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Pyta, Wolfram, Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse. Siedler, München 2015. 846 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

Pyta, Wolfram, Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse. Siedler, München 2015. 846 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Etwa ein Jahr mag es her sein, dass der Rezensent in diesem Forum eine von Christoph Raichle erarbeitete Dissertation zu Adolf Hitler besprechen konnte, die dessen Rolle eines sich der Symbolpolitik bedienenden Vertreters charismatischer Herrschaft herausstellt. Dass neben Klaus-Michael Mallmann gerade der Hindenburg-Biograph Wolfram Pyta als Betreuer und geistiger Geburtshelfer dieser Arbeit in Erscheinung getreten ist, ist kein Zufall. Schon vor nunmehr über 40 Jahren hat Joachim C. Fest instinktiv die symbolträchtigen, ästhetisierten Selbstinszenierungen des gebürtigen Österreichers und verhinderten Künstlers als signifikant für das Wesen des Nationalsozialismus erkannt, doch war Fest, dem Urteil Pytas zufolge, damals „kategorial nicht gerüstet, um diese grundlegend wichtige Beobachtung für die Grundanlage seiner Studie fruchtbar zu machen und daraus systematischen Ertrag für das Agieren des Politikers Hitler abzuleiten“ (S. 16). Hier setzt der Verfasser nun nach siebenjährigen Vorarbeiten mit seiner eigenen, dickleibigen Analyse an, die er an das Diktum des Kulturphilosophen Walter Benjamin knüpft, „wonach der Nationalsozialismus die ‚Ästhetisierung der Politik‘ sei“; im Hinblick auf ihre Herrschaftsrelevanz sei die Ästhetik „kein ornamentales Beiwerk, keine bunte Show, keine trügerische Verpackung totalitärer Herrschaft, sondern (zählt) zum Strukturprinzip von Diktaturen, welche die Zustimmung des Volkes mittels ästhetischer Strategien zu gewinnen suchen“ (S. 8).

 

Die Kategorien, die Wolfram Pyta bemüht, um Adolf Hitlers politische und militärische Aktivitäten in diesem Sinnzusammenhang zu sezieren, sind nicht der Geschichtswissenschaft, sondern den Kultur- und Kommunikationswissenschaften entlehnt. Wie Hitler seine politischen Auftritte inszenierte, erfasst der Begriff der Performativität. Von Hans Ulrich Gumbrecht stammen die Termini „Sinnkultur“ und „Präsenzkultur“; es werfe „heuristischen Ertrag ab, wenn man die Darstellung Hitlers danach strukturiert, ob sie in den aisthetischen Medien des Zeigens oder den diskursiven Medien des Sagens erfolgt. Denn auf diese Weise kann vorgeführt werden, dass Hitler sowohl im Bereich der Präsenzkultur als auch in der Welt der Sinnkultur heimisch war […] dass er präsenzkulturelle Praktiken wie sinnkulturelle Diskurse gleichermaßen als herrschaftliche Ressourcen nutzen konnte – und genau das ist der kulturtheoretische Hauptgrund dafür, dass Hitlers Herrschaft trotz einer Kette militärischer Niederlagen bis zum Untergang im ‚Führerbunker‘ nicht wirklich erodierte“ (S. 13). Typologisch wurde diese Herrschaft, aufbauend auf dem Konzept des Soziologen Max Weber, von Ian Kershaw und Hans-Ulrich Wehler überzeugend als charismatische identifiziert. Da die Wirkung charismatischer Herrschaft aber die öffentliche Präsenz des Charismatikers voraussetzt, die bei Hitler mit der Niederlage von Stalingrad seit Beginn des Jahres 1943 praktisch abriss, bedurfte dieses Konzept einer wirkungsvollen Ergänzung, die sich in der politischen Instrumentalisierung des dem Kunstdiskurs entlehnten Geniegedankens fand. Aus diesem Anspruch sollte Hitler vor allem seine nicht auf eine klassische Offiziers- oder gar Generalstabsausbildung, sondern weitgehend auf Intuition gestützte Feldherrnschaft reklamieren.

 

Im ersten, umfangmäßig geringeren Abschnitt der vorliegenden Studie zeigt der Verfasser, dass der für Bühnenkunst und Theaterarchitektur begeisterte, politisch weitgehend noch indifferente Hitler aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrte, „wie er ausgezogen war: als kunstsinniger Autodidakt ohne klare berufliche Perspektiven“, der allerdings in der Armee „zum ersten Mal in seinem Leben so etwas wie eine soziale Heimat gefunden“ hatte (S. 131). Über diese kam er im revolutionären München in Kontakt mit der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), der er im Herbst 1919 beitrat und wo er „mit seinem spezifischen Profil eine Marktlücke füllen wollte. […] Er war ein authentischer Repräsentant des Frontsoldaten, der durch Revolution und Räterepublik aus dem politischen Dornröschenschlaf gerissen worden war, und zugleich ein im Sinne der Präsenzkultur ästhetisch Sensibilisierter, der den neuen performativen Anforderungen an das Politische besser gewachsen war als die Führungseliten des untergegangenen Kaiserreichs“ (S. 150). Mentoren aus dem Bürgertum nahmen sich des in der Münchner völkischen Kunstszene gern gesehenen Hitler an und vermittelten ihm das notwendige, politisch nutzbare Bildungswissen, darunter Grundzüge der Philosophie Schopenhauers; der Literat und politische Journalist Dietrich Eckart schulte ihn im schriftlichen Ausdruck. Selbst in seiner ureigenen Domäne, der Rede, nahm Hitler 1932, als seine Stimme unter der Dauerbelastung der Wahlkämpfe Schaden zu nehmen drohte, die Nachhilfe eines professionellen Stimmbildners und Sprachlehrers in Anspruch. Als „bühnenkünstlerisch geschulte(r) Redner“ hat er schließlich „die Interaktion zwischen sich und dem Publikum so perfektioniert, dass er im ‚Gesamtkunstwerk‘ Redeauftritt ein Optimum an synästhetischer Wirkung erzielte“ (S. 194), seine Zuhörer also gleichsam ganz in seinen Bann zog und überwältigte. Vor einem kleineren, kritischen und zu distanzierter Disziplin erzogenen Auditorium, wie es etwa die Generalität darstellte, blieb dieser Effekt allerdings weitgehend aus. In den letzten zwei Jahren seiner Herrschaft war der Diktator schließlich „stimm- und gesichtslos; seine Herrschaft lebte nicht mehr von der ständigen Erneuerung im Modus der Präsenzkultur“ (S. 216). Nun kam die durch seine Schrift „Mein Kampf“ längst erfolgte sinnkulturelle Verankerung verstärkt zum Tragen. Von Schopenhauers Genieinterpretation inspiriert, rückte Hitler dort selbst in die Kategorie eines politischen Genies ein, indem er sich „nicht nur als Schöpfer einer politischen Ideologie verstand, sondern auch als deren praktischer Vollender“ (S. 235), also als ein „Genie der Tat“ in der Nachfolge Friedrichs des Großen und Bismarcks. Diese Variante des Geniekonzepts sei, so der Verfasser, „kein politisch unschuldiger Diskurs, sondern ein Konzept von gewaltiger politischer Sprengkraft. […] Hitler stellt in der jüngeren Weltgeschichte ein Beispiel dafür dar, dass jemand von einer unbegrenzten Genielizenz offensiv Gebrauch macht, bis die daraus resultierenden menschenverachtenden Konsequenzen die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft übersteigen“ (S. 239).

 

In ihrem zweiten, umfangreicheren Teil widmet sich Wolfram Pytas Arbeit der Phase des Zweiten Weltkriegs und damit jener Feldherrnschaft Hitlers, während der die meisten der oben angesprochenen, verheerenden Konsequenzen seines reklamierten Geniestatus in die Tat gesetzt wurden, allen voran die Vernichtung des europäischen Judentums. Nach der erfolgreichen Niederwerfung Frankreichs im Mai 1940 präsentierte Hermann Göring den „Führer“ als alleinigen Schöpfer der in Wahrheit von Erich von Manstein ausgearbeiteten und von Hitler unterstützten „Operation Sichelschnitt“ und stellte ihn zugleich als Staatsmann und Feldherrngenie in eine Traditionslinie mit Friedrich dem Großen. Kritische Stimmen, vor allem aus den Reihen des Oberkommandos des Heeres (OKH), die eine andere Lesart favorisierten, wurden bald mundtot gemacht, sodass sich mit dem Triumph im Westen „das Gros der militärischen Elite mehr oder minder freiwillig dem absoluten militärischen Führungsanspruch Hitlers unterordnete und sich den unorthodoxen militärischen Planungen des selbsternannten Feldherrngenies auslieferte“. Dieser Geniekult gedieh zunächst „auf dem fruchtbaren Boden herausragender militärischer Erfolge“ und entwickelte dann „ein zähes Eigenleben“ und eine gewisse Immunität auch gegen militärische Rückschläge insoweit, „als ein einmal etablierter Glaube an die außergewöhnliche, alle Konventionen brechende und daher immer für Überraschungen gute Schöpferkraft eine Loyalitätsbindung erzeugte, die bis zum militärische[n] Untergang nicht gänzlich aufgebraucht war“ (S. 297). Das warnende Beispiel Wilhelms II. und Hindenburgs aus dem Ersten Weltkrieg vor Augen, wachte Hitler zudem eifersüchtig über die Generalität und ließ keine Konkurrenz hochkommen, die sein Führungsmonopol in Frage hätte stellen können oder gar über politisches Potential verfügte. Welche herausragende Bedeutung er seiner Rolle als Feldherr beimaß, geht aus der Tatsache hervor, dass er seine militärische Tätigkeit, ganz entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten, unzensiert protokollieren ließ und den späteren General Walter Scherff zum „Beauftragten des Führers für die militärische Geschichtsschreibung“ ernannte.

 

Wie der Künstler-Feldherr Adolf Hitler den Krieg im Osten führte, offenbart eine unglaubliche methodische Fahrlässigkeit im Umgang mit dieser hochkomplexen Materie, in der es letztendlich immer um Menschenleben geht und zu deren gedanklicher Durchdringung nicht umsonst erst eine solide, jahrelange Ausbildung und Praxis im Generalstab befähigt. Als kühle Rechner wussten diese Offiziere um die Gefährlichkeit illusionistisch geprägter Entscheidungsprozesse und ließen sich auf Dauer auch durch spektakuläre Erfolge nicht blenden, weshalb Hitler ihnen nicht über den Weg traute und seine Skepsis mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 bestätigt sah. Wolfram Pyta arbeitet eine Reihe von Elementen heraus, die den unkonventionellen militärischen Führungsstil des Diktators kennzeichnen. Dazu gehören die Neigung, sich keine realen Eindrücke vom Kampfgeschehen zu verschaffen, sondern Führungsentscheidungen fernab der Front auf der Basis detaillierten Kartenmaterials zu treffen; die Einmischung in Kompetenzen der nachgeordneten Dienststellen und die starke Beschneidung des Handlungsspielraums ihrer verantwortlichen Kommandeure; die Fixierung auf den Raum unter Vernachlässigung des Faktors Zeit; die Absage an den erfolgreichen Bewegungskrieg und überzogene Erwartungen in den Verteidigungs- und Abwehrkampf, für den er sich nicht zuletzt als „Festungsbaumeister“ - hierin seine architektonische Obsession verwirklichend - für besonders prädestiniert hielt und der unter dem Motto „Halten um jeden Preis“ die Rückgewinnung der militärischen Initiative durch eine elastische Kampfführung schließlich unmöglich machte. Als die sich abzeichnende Niederlage nicht mehr zu verleugnen war, wurden Spezialvarianten des Genieglaubens lanciert, um das schwindende Vertrauen doch noch zu stabilisieren: „Genies der Technik“, die mit der Entwicklung überlegener Waffen das Steuer doch noch herumreißen würden, ein „Rettungsdiskurs“ nach dem misslungenen Attentat in der Wolfsschanze und als letzter Rettungsanker der unvermeidliche Appell an die Treue.

 

Über Hitlers Antisemitismus, der bekanntlich erst für die Zeit nach Ende des Ersten Weltkriegs nachzuweisen ist, sich dann aber sehr rasch extrem radikalisiert haben dürfte, berichtet kein eigenes Kapitel, doch fließen Informationen immer wieder in den laufenden Text ein. Georg Schotts decouvrierendes „Volksbuch vom Hitler“ aus dem Jahr 1924 zeige, dass hier die „‘endgültige Lösung der Judenfrage‘ […] bei Hitler bereits die Gestalt eines gigantischen Mordplans“ angenommen hatte, was „die These einer Kontinuität von Hitlers Vernichtungsantisemitismus von den frühen 1920er Jahren bis zum Holocaust eindrucksvoll untermauer[e]“ (S. 173). Als sich die militärische Lage zu Jahresbeginn 1943 zugespitzt hatte, „hatten Hitler wie Goebbels dieselbe ideologiekonforme Erklärung parat: Es sei der verderbliche Einfluss des internationalen ‚Judentums‘, der die auf den ersten Blick unnatürliche Koalition aus kommunistischer Sowjetunion und den kapitalistischen Mächten USA und Großbritannien zusammenhalte und ihr gefährlichen Schwung verleihe. Daher müssten als Konsequenz überall in Europa die Juden vernichtet werden; der 1942 eingeleitete Prozess der ‚Endlösung‘ sollte nun zu einem an Monstrosität nicht mehr zu überbietenden Abschluss gebracht werden“ (S. 443). In dem Maße, in dem Hitlers Bewunderung für seinen letztlich nicht zu bezwingenden Gegner Stalin wuchs und er eine Einigung mit diesem in Erwägung zu ziehen begann, verabschiedete er sich aber von der Konzeption des jüdischen Bolschewismus und sah, wie sein politisches Testament erkennen lässt, das zu bekämpfende Judentum ausschließlich in den „Plutokratien“ des Westens am Werk. Als Identifikationskriterien der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk dienten dem fanatischen Rassenantisemiten Hitler übrigens nicht „Körpermerkmale oder erbbiologische Daten“, sondern „allein die Religionszugehörigkeit […]. Wer in Büchern als Angehöriger des mosaischen Glaubens festgehalten worden war, wurde nach einem bürokratisierten Verfahren anhand schriftlicher Zeugnisse als Objekt der Vernichtung bestimmt“ (S. 593).

 

Für seine Arbeit hat der Verfasser die gängige Literatur bemüht und in der Hauptsache Quellen wieder aufgewertet, die den authentischen Hitler möglichst unverfälscht hervortreten lassen: seine Tee- und Tischgespräche, seine Ansprachen vor der politischen Garde der Gau- und Reichsleiter sowie, soweit erhalten, die Protokolle seiner militärischen Lagebesprechungen. Die Art und Weise, wie Wolfram Pyta die unheilvolle Koinzidenz der sich im kulturellen Bewusstsein der Epoche ausdrückenden gesellschaftlichen Befindlichkeiten und Wünsche und einer im Streben nach Selbstverwirklichung diese Erwartungshaltungen bedienenden, mit einem außergewöhnlichen Machtinstinkt versehenen Persönlichkeit am Beispiel Adolf Hitlers herausarbeitet, nötigt Respekt ab und zeigt, dass in Bezug auf die Bestimmung des Wesens der nationalsozialistischen Herrschaft das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Darüber hinaus laden seine Analysekategorien implizit dazu ein, die Populisten der Gegenwart mit diesen Maßstäben zu messen und all jenen mit einer gehörigen Portion an gesundem Misstrauen zu begegnen, die unter Außerachtlassung der bewährten, aber aufwändigen Verfahren der demokratischen Politik eine rasche, intuitive Lösung komplexer Problemlagen versprechen. Schon der bereits zitierte, hellsichtige Joachim C. Fest sprach einst von „Hitlers Theatertemperament“, womit er „ganz Deutschland zu seiner Bühne (machte)“, und gleichzeitig davon, dass sein „Regime, allen modernen Zügen zum Trotz, seine Wurzeln in finsteren, spukhaften Regionen hatte“ (Joachim C. Fest/Christian Herrendoerfer, Hitler eine Karriere. 1977, S. 95 u. 91), und bei Wolfram Pyta ist in diesem Sinn die Rede von einem in den 1920er Jahren „omnipräsent(en) Dämoniediskurs [als] Zwillingsbruder des Geniediskurses“ (S. 257). Die deutsche Gesellschaft lieferte dementsprechend mit der Absage an die traditionelle, der Rationalität verpflichtete Politik, wie sie Bismarck so meisterlich beherrscht hat, ihr Schicksal gleichsam sehenden Auges einer irrationalen Kraft aus, von der sie Heil erhoffte, deren Abgründe sie aber zugleich billigend in Kauf nahm.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic