Dichterjuristen. Studien zur Poesie des Rechts vom 16. bis 21. Jahrhundert, hg. v. Nilges, Yvonne. Königshausen & Neumann, Würzburg 2014. 303 S. Besprochen von Hans-Michael Empell.
Dichterjuristen. Studien zur Poesie des Rechts vom 16. bis 21. Jahrhundert. Herausgegeben von Yvonne Nilges. Königshausen & Neumann, Würzburg 2014. 303 S.
In einer knappen Einleitung (S. 9 ff.) teilt die Herausgeberin mit, das Thema „Literatur und Recht“ sei in den vergangenen Jahren zu einem der innovativsten Forschungsfelder der Literaturwissenschaft geworden. Der Band ist einem Ausschnitt dieses Themenkreises gewidmet, den „Dichterjuristen“. Die Herausgeberin erläutert diesen Begriff: Gemeint sind nicht nur Autoren, die als Juristen tätig waren oder sind, sondern auch solche, die überhaupt eine universitäre juristische Ausbildung begonnen haben, so dass sich ihre rechtlichen Kenntnisse in Beziehung zu ihrem Werk setzen lassen. Die insgesamt 17 Aufsätze beziehen sich ganz überwiegend auf deutschsprachige (deutsche und österreichische) Autoren. Ausnahmen sind: Gustave Flaubert und Nikos Kazantzakis.
Die Verfasser der Beiträge sind in der Mehrzahl Literaturwissenschaftler, aber auch einige Juristen finden sich darunter.
Der Band beginnt mit zwei Dichterjuristen aus der frühen Neuzeit, einer Epoche, die von der Forschung zum Thema „Literatur und Recht“ bisher vernachlässigt wurde, wie die Verfasserin des ersten Beitrags, Stephanie Blum, feststellt (S. 13). Ihr Aufsatz ist Johann Fischart gewidmet (1546-1591; die Lebensdaten werden im Beitrag leider nicht genannt); er trägt den Titel: „Darum gott alles recht erschuf“: Recht und Geschlecht in Johann Fischarts Sonettzyklus „Etlich Sonnet“ (S. 13ff.). Ins 17. Jahrhundert, nämlich zu Georg Rudolf Weckherlin (um auch hier die Lebensdaten zu ergänzen: 1584-1653), führt der Aufsatz von Heiko Ullrich: Der „augenschein / der nackenden warheit“: Juristische Rhetorik und poetische Ästhetik in Weckherlins „Urtheil des Paris“ (S. 31ff.).
Der Beitrag Guglielmo Gabbiadinis bezieht sich bereits auf das 18. und 19. Jahrhundert – es geht um Friedrich Maximilian von Klinger (1752-1831): Welttheater, Revolution und usurpierte Menschenrechte: Über Friedrich Maximilian von Klingers Fragment „Das zu frühe Erwachen des Genius der Menschheit“ (S. 49ff.). Als Dichterjuristen allgemein bekannt sind die drei im Folgenden behandelten Autoren: Heinrich von Kleist (1777-1811), der in einem Beitrag Antonia Eders gewürdigt wird: Doing Truth. Indizien und verdächtige Schlüsse bei Heinrich von Kleist (S. 67ff.); ferner Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), dessen „Wahrverwandtschaften“ Julia S. Happ untersucht: Attractio electiva duplex als fatale Romanpoetik: Eherechts- und Scheidungsexperimente in Goethes „Wahlverwandtschaften“ (S. 91ff.); schließlich E. T. A. Hoffmann (1776-1822), auf den Margret Käfer eingeht: Der Kriminalfall Hoffmann: Eine Entscheidung im Disziplinarverfahren gegen E. T. A. Hoffmann (S. 107ff.).
Die folgenden Beiträge beziehen sich auf im 19. Jahrhundert geborene Autoren. Johann Nestroy (1801-1862) wird in dem von Yvonne Nilges verfassten Aufsatz behandelt: „Bonmots auf die ewige Gerechtigkeit“: Recht und Witz bei Johann Nestroy (S. 123ff.). Anschließend untersucht Maria Carolina Foi ein Drama Franz Grillparzers (1791-1872): Grillparzers „Bruderzwist in Habsburg“. Aporien der aufhaltenden Macht (S. 137ff.). Joachim Gruber widmet sich Gustave Flaubert (1821-1880): „Madame Bovary“ und die guten Sitten (S. 151ff.). Als letzten Autor des 19. Jahrhunderts behandelt Gideon Haut Theodor Storm (1817-1888): Theodor Storms „Ein Doppelgänger“ und das Strafrecht des 19. Jahrhunderts oder Warum John Hansen seinen Hals riskiert (S. 163ff.).
Um einen Autor des 20. Jahrhunderts, der bei der Behandlung von Dichterjuristen wohl nicht fehlen darf, geht es im Beitrag von Björn Hayer über Franz Kafka (1883-1924): Die Transzendenz des Gesetzes: Zu Medialität, Religion und Recht in Franz Kafkas „Der Prozess“ (S. 179ff.). Überraschend ist dagegen das Thema des Aufsatzes Cristina R. Paraus, der sich auf Carl Schmitt (1888-1985) bezieht, der in der breiten Öffentlichkeit kaum als Dichter bekannt ist: „Schattenrisse“ und „Nordlicht“: Ästhetik und Rechtstheorie. Über die Frühwerke Carl Schmitts zur Literatur (S. 201ff.). Evi Petropoulou widmet sich dem griechischen Dichter Nikos Kazantzakis (1883-1958): Einer für sich und doch für alle. Gerechtigkeit als individuelle Tugend bei Nikos Kazantzakis (S. 223ff.).
Schließlich werden vier zeitgenössische Autoren behandelt. Michaela Kopp-Marx schreibt über Bernhard Schlink (geb. 1944): „Netze der Schuld“: Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser“ (S. 237ff.). Jan Drees befasst sich mit Georg M. Oswald (geb. 1963): Kontingenz und Recht in Georg M. Oswalds Romanen „Lichtenbergs Fall“ und „Alles was zählt“ (S. 253ff.). Jan Wittmann geht auf Juli Zeh (geb. 1974) ein: Spielen, erzählen, erfinden: Zum Verhältnis von Recht und Spiel in Juli Zehs „Spieltrieb“ (S. 267ff.). Sodann untersucht Manuel Bauer das Werk Ferdinand von Schirachs (geb. 1964): Der geschundene Mensch: Ferdinand von Schirach oder Der Anwalt als Erzähler (S. 281ff.). Den Abschluss des Bandes bildet ein nützliches Verzeichnis der Autorinnen und Autoren (S. 299ff.).
Insgesamt geben die Beiträge einen guten Überblick über Dichterjuristen der letzten 500 Jahre in der (zumeist) deutschsprachigen Literatur. Die Aufsätze sind zum Teil wohl in erster Linie für Literaturwissenschaftler bestimmt; zum Teil aber auch für interessierte Laien gut verständlich. Nützlich wäre es in manchen Beiträgen gewesen, über das Leben und die juristische Tätigkeit der behandelten Autoren etwas ausführlicher zu berichten, zumindest aber, wie bereits angedeutet, die Lebensdaten (jedenfalls der weniger bekannten Autoren) mitzuteilen. Dieser kleine Mangel kann den positiven Gesamteindruck des Buches jedoch nicht beeinträchtigen. Der Herausgeberin ist für ihre Arbeit zu danken.
Heidelberg Hans-Michael Empell