Rechtshandschriften des deutschen Mittelalters – Produktionsorte und Importwege, hg. v. Carmassi, Patrizia/Drossbach, Gisela. Harrassowitz, Wiesbaden 2015. 415 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Rechtshandschriften des deutschen Mittelalters – Produktionsorte und Importwege, hg. v. Carmassi, Patrizia/Drossbach, Gisela. Harrassowitz, Wiesbaden 2015. 415 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Das Recht als ein Teilbereich der menschlichen Kultur ist wie die anderen Bereiche grundsätzlich zunächst nur mündlich ausgeformt und überliefert worden, wurde aber nach der Erfindung der Schrift schon früh in graphische Zeichen gefasst. Dementsprechend sind für das Recht des deutschen Mittelalters die Rechtshandschriften von größter Bedeutung. Dessenungeachtet gibt es für die schätzungsweise 500000 erhaltenen mittelalterlichen Handschriften (davon vielleicht 60000 in Deutschland und 90000 in Spanien und Österreich zusammen) bisher keinen vollständigen zusammenfassenden Katalog und folglich auch keine sichere Übersicht über die in diesen Zeugnissen enthaltenen vermutlich mehrere Millionen Einzelstücke umfassenden Texte.
Mit einem Teilaspekt dieser Problematik befasst sich der auf ein Arbeitsgespräch in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel vom 27. bis zum 29. Juni 2011 zurückgehende gediegene Sammelband. Er enthält nach einer sachkundigen Einleitung der beiden als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Göttingen bzw. außerplanmäßige Professorin in Augsburg tätigen Herausgeberinnen 15 Referate in vier Sektionen über Rechtskultur im Hochmittelalter und Spätmittelalter, Transferbewegungen und Schulen, Autoren, Werke und Überlieferungen sowie mediale Aspekte der Überlieferung. Er hat unmittelbar nach seiner Ankündigung das große Interesse eines sachkundigen Rezensenten erweckt, auf dessen kommende Bewertungen der Herausgeber nur mit wenigen allgemein Sätzen aufmerksam machen kann.
Ziel des Werkes ist eine interdisziplinäre Herangehensweise an die primären Probleme der Produktion, Distribution und Rezeption juristischer Handschriften des Mittelalters aus der Halberstädter Dombibliothek und der Stiftskirche Unserer lieben Frau, die heute in der Universitätsbibliothek Halle aufbewahrt werden. Dabei zeigt etwa der in Aberdeen emeritierte Gero Dolezalek in seinen Statistiken über die handschriftliche Verbreitung juristischer Texte in Sachsen, dass in den 5592 Texteinheiten von 2653 juristischen Handschriften der Biblioteca Apostolica Vaticana 34,81 das kanonische Recht betreffen, 11,55 Prozent das zivile Recht, 51,64 Prozent mehrere Rechte und 1,98 Prozent einheimisches Recht (bzw. etwa 80 Prozent kanonistische Bände und 20 Prozent romanistische Bände sind), von den 429 Texteinheiten der 402 mittelalterlichen Rechtshandschriften der insgesamt 2200 mittelalterliche Handschriften beherbergenden Universitätsbibliothek Leipzig 51,3 Prozent kanonisches Recht, 10,7 Prozent ziviles Recht, 33,3 Prozent mehrere Rechte und 4,7 Prozent einheimisches Recht. Zahlreiche weitere neue Erkenntnisse bieten auch die übrigen eine Gesamtübersicht noch wünschenswerter als bisher erscheinen lassende Beiträge, deren vielfältige Inhalte durch Register benutzerfreundlich aufgeschlossen und durch Farbabbildungen veranschaulicht werden.
Innsbruck Gerhard Köbler