hält aber eine Filiation für einen Grund, weshalb sich ein örtliches Gericht nach Frankfurt wandte. Insgesamt beobachtet der Verfasser, dass sich die Entstehung und Verfestigung des Frankfurter Oberhofs in historischen Schichten vollzog: seit dem beginnenden 14. Jahrhundert für die anderer Wetterauer Reichsstädte, sowie noch in der ersten Hälfe dieses Jahrhunderts für Limburg und Hersfeld, in einer zweiten Schicht ab der Mitte der 15. Jahrhunderts für die unter dem Einfluss des Rates stehenden Dörfer um Frankfurt und in einer dritten Schicht um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert aufgrund von Ersuchen Adliger für ihre örtlichen Gerichte. Zu Gelnhausen stellt der Verfasser fest, dass der Kreis der anfragenden Orte erheblich kleiner war, dass aber hier Stadtrechtsverleihungen für die Begründung einer Oberhofbeziehung bedeutsamer zu sein scheinen. Im folgenden Abschnitt über „Schöffengerichte und professionalisierte Binnenstruktur“ befasst sich Krey mit der zeitlichen Belastung der Frankfurter Schöffen durch ihr Schöffenamt und sieht eine Reduzierung des Zeitaufwandes darin, dass sie nicht immer vollständig, sondern nur in einer Auswahl von drei bis acht im Gericht anwesend sein mussten. Soweit die von ihm herangezogene Schöffen- und Ratsordnung von 1349/1352 regelte, dass dry dem (minne)sten an gericht sullen siczen, dürfte dies allerdings nur für die Bezeugung von Rechtsgeschäften vor Gericht gegolten haben, während für die Tätigkeit in Rechtsstreitigkeiten die Anwesenheit mindestens der Hälfte der Schöffen erforderlich war, wie vom Rat 1498 auch ausdrücklich verfügt wurde. Für Gelnhausen entnimmt der Verfasser einer Auswertung des Ratsprotokollbuchs 1476-1486, dass der Rat aus bis zu 11 Schöffen und bis zu 19 jüngeren Ratsleuten bestand, während andere Quellen auf nur 10 Schöffen hindeuten. Mit Recht sieht Krey den Schultheiß als königlichen beziehungsweise pfandherrlichen Beamten und damit nicht als Ratsmitglied. Im Gegensatz zu Gelnhausen findet der Verfasser in Frankfurt und Ingelheim ebenso wie in Darmstadt und Nürnberg in Rat und Gericht eine Elite aus Patriziern oder Adligen, die sich aufgrund ihrer finanziellen Unabhängigkeit die Wahrnehmung des belastenden Amtes leisten konnte. Eine wichtige Funktion für die Gerichtstätigkeit misst Krey auch den Gerichtsschreibern bei, bei denen er in Frankfurt eine Hierarchie unter mehreren besoldeten Schreibern vorfindet. Im kleineren Gelnhausen wurde dagegen wohl nur ein Stadtschreiber beschäftigt, auch in Ingelheim hatte ein durchwegs sehr berufserfahrener Gerichtsschreiber die Einträge in den Büchern der örtlichen Gerichten und für den Oberhof zu bewältigen. Insgesamt vermutet der Verfasser mit guten Gründen einen erheblichen Einfluss der oft langjährig tätigen Schreiber auf die inhaltliche Konstanz der lokalen Rechtsgewohnheiten, nachgewiesen werden konnte dies jedoch noch nicht. Eingehend befasst sich Krey anschließend mit den Fürsprechern, wobei er den Frankfurter Fürsprechern mit mehr als 50 Seiten das umfangreichste Kapitel seiner Arbeit widmet. Er trennt dabei strikt zwischen den Ämtern der Fürsprecher, die vor dem weltlichen Gericht auftraten, und den Prokuratoren, die vor den kirchlichen Gerichten agierten. Dabei stellt er fest, dass vor dem Frankfurter Stadtgericht im 15. Jahrhundert zum einen ein Wandel von freiwilliger zu regelmäßiger, obligatorischer Vertretung eintrat. Im Ausgang dieses Jahrhunderts findet er zudem, dass die Fürsprecher zugleich als Unterkäufer (Makler) bei der Verwertung gepfändeten Eigens und Erbes agieren durften. Da zunehmend die Fürsprecher gelehrt waren, bezeichnet sie der Verfasser zu Recht als wichtigen Baustein der Rezeption. Krey findet aber auch Belege, dass sich die Fürsprecher häufig in einer prekären finanziellen Situation befanden, was auch nicht durch die Amtsentlohnung des Rates vermieden, aber durch die Aufnahme weiterer Tätigkeiten wie Vertretung vor auswärtigen Gerichten oder die Übernahme von Momparschaften gemildert werden konnte. Für das Ingelheimer Recht zeigt der Verfasser, dass der Vertrag zwischen Partei und Fürsprecher im Gerichtsbuch vermerkt („verbotet“) wurde. In einer Zusammenschau folgt der Autor nicht uneingeschränkt der These, dass die Schöffen der anfragenden Gerichte immer nur aus Unwissenheit Fälle dem Oberhof vorlegten. Stattdessen nennt er als weitere Gründe, dass die örtlichen Schöffen auf diese Weise der Gefahr eines Regresses gegenüber der unterliegenden Partei entgehen wollten und die Parteien die Kosten der Ausfahrt zu tragen hatten. Die in den Anfragen regelmäßig auftauchenden Wendungen wie nit wise zu sein, dürften eher formelhaft gebraucht worden sein. Zum Verfahren vor den Oberhöfen stellt Krey fest, dass für Frankfurt außer einigen wenigen Privatanfragen ohne überlieferte Antwort nur Anfragen von Schöffen vorliegen. Dabei hielt Frankfurt bis ins 16. Jahrhundert daran fest, dass Anfragen mündlich vorzubringen waren und ebenso beantwortet wurden. Als ein Motiv dafür vermutet er nachvollziehbar, dass die Frankfurter Schöffen eine eigene Haftung vermeiden wollten. Bei der Frage nach dem Rechtsmaßstab der Oberhöfe folgt der Verfasser zutreffend der Auffassung, dass diese Auskunft über ihr eigenes Recht gaben, will aber für die Frankfurter Schöffen aus einigen Sprüchen entnehmen, dass auch nach fremden Gewohnheiten entschieden wurde. Dabei ist aber klarzustellen, dass die Frankfurter Schöffen nach den wenigen Belegstellen nicht Auskunft über das fremde Recht gaben, sondern dieses von den Parteien mit Bestätigung der dortigen Gerichte beigebracht werden musste. Richtigerweise erkannten die befragten Schöffen in ihren Rechtsgewohnheiten eine Art Kollisionsrecht, wonach sich bestimmte Fragen – wie etwa die Gültigkeit eines Geschäfts – nach dem örtlichen Recht beantworteten. Anhand des Erfordernisses dreimaliger Ladung des säumigen Beklagten und seiner Pflicht zur Einlassung, des Weinkaufs und der gerade im Ingelheimer Recht ausgeprägten Schadensklage zeigt Krey, dass die rechtsvereinheitlichende Wirkung der Oberhöfe nicht die Durchsetzung des jeweiligen verfahrensrechtlichen oder materiell-rechtlichen Instituts selbst, sondern von Einzelheiten der rechtlichen Ausgestaltung betraf. Anschließend untersucht der Autor die Frage, ob die Schöffen des Oberhofs durch die Anfragen von außerhalb veranlasst wurden, sich über die bei ihnen selbst bestehenden Rechtsregeln klar zu werden. Dies hält er zu Recht für plausibel, da es letztlich keinen Unterschied bedeuten kann, ob die Schöffen durch Streitigkeiten aus dem eigenen oder durch Anfragen aus fremdem Bereich veranlasst werden, nach einer ihnen nicht geläufigen Regel zu suchen. Einen Hinweis darauf findet er jedoch lediglich in Anfragen aus der Reichsstadt Friedberg an den Frankfurter Oberhof zum Mantelrecht, die Anlass zu einem einige Jahre später erlassenen Ratsgesetz gewesen sein dürfte. Zum Schluss wendet sich Krey der Frage zu, ob die Oberhofsprüche ein Rechtssystem hervorbrachten. Er beantwortet sie in Abweichung von Gudian (zum Ingelheimer Recht) differenziert: bei häufigen Problemstellungen habe es zu einer Verfestigung der eigenen Rechtsgewohnheiten kommen können, ein Systembewusstsein habe aber nicht dem Denken der Schöffen entsprochen. Insgesamt behandelt die Arbeit zwar, anders als der Titel zunächst vermuten lässt, nicht umfassend alle Praxisaspekte der spätmittelalterlichen Laiengerichtsbarkeit. Sie bringt jedoch eine überaus wertvolle Neubewertung bekannter und eine überfällige Erschließung bisher nicht einbezogener Quellen, die nicht nur das Wirken der Oberhöfe im Rhein-Main-Gebiet weiter klärt, sondern auch zu zahlreichen Fragen der Gerichtsverfassung, des Verfahrensablaufs und des materiellen Rechts im 15. und frühen 16. Jahrhundert Stellung bezieht. Beeindruckend ist die akribische Erfassung der Quellen, die der Verfasser – soweit noch vorhanden – jeweils im Original in Augenschein genommen hat und bereits dabei einige bisherige Irrtümer aufdeckt. Neben dem umfassenden Literaturverzeichnis, das mit mehr als 113 Seiten geradezu als Bibliographie allgemein zur Geschichte und speziell zum spätmittelalterlichen Recht des untersuchten Raumes dienen kann, verhilft ein Stichwortregister mit gut 1.000 Personennamen und Ortsnamen sowie Sachbegriffen zum Auffinden der zahlreich behandelten Einzelprobleme.

Bad Nauheim                                                            Reinhard Schartl