Rau, Ulrike, Die Universität Leipzig als Gerichtsherrschaft über ihren ländlichen Besitz (= Schriften zur Rechtsgeschichte 167). Duncker & Humblot, Berlin 2014. 262 S. Zugleich Diss. jur. Leipzig 2012. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Rau, Ulrike, Die Universität Leipzig als Gerichtsherrschaft über ihren ländlichen Besitz (= Schriften zur Rechtsgeschichte 167). Duncker & Humblot, Berlin 2014. 262 S. Zugleich Diss. jur. Leipzig 2012. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Die Veröffentlichung ist aus einer von Bernd-Rüdiger Kern (Leipzig) betreuten juristischen Dissertation hervorgegangen. Der „ländliche Besitz“ der Universität Leipzig waren acht Dörfer im Nordosten und Südosten Leipzigs, die sogenannten ‚Universitätsdörfer'.
1438 wurden der 1409 gegründeten Universität Zinseinnahmen aus drei Dörfern und die Erbgerichtsbarkeit über diese Dörfer übertragen. Weitere fünf Dörfer, die ‚neuen‘ Universitätsdörfer, wurden, neben anderen Einkünften, aus dem ehemaligen Klostergut des Thomasklosters durch Moritz von Sachsen im Jahre 1544 zur Sicherung der Finanzierung der Universität übergeben. Diese Art der Sicherung der Einnahmen einer Universität wählten auch andere Landesherren, so dass Universitätsdörfer für die Universitäten in Frankfurt an der Oder, Greifswald, Prag, Wittenberg und Würzburg belegt sind, für Heidelberg und Tübingen gab es Ähnliches. Nur wenige Untersuchungen sind bisher diesem frühneuzeitlichen Finanzierungsmodell für Landesuniversitäten gewidmet. Erfreulich gerafft beschreibt die Autorin die landesherrlichen Schenkungen der Jahre 1438 und 1544. Sie kann sich hierbei auf die Dissertation des Nestors der sächsischen Landesgeschichte, Karlheinz Blaschke, stützen, der bereits Ende 1950 eine Untersuchung über fünf der acht Universitätsdörfer vorgelegt hat. Dieser bis heute unübertroffenen Arbeit verdankt die neue Arbeit vieles. Hatte Blaschke seine Untersuchung mit dem Auge des Historikers verfasst, so legt die Autorin ihren Schwerpunkt auf die rechtsgeschichtliche Sicht. Dadurch ergänzen sich beide Arbeiten und viele Redundanzen werden vermieden. Den drei ‚alten‘ Universitätsdörfern, die bei Blaschke unberücksichtigt blieben, wendet die Autorin ihr Interesse zu. In einer für rechtsgeschichtliche Dissertationen leider nicht mehr üblichen Intensität wertet die Autorin Akten aus dem Staatsarchiv, dem Stadtarchiv und dem Universitätsarchiv Leipzig aus. Wenn auch der Schwerpunkt der herangezogenen Überlieferung im 18. und 19. Jahrhundert liegt, so gehen doch auch andere Akten bis ins frühe 15. Jahrhundert zurück. Aus diesen Akten gelingt es der Autorin die Zustände der Gemeinden und die dort anzutreffenden Gerichtsbarkeiten zu beschreiben. Die Gemeinden waren autonom, soweit es die Interessen der Universität nicht berührte. Der Universität waren Abgaben und Dienste zu leisten, so sind etwa Frondienste, Zinsen, Hausgenossenzins, Lehngeld und Abzugsgeld beschrieben. Ein besonderer Dienst aus Anlass des Todes des amtierenden Rektors Titius im Jahre 1714, von dem J. D. Schulze in seiner Geschichte der Leipziger Universität (1802), den die Autorin nicht beschreibt, bestand darin, dass die Bauern und alle männlichen Einwohner der acht Universitätsdörfer am Begräbnistage ‚NachMittags um 2 Uhr, in schwarzen Kleidern, und mit Flöhren auf den Hüten im Paulinum‘ sich versammeln ‚und von da Paarweis in die PetersStraße vor das TrauerHaus sich verfügen‘ mussten. Sie bildeten mit den vier Predigern der Universitätsdörfer einen Teil des ‚ansehnlichen Personales des LeichenZuges‘. Dieses Beispiel zeigt, dass nicht nur rechtliche und wirtschaftliche Beziehungen zwischen der Universität und den Bewohnern der Universitätsdörfer bestanden. Die Gerichtsorganisation mit Großpropsteigericht, Propsteigericht und Richtern und Schöppen der Dörfern bestand unabhängig von der akademischen Gerichtsbarkeit der Universität. Zu beachten ist, dass die Verwaltung der Belange der drei ‚alten‘ und die der fünf ‚neuen‘ Universitätsdörfer durch getrennte Einrichtungen erfolgte. Welche Überlegungen zu dieser Trennung und ihrer Aufrechterhaltung geführt haben, ist leider nicht untersucht. Da es wenige Sachen gab, die bei den ‚alten‘ Universitätsdörfern gleich denen der ‚neuen‘ Universitätsdörfer gehandhabt wurden, wäre durch eine separate Darstellung der beiden Dörfertypen eine größere Übersichtlichkeit erreichbar gewesen. Ein Überblick der wesentlichen Unterschiede der beiden Dörfertypen ist bei der gewählten Darstellungsart schwer zu gewinnen. Bei den von der Universität seit dem 16. Jahrhundert geschaffenen Dorfordnungen, denen ein eigener Abschnitt gewidmet ist, wäre eine Detailuntersuchung zu ihrer Schaffung wünschenswert gewesen. Waren sie eine Sammlung von abstrakten Regelungen für den Eintritt vorhersehbarer Rechtsfälle oder waren sie Sammlung von Leitsätzen nach Klärung von aufgetretenen Streitfällen mit Wirkung für die Zukunft? Gerade die Schilderung der Jahrgerichte als ‚die auffallendste Verrichtung der Gerichtsherrschaft‘ (Blaschke) spricht eher für die letztgeschilderte Funktion. Hier wäre eine Auseinandersetzung mit den Rechtsmeinungen zeitgenössischer Juristen, besonders solchen der Universitäten Leipzig und Wittenberg, angebracht gewesen. In dem folgenden Abschnitt zu den Auszügen aus der Gerichtspraxis werden zahlreiche Einzelfälle behandelt. Eine gewisse Verwunderung ist nicht zu verhehlen, wenn anlässlich des Todes eines Bettlers (1619) als herangezogene Rechtsnorm zur Hinrichtung mit dem Rad auf Sachsenspiegel Landrecht Buch II Art. 13 § 4 (Anm. 256) verwiesen wird. Die Autorin hat mehrfach C. D. Erhard herangezogen, er hat in seinem Handbuch zum sächsischen peinlichen Recht ausgeführt: ‚Die Strafe des Mordes ist das Rad‘ (S. 207 § 276). Dies folgte Art. 137 Carolina, wonach ‚ein fürsetzlicher muthwilliger mörder mit dem rade... vom leben zum todt gestrafft werden‘ solle. An dieser und anderen ähnlichen Stellen wäre ein Verweis auf das zur Tatzeit in Sachsen geltende Recht zu erwarten gewesen. Etwas unsystematisch erscheint es, wenn dann auf der Folgeseite bei einer anderen Verurteilung zur Strafe des Rades auf die Kursächsischen Konstitutionen von 1572 hingewiesen wird (Anm. 260). Wie bei nicht wenigen neueren Dissertationen sind Fußnoten und Literaturverzeichnis in eigenwilliger Form verfasst. Sind in Fußnoten Artikel zitiert, so muss der Leser erst einmal darauf kommen, dass die Autorin jeweils die Seitenzahl des Artikelbeginns anführt und danach die gemeinte Textstelle. Verfasser von Handbuchartikeln werden teilweise mit Vornamen und teilweise nur mit dem ersten Buchstaben genannt. Ein verwandtes Auswahlkriterium ist nicht ersichtlich. Vornamen von Buchautoren nicht zu nennen, ist bei den jetzt gegebenen Möglichkeiten kein Zeichen sorgfältiger Arbeit. Heinrich Blümner, Friedrich Emil Kröber, Bruno Otto Markgraf und Conrad von Wallenrodt wären ohne Schwierigkeiten zu finden gewesen. Bei Druckschriften werden gelegentlich Nachdrucke genannt, dies jedoch nicht durchgängig. Hat eine Arbeit mehrere Auflagen erreicht, so wird nicht die jeweils neueste Auflage benutzt und danach zitiert. Das Deutsche Rechtswörterbuch und die Neue Deutsche Biographie sind nicht die einzigen Veröffentlichungen, die online zur Verfügung stehen.
Insgesamt hat die Autorin eine überaus erfreuliche Untersuchung vorgelegt.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz