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Blom, Philipp, Die zerrissenen Jahre 1918-1938. Hanser, München 2014. 572 S. Besprochen von Karsten Ruppert.

Blom, Philipp: Die zerrissenen Jahre 1918-1938. Hanser, München 2014. 572 S.

 

Philipp Blom ist ein international tätiger Zeitschriften-, Zeitungs- und Rundfunkjournalist. Daneben moderiert er Sendungen in Rundfunk und Fernsehen und nicht zuletzt schreibt er auch Romane und Sachbücher. Es ist nicht ohne Belang, dieses weitgefächerte Feld der Betätigungen des Autors des zu besprechenden Buches zu kennen, um es richtig zu verstehen. Man könnte es im weiten und herkömmlichen Sinne als eine Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit bezeichnen. Doch trifft der Untertitel des schon ein Jahr nach seinem Erscheinen in Deutschland ins Englische übertragenen Buches die Sache noch genauer: „Fracture : life and culture in the West, 1918 - 1938“. Denn es geht nicht allein um Kultur, sondern auch um Alltag und - das muss ergänzend hinzugefügt werden - das ein oder andere historische Ereignis. Mit „West“ ist die atlantische Welt gemeint, freilich fällt auch immer mal wieder ein Blick auf Russland bzw. die Sowjetunion.

 

Es ist auffallend, welche Attraktion die Zivilisation zwischen den beiden Weltkriegen, und besonders die Zwanziger Jahre, immer wieder auf Autoren unterschiedlichster Profession und Herkunft ausgeübt hat und sie diese, gleich welchen Ansatz sie verfolgten, als „wild“, „zerrissen“ oder „gebrochen“ interpretiert haben. Philipp Blom würde dem nicht widersprechen, doch unterscheidet er sich von den anderen durch die Art, wie er sein Buch angelegt hat. Jedes Kapitel ist je einem Jahr zwischen 1918 und 1938 gewidmet; in ihm wird jeweils unter einem Generalthema das abgehandelt, was der Verfasser für markant für das Jahr und die Zwischenkriegszeit „abseits der bekanntesten historischen Meilensteine“ (S. 28) hält. Freilich erfolgt dies durchgehend additiv, also ohne dass die jeweils angesprochenen Aspekte gedanklich zusammengehalten werden.

 

Blom deutet die Zwischenkriegsjahre als ein Laboratorium der Moderne, die jetzt nach ihrer Präfigurierung vor dem Ersten Weltkrieg endgültig zum Durchbruch kam. Nicht ganz überzeugend ist es, wenn er diese Jahre als das Zeitalter der Maschinen und der Verstädterung deutet; denn das gilt viel mehr für die Zeit der vorausgehenden Generation. Schon treffender ist das Signum der „Massengesellschaft“, da nun immer mehr Menschen an der Politik, der Kultur, der Kommunikation und dem Konsum teilhaben. Innerhalb der Massen schreiten die Frauen voran, fordern Gleichberechtigung und mehr politische Teilhabe und drängen vermehrt in die Arbeitswelt. Damit einher geht eine veränderte Sexualmoral, die jetzt nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Kunst thematisiert wird. Diese Sexualmoral ist zusammen mit der Auflösung der tradierten Formen in Kunst und Musik, des realistischen Erzählens in der Literatur, dem Hereinbrechen von fremden Welten und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die bisher feste Weltbilder auflösen, Ursache der Verunsicherungen und Ängste - ein immer wiederkehrendes Thema des Buches. Zusammen mit den unverarbeiteten Folgen der Massenschlächterei des Ersten Weltkriegs sieht Blom darin den Grund für den Aufstieg totalitärer politischer Ideologien ebenso wie von esoterischen und irrationalen Erlösungsversprechen. Die jetzt nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch den Alltag bestimmende Technik wird ebenso bewundert wie gefürchtet. Vor diesem Hintergrund artikuliert der Verfasser die von Einzelnen oder Gruppen ausgeprägten Mentalitäten und Haltungen wie auch die Strategien, die sie zur jeweiligen Zeit gegenüber den unterschiedlichen Herausforderungen entwickelt haben.

 

Philipp Blom entwirft also ein weites Panorama. Er bringt viel und der Leser wird oft belehrt, doch werden ihm keine tieferen wissenschaftlichen Einsichten in die Epoche vermittelt. Vermutlich ist das auch gar nicht beabsichtigt. Daher wird vielleicht der Historiker oder Kulturwissenschaftler, der eine Fragestellung, Verarbeitung der Forschung, methodische Reflexion und die ein oder andere neue Erkenntnis sucht, von diesem Buch enttäuscht sein. Der historisch interessierte Laie hingegen wird es wohl nicht immer mit Gewinn, doch stets mit Genuss lesen. Denn Philipp Blom ist ein Autor von einer bewundernswert umfassenden Bildung, aufgrund derer er in seinen Essays, die verständlich und flüssig geschrieben sind, Esprit und Anregung zu vermitteln vermag - zumal das Buch auch reich bebildert ist.

 

Eichstätt                                                        Karsten Ruppert