Schmitt, Carl, Der Schatten Gottes. Introspektionen. Tagebücher und Briefe 1921 bis 1924, hg. v. Giesler, Gerd/Hüsmert, Ernst/Spindler, Wolfgang H. Duncker & Humblot, Berlin 2014. 601 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Schmitt, Carl, Der Schatten Gottes. Introspektionen. Tagebücher und Briefe 1921 bis 1924, hg. v. Giesler, Gerd/Hüsmert, Ernst/Spindler, Wolfgang H. Duncker & Humblot, Berlin 2014. 601 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der in Plettenberg am 11. Juli 1888 als Sohn eines Krankenkassenverwalters geborene und an seinem Geburtsort am 7. April 1985 vereinsamt gestorbene Carl Schmitt wird als einer der bekanntesten und einflussreichsten deutschen Juristen des 20. Jahrhunderts angesehen. Lange Zeit war sein öffentliches Bild fast ausschließlich von seinen 1910 einsetzenden Werken und einigen veröffentlichten Briefwechseln bestimmt, so dass mit Ausnahme des 1991 veröffentlichten Glossarium private Äußerungen Schmitts kaum bekannt waren, weil Schmitt es auch in Gesprächen grundsätzlich vermied, Persönliches preiszugeben. Umso offener sprechen die seit 2003 veröffentlichen Tagebuchtexte, die bisher die Jahre von 1912 bis 1915, von 1915 bis 1919 und von 1930 bis 1934 betrafen und vor allem seine Beziehungen zu Freunden und Kollegen, seine Alltagserfahrungen und Gedankenwelten sowie seine seelischen und erotischen Erlebnisse und Vorstellungen erkennen lassen.
An sie schließt sich als vierter Band in drei Teilen die Zeit von 1921 bis 1924 an. Ihr erster Teil umfasst lückenhafte Notizen von August 1921 bis August 1922 auf losen, ursprünglich nicht geordneten Blättern mit Entwürfen und Selbstbeobachtungen sowie ein tägliches Tagebuch von Mitte März 1922 bis zur zweiten Hälfte des Monats August 1922, ihr zweiter Teil chronologisch notierte Aufzeichnungen der Jahre 1923 und 1924 aus einer fest eingebundenen Kladde mit Tagesereignissen und unverhüllten Selbstaussagen, ihr dritter Teil mit dem Titel „Der Schatten Gottes“ eine durch Seitenzahlen ohne durchgehende Angabe des Datums bestimmte Abfolge von Aufzeichnungen zwischen August 1922 und April 1925 mit Ideen zu Vorlesungen, Selbstkennzeichnungen, aphoristischen Beobachtungen, Kommentaren, Entwürfen von Briefen. Der zweite anschließende Teil der Aufzeichnungen Schmitts aus den 1920er Jahren setzt sich aus Tag-für-Tag-Notizen etwa gleichen Umfangs der Jahre von 1925 bis 1929 und etwa im gleichen Umfang aus einem so genannten Denktagebuch zusammen.
Alle Nachrichten sind grundsätzlich in enggeschriebener, teilweise schwer lesbarer Gabelsberger Kurzschrift verfasst. Sie beginnen am 8. August 1921, an dem Schmitt nach dem Abendessen bei am Zehnhoff am Bett sein Leben verflucht, die Geschichte seiner Ehe. Am 6. Februar 1923 hält er nach langem Schlaf 2 Stunden Vorlesung, sehr schön, obwohl er nicht wusste, was er sagen sollte.
Im Kern steigt Schmitt zwischen 1921 und 1924 von einem Dozenten der Rechtslehre an einer gefährdeten Handelshochschule in München über eine wenig geliebte, von Rudolf Smend auch auf Empfehlung Erich Kaufmanns vermittelte Professur in Greifswald zu einem ordentlichen Professor an einer der bekanntesten Universitäten des Westens auf. Das geringe Interesse an der Tätigkeit in Greifswald beruht nach der kurzen Einführung der Herausgeber auch darauf, dass Schmitt im August 1921 bei seinem Förderer am Zehnhoff die in Sydney am 16. Januar 1895 geborene Studentin Kathleen Murray kennenlernt und in großer Passion einschließlich eines Gelöbnisses einer gemeinsamen Zukunft vor dem Altar der Pfarrkirche in Alf während einer Moselreise bei ihrer Promotion in Marburg bis zum 22. Mai 1922 entscheidend unterstützt. Als Nachfolger des nach Berlin wechselnden Rudolf Smend lernt er in Bonn am 22. Januar 1923 die in Grosdanska bei Zagreb am 13, Februar 1903 geborene, im Frühjahr 1924 an offener Tuberkulose erkrankte Studentin Duška Todorović kennen, durch deren zunehmend erwiderte Liebe Schmitts Leben zusammen mit seinen Erfolgen als Hochschullehrer und Publizist gegen Ende des Jahres 1924 eine verhältnismäßige Festigkeit erreicht.
Der umfangreiche, weitere tiefe Einblicke in das zwischen Höhen und Tiefen rasch pendelnde Leben Schmitt vermittelnde Band endet mit einigen Anhängen, darunter Carl Schmitts 1922 verfasster Skizze Der treue Zigeuner. Unter den veranschaulichenden Abbildungen findet sich auch ein Foto von Carl Schmitt und Duška Todorović aus dem Englischen Garten in München 1923/1924. Ein Personenverzeichnis von Hermann Abbegg bis Adolf Josef Zycha rundet die sehr aufschlussreiche, wertvolle, am Beginn und Ende eine Auswahl von Adressen Carl Schmitts in Bonn zwischen 1922 und 1924 bietende Edition ab, die jeder an Carl Schmitt Interessiert mit reichem Gewinn verwerten kann.
Innsbruck Gerhard Köbler