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Kreienbaum, Jonas, „Ein trauriges Fiasko“ – Koloniale Konzentrationslager im südlichen Afrika 1900-1908 (= Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts). Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Hamburg 2015. 349 S., 5 Abb., 2 Kart. Besprochen von Werner Augustinovic.

Kreienbaum, Jonas, „Ein trauriges Fiasko“. Koloniale Konzentrationslager im südlichen Afrika 1900-1908 (= Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts). Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Hamburg 2015. 349 S. 5 Abb., 2 Tab., 2 Kart. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Der weite Begriff des Konzentrationslagers ist heute nicht denkbar ohne die Konnotation des Lagersystems der nationalsozialistischen Ära. In diesem Kontext bezeichnet er eine Einrichtung, die im Laufe der Jahre einem Prozess der steten Veränderung und systematischen Erweiterung unterworfen war, der in unterschiedlichen Varianten von den ersten „wilden“ Lagern der Zeit der NS-Machtübernahme bis zu den Vernichtungslagern des Ostens führte, deren Zweck sich allein in der möglichst raschen und effizienten Tötung und Beseitigung einer großen Anzahl von Menschen erschöpfte. Die Monstrosität dieser planvoll organisierten Mordstätten hat in der Forschung bald die Frage nach Vorläufern und Kontinuitäten provoziert. In den Blick gerieten dabei insbesondere die Lager, die Anfang des 20. Jahrhunderts im Zuge der Kolonialkriege im südlichen Afrika zunächst von den Briten und dann auch von den Deutschen eingerichtet worden waren und in denen Wissenschaftler wie Jürgen Zimmerer („Von Windhuk nach Auschwitz? Beiträge zum Verhältnis von Kolonialismus und Holocaust“, 2011) „Ansätze einer ‚Form des Massenmordes, wie sie für den Holocaust als kennzeichnend betrachtet wird‘“ (S. 293), zu erkennen glauben.

 

Der Frage der Berechtigung einer solchen Interpretation auf den Grund geht der 1982 in Bochum geborene, wohl 2012 promovierte und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Europäische und Neueste Geschichte der Universität Rostock beschäftigte Jonas Kreienbaum in der vorliegenden Schrift, seiner adaptierten Dissertation, die eine Bestandsaufnahme dieser frühen kolonialen Konzentrationslager vornimmt und sowohl ihren Zweck als auch ihre Funktionsweise herausarbeitet. Der Begriff der „Konzentration“ erfasse in diesem Zusammenhang „das militärische Motiv […], eine ansonsten verstreute Gruppe an einem Punkt zu ‚konzentrieren‘, um sie dort möglichst weitgehend unter Kontrolle zu haben“, solle aber „keine Nähe zu den nationalsozialistischen Lagern suggerieren“ (S. 24f.). Mit dieser Intention entstanden jeweils die Einrichtungen, welche die Spanier auf Kuba (1896), die US-Amerikaner auf den Philippinen (1901), die Briten in Südafrika (1900) und die Deutschen in Südwestafrika (1904/1905) schufen, wobei nur die beiden letzteren hier näher analysiert werden. Ein „Erfinder“ der Konzentrationslager sei seriös nicht zu benennen, fänden sich doch Wurzeln der Guerillabekämpfung mittels Bevölkerungskontrolle etwa sowohl schon im Amerikanischen Bürgerkrieg und in der Reservatspolitik der nordamerikanischen Indianerkriege als auch in den Kaukasuskonflikten im Russland der 1840er Jahre.

 

Der Südafrikanische Krieg, der zwischen den Truppen der verbündeten Burenstaaten (Südafrikanische Republik Transvaal und der Oranje-Freistaat) und den britischen Besitzungen (Natal und die Kapkolonie) ausgebrochen war und von 1899 bis 1902 ausgetragen wurde, „entwickelte sich zum größten und teuersten Krieg, den Großbritannien zwischen den Napoleonischen Kriegen und dem Ersten Weltkrieg führen sollte“; 22.000 Angehörige des Empire verloren dabei ihr Leben, „hinzu kamen etwa 34.000 Opfer unter den Buren, Kombattanten wie Zivilisten, und über 20.000 afrikanische Tote“ (S. 40f.). Der abschließende Friedensvertrag von Vereeniging habe dann paradoxer Weise, entgegen den liberalen Intentionen der britischen Sieger, nicht nur „den Zusammenschluss Südafrikas 1910“, sondern auch „das Unrechtssystem der Apartheid, das die Nationalisten nach 1948 installierten“ (S. 54f.), präjudiziert. Obwohl in den Kampfhandlungen die Regeln der zivilisierten Kriegsführung bisweilen grob verletzt wurden, blieb der Südafrikanische Krieg letztlich „ein Krieg zwischen Weißen – und das hebt ihn entscheidend vom Krieg in Deutsch-Südwestafrika ab“ (S. 57). Dort erhoben sich im Jänner 1904 zunächst das Volk der Herero gegen die deutsche Fremdherrschaft, die gekennzeichnet war von einem „Prozess der kontinuierlichen Expropriation sowie […] der völligen Rechtlosigkeit der afrikanischen Bevölkerung“ (S. 58), und im Oktober das Volk der Nama. Der offiziell 1907 beendete Krieg kostete das Deutsche Reich „über 2.000 Todesopfer […] 66 bis 80 Prozent der 60.000 bis 80.000 Herero und bis zu 50 Prozent der vormals 20.000 Nama (verloren) in diesem Konflikt ihr Leben [,] ein substanzieller Anteil davon starb in den sogenannten Konzentrationslagern. Obwohl der Oberkommandierende, General Lothar von Trotha, in seinem berüchtigten „Vernichtungsbefehl“ vom Oktober 1904 die Ausrottung des in die wasserlos geglaubte Omaheke-Wüste vertriebenen Hererovolkes proklamierte, „(reichten) die Checks and Balances, die im Deutschen Reich zweifelsohne weniger stark ausgebildet waren als in den liberalen Nachbarländern, aus, um den Prozess der Vernichtung zu stoppen. […] Das Schicksal der Herero (wurde) bis zum offiziellen Kriegsende […] durch die Konzentrationslager bestimmt“ (S. 75).

 

Die „Vernichtung der Internierten“ sei jedoch „ebenso wenig wie in Südafrika in Südwestafrika der erklärte Zweck der Konzentrationslager“ (S. 222) gewesen. Dass es dennoch hier wie dort zum Massensterben kam, sei einem ganzen Bündel von Ursachen zuzuschreiben, die vom „allgegenwärtige(n) Mangel – vor allem an Kleidung, Nahrung, Unterkünften, medizinischer Versorgung und sanitären Anlagen“ (S. 220), bedingt durch die Priorität der militärischen Transporte, durch Fehleinschätzungen und sonstige Versäumnisse der Administration, bis hin zu einer Masernepidemie reichen. Während bis 1902 in den von den Buren (die sich in zur Unterwerfung bereite handsuppers und unbeugsame bitterenders spalteten) bevölkerten, laut Karte samt Lagerverzeichnis (S. 36f.) rund 50 white camps nicht zuletzt auch durch die Wirkung öffentlicher Proteste eine merkliche Verbesserung eintrat, blieb eine solche in den damals die Europäer kaum interessierenden 70 black camps mit ihren afrikanischen Insassen wohl weitgehend aus. In Südwestafrika hatte sich die deutsche Kolonialmacht ebenfalls „mit der Masseninternierung von Herero und Nama in Konzentrationslagern (ganz offensichtlich) überfordert“ (S. 270); „die Mortalität war das unbeabsichtigte Nebenprodukt des Plans, die Arbeitskraft der Gefangenen auszubeuten und [etwa durch ihre Verbringung auf die lebensfeindliche Haifischinsel vor Lüderitzbucht, einem der insgesamt sechs Konzentrationslager neben vier Sammellagern der Mission; vgl. dazu die Karte der Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika, S. 60; WA] die Sicherheitsbedürfnisse der Kolonisierer zu befriedigen [,] hinzu kamen die schwierige Versorgungslage im ‚Schutzgebiet‘, das grundsätzliche Desinteresse an Gefangenenfragen […], die prioritäre Versorgung der Europäer zuungunsten der Gefangenen, die Verwirrung bezüglich des Skorbuts, die rassistisch begründete Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der Internierten und die Möglichkeit, alles als gerechte Strafe für den ‚Aufstand‘ zu begreifen“ (S. 273).

 

Diese Tatsachen lassen den Verfasser in Widerspruch zu den Befunden Zimmerers und seiner Parteigänger folgern, dass die „Versuche eines Vergleichs auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichem Maße problematisch (sind)“, da sie „zum einen von einem falschen Verständnis der kolonialen Lager aus(gehen) und zum anderen auf einem Bild nationalsozialistischer Lager (basieren), das der Komplexität des Phänomens in keiner Weise gerecht wird“. „Am eindeutigsten“ sei „der Vergleich zu den nationalsozialistischen Vernichtungslagern zurückzuweisen“, denn niemals sei es den Kolonisierern um eine „planmäßige Ermordung der Lagerinsassen“ gegangen. Selbst wenn in kolonialen Lagern, gleich gewissen NS-„Sterbelagern“, „zahlreiche Insassen an Unterversorgung starben“, so war dies hier „keinem gezielten Plan der Kolonialmacht geschuldet“ und „nicht […] Ausdruck eines Vernichtungswillens“ (S. 294f.). Im Dezember 1901 bezeichnete der britische High Commissioner in Südafrika, Sir Alfred Milner, in Anbetracht der hohen Mortalität denn auch das Lagersystem bereits als einen zu verurteilenden Fehler und als „ein trauriges Fiasko“ (S. 7). Hitler habe später zwar öffentlich die Briten als „Erfinder“ der Konzentrationslager gebrandmarkt, doch habe er dies ganz offensichtlich in propagandistischer Absicht getan; es bleibe jedenfalls „fraglich, auf welchem Weg entsprechendes Wissen aus Afrika an die Schaltstellen des nationalsozialistischen KZ-Systems gelangt sein soll" (S. 306). Insgesamt erscheine es somit „wenig plausibel anzunehmen, das nationalsozialistische KZ-System habe koloniale Ursprünge“ (S. 318). Lager der Jahre 1914 bis 1923 (zur Internierung von Staatsbürgern feindlicher Nationen, von Kommunisten und zur Abschiebung unerwünschter Ausländer, wie der sogenannten „Ostjuden“) seien hier als „innenpolitische Instrumente […] den späteren NS-Lagern […] typologisch ähnlicher als die kolonialen Konzentrationsstätten“ (S. 308f.).

 

Diese Argumente Jonas Kreienbaums besitzen Plausibilität und markieren einen soliden Ausgangspunkt für weitere Forschungen - etwa, wie von ihm vorgeschlagen, zu kolonialen Konzentrationspolitiken in der Zwischenkriegszeit und der Phase der Dekolonisation. Seine Erkenntnisse gründen auf der Auswertung umfangreichen Primärquellenmaterials aus zahlreichen Archiven in Deutschland, Großbritannien, Namibia und der Republik Südafrika und stellen insgesamt eine beachtliche Forschungsleistung dar.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic