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Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, hg. v. Haug-Moritz, Gabriele (= Basistexte frühe Neuzeit Band 1). Steiner, Stuttgart 2014. 283 S. Besprochen von Karsten Ruppert.

Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, hg. v. Haug-Moritz, Gabriele (= Basistexte frühe Neuzeit Band 1). Steiner, Stuttgart 2014. 283 S. Besprochen von Karsten Ruppert.

 

Der Herausgeberin dieses Sammelbandes wird niemand widersprechen, wenn sie die Zeitgebundenheit historischer Forschung unterstellt und folglich die Abhängigkeit der Verfassungsgeschichte von zeitgenössischen Staats- und Verfassungsvorstellungen betont. Davon ausgehend gibt sie einen kurzen Überblick über die Paradigmen deutscher Verfassungsgeschichtsschreibung. In ihm ist vor allem überraschend, wie sehr die gegenwärtige Forschung in der Tradition von Carl Schmitt und Otto Brunner steht - sicherlich wenig geliebte Väter. Deren Programmen, Methoden und Themen im Hinblick auf das Alte Reich gelten die folgenden Aufsätze. Diese Forschungsrichtung will sich von der stark juristisch orientierten Verfassungsgeschichte absetzen und bevorzugt daher auch Termini wie „politische Ordnung“, „politische Kultur“ oder gar „Grammatik des politischen Systems“ bzw. der „gesellschaftlichen Ordnung“. Der Ansicht, dass die verstärkte Hinwendung zum Alten Reich durch das zunehmende Interesse an supranationalen Ordnungen ausgelöst wurde oder dass es dabei gar darum gehe, den Ort der deutschen Geschichte in Europa zu verhandeln, wird man mit gutem Grund skeptisch gegenüberstehen können. Vielleicht liegt das gewachsene Interesse auch nur daran, dass immer mehr Forschungsstätten und Lehrstühle, die sich ausschließlich der Frühen Neuzeit widmen, eingerichtet wurden.

 

Geschickt und verdienstvoll ist es, nicht gleich mit den Beiträgen der neueren Verfassungsgeschichtsschreibung zum Alten Reich zu beginnen, sondern auch die Auseinandersetzung um diese Epoche im 19. Jahrhundert zu dokumentieren. Denn diese war damals alles andere als eine rein wissenschaftliche Debatte. Wie die Auszüge aus den Werken des borussischen Historiographen Heinrich von Treitschke und des nach der preußischen Annexion im Wiener Exil lebenden Hannoveraner Privatgelehrten Onno Klopp belegen, versuchten Kleindeutsche und Großdeutsche jeweils in ihrem Sinne im Streit über den Charakter des Alten Reiches beim Bildungsbürgertum zu punkten. Treffend bringt das die Herausgeberin durch ihr Resümee auf den Begriff, dass zuerst mit den Geschichtsbildern, dann mit den Waffen gekämpft wurde. Zuwenig deutlich ist ihr aber, dass es dabei auch um die kulturelle Hegemonie in Deutschland ging; dafür stehen hier exemplarisch der evangelische Nationalliberale Treitschke und der katholische Zentrumsmann Klopp.

 

Es war bei weitem nicht nur die Katastrophe des Nationalstaates im Nationalsozialismus, die eine verstärkte Hinwendung zum Alten Reich förderte, sondern ein Bündel von Gründen und Motiven. Zudem dauerte es bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts, ehe die Neubewertung einsetzte. Wie der abgedruckte Aufsatz der Protagonisten Volker Press und Peter Moraw zeigt, stand die Wende in der Tradition der katholisch-großdeutschen Historiker, näherte sich aber ihrem Gegenstand mit völlig anderen Methoden. Mit der Strukturanalyse und dem Rückgriff auf die Sozialwissenschaften schloss der Kreis dieser Forscher zu vergleichbaren Bestrebungen in der neueren und neuesten Geschichte auf. Mit ihrer forschungspragmatisch verständlichen Fixierung auf die Reichsspitze, die Herrschaftsinstitutionen und die politischen Führungsschichten blieben sie aber thematisch konventionell.

 

Das gilt in gewisser Weise auch noch für Georg Schmidt, dessen Forschungskonzept, wie es sich in seiner Gesamtdarstellung des Alten Reiches niederschlug, sich an Reich, Staat und Nation orientiert. Sein Verdienst ist es aber, die unterschiedlichen Ebenen der Staatlichkeit des „Reichs-Staates“ ebenso herausgearbeitet zu haben wie dessen Bezug auf die Nation (mit Schwerpunkt auf der Kulturnation unter Vernachlässigung der Konfessionen). Davon setzt sich programmatisch wie praktisch deutlich Barbara Stollberg-Rilinger mit ihrer kulturgeschichtlichen Konzentrierung auf die symbolische und zeremonielle Inszenierung der Reichsordnung ab. Durch ihr Bestreben, das Fremde wie Andersartige herauszustreichen, erscheinen die Handelnden manchmal wie Figuren in einem chinesischen Schattenspiel.

 

Bleibt schließlich die Frage, warum eigentlich nicht die österreichische Geschichtswissenschaft diese Wendung hin zum Alten Reich mitvollzogen hat. Es hätte nahe gelegen, dass eine Herausgeberin, die mit den Verhältnissen gut vertraut ist, auch einen Beitrag aufgenommen hätte, der diese Frage klärt. Denn dadurch hätte der von ihr zu Recht beklagte Mangel, dass auch die neuere Forschung zu sehr auf Reichsinstitutionen und den Kaiser fixiert ist und dessen territorialen Machtgrundlagen ignoriert, vielleicht geklärt werden können.

 

Wenn auch die Frage der politischen Teilhabe stets ein bedeutendes Problem der Verfassungsgeschichte aller Epochen ist, so ist nicht ganz einzusehen, warum die Implementierung der verfassungsgeschichtlichen Wende gleich an zwei Aufsätzen zum Reichstag vorgeführt wird. Niemand wird den Erkenntnisgewinn bestreiten, den sowohl die Überwindung der dualistischen Gegenüberstellung von Herrscher und Ständen als auch das Verständnis dieser Versammlungen als Kommunikationsraum, der stark von Zeremonien und Zeichen geprägt war, gebracht hat. Doch zeigt sich an dem Beitrag Peter Moraws und noch mehr an dem Albrecht P. Luttenbergers, dass damit auch die Gefahr verbunden ist, dass dabei der eigentliche Zweck der Institution aus dem Blick geraten kann.

 

Die beiden letzten Aufsätze befassen sich mit der Zeit nach dem Westfälischen Frieden. Volker Press unterstreicht, dass die Kaiser zumindest bis 1740 den Machtverlust dadurch kompensieren konnten, dass sie sich zum Schutzherrn der mindermächtigen Reichsstände aufwarfen. Freilich gab es diese Möglichkeit auch schon zuvor und sie war nur ein schwacher Ersatz für das, was an kaiserlicher Macht verlorengegangen war. Das zeigt auch die abschließende Studie der Herausgeberin, die nachweist, wie der 1648 institutionalisierte Gegensatz der Konfessionen die Legitimität des Kaisers untergrub. So schließt sich der Kreis. Denn auch die neuere Verfassungsgeschichtsschreibung kann trotz allen Bemühens die Überzeugung der klein- und großdeutschen Geschichtsbaumeister des 19. Jahrhunderts nicht widerlegen, dass es mit dem Alten Reich seit dem Westfälischen Frieden abwärtsging. Dies ist nicht allein in verfassungsgeschichtlicher Perspektive erklärbar. Dazu hat auch beigetragen, dass das Interesse der Wiener Habsburger längst über das Reich hinausging und sich die Staatenwelt umher dramatisch zuungunsten des Reiches gewandelt hatte. Doch dies ist schon nicht mehr Thema des Bandes. Ihm kann man nur bestätigen, dass er eine gelungene Einführung in die zeitgenössische Verfassungsgeschichtsschreibung ist und diese kompetent in der Geschichte der Verfassungsgeschichtsschreibung verortet - soweit dies in einer kurzen Einführung möglich ist.

 

Katholische Universität Eichstätt-Ingoldstadt                                                        Karsten Ruppert