Original Ergebnisseite.

Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, hg. v. der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Österreichischen Staatsarchiv. Serie I Alte Prager Akten, hg. v. Sellert, Wolfgang, Band 4 P-R, bearb. v. Schenk, Tobias. Erich Schmidt, Berlin 2014. 579 S., Band 5 S-Z, bearb. v. Schenk, Tobias. Erich Schmidt, Berlin 2014. 683 S. Besprochen  von Karsten Ruppert.

Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, hg. v. der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Österreichischen Staatsarchiv. Serie I Alte Prager Akten, hg. v. Sellert, Wolfgang, Band 4 P-R, bearb. v. Schenk, Tobias. Erich Schmidt, Berlin 2014. 579 S., Band 5 S-Z, bearb. v. Schenk, Tobias. Erich Schmidt, Berlin 2014. 683 S. Besprochen  von Karsten Ruppert.

 

Der Kaiserliche Reichshofrat wird üblicherweise als das zweite höchste Gericht des Alten Reiches neben dem ständischen Reichskammergericht bezeichnet. Doch trifft diese selbst in der Forschung immer wieder verwendete Bezeichnung die Sache nicht im Kern. Denn er war weitaus mehr als ein Gericht; diese Institution wird vielleicht am treffendsten als die Einrichtung verstanden, welche die nie endgültig und umfassend festgelegten kaiserlichen Reservatrechte ausübte. Das waren neben der Rechtsprechung unter anderem Lehns-, Gratial-, und Standessachen, Privilegierungen, Legitimierungen, Vormundschafts- und Unterhaltsfragen sowie Schutz- und Schirmbriefe. Eine Sonderstellung hatte der Reichshofrat auch noch dadurch, dass er bei Überschuldung von Reichsständen „Debitkommissionen“ einsetzen konnte, die den Konkurs abwickelten. Eine Nachwirkung des mittelalterlichen Verständnisses vom Amt des Kaisers spiegeln die zahlreichen Suppliken, mit denen sich die Untertanen direkt an ihn wandten. Sie beklagten sich über ungerechte Urteile, Prozessverschleppungen, auch am Reichskammergericht, und übermäßige Belastungen der unterschiedlichsten Art. Und nicht zuletzt war das Gremium auch als beratendes Regierungsorgan tätig; das schlägt sich in den vorliegenden Bänden allerdings nicht nieder. Die Wirkungsmöglichkeiten des Reichshofrats waren also umfassender als die des Reichskammergerichts. Diese erstreckten sich darüber hinaus auch noch auf das ganze Heilige Römische Reich Deutscher Nation, also auf das gesamte heutige Mitteleuropa einschließlich eines Teiles Italiens. Und schließlich war der Reichshofrat immer dann, wenn die Gerichtsbarkeit des Kammergerichts wieder einmal zum Erliegen kam, das einzige Reichsgericht.

 

Einen weiteren Vorteil hatte der Reichshofrat gegenüber dem Reichskammergericht noch dadurch, dass sein Verfahren schneller und effektiver war. Die Rechtsprechung beider Gerichte krankte allerdings daran, dass die Möglichkeiten, ihre Urteile zu exekutieren, begrenzt waren. Daher zog es besonders der Reichshofrat vor, Rechtsstreitigkeiten diplomatisch oder politischen zu schlichten. Hierfür setzte er meist Kommissionen ein, deren Hauptziel ein Ausgleich zwischen den streitenden Parteien und deren gütliche Einigung war.

 

Daher ist es vielleicht überraschend, doch andererseits auch wieder nicht so erstaunlich, in welchem Umfang der von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des Alten Reiches bestehende Kaiserliche Reichshofrat Akten produziert hat und diese auch noch bis heute erhalten sind: der Bestand im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv wird auf etwa 1.500 Regalmeter geschätzt. Wegen der Bedeutung der Einrichtung und deren fast geschlossener Überlieferung ist es in der Forschung stets als Missstand empfunden worden, dass die Erschließung der Akten der ständischen Konkurrenzeinrichtung zügig voranschritt, während sich der Kenntnisstand über die kaiserliche Institution auf einige Untersuchungen und ein Standardwerk von 1942 reduzierte.

 

An dieser unbefriedigten Forschungslage änderte sich erst etwas, als es dem Herausgeber 1999 gelang, die Finanzierung zur Aufarbeitung der Akten des Reichshofrats zu sichern. Allen Beteiligten war klar, dass es angesichts der Masse nur um deren Erschließung gehen könne und diese zunächst an einem Teilbestand erprobte werden müsse. Ausgewählt dafür wurden die Alten Prager Akten (APA), eine der insgesamt elf Serien der sogenannten Judicialia. Sie umfassen etwa 6000 Vorgänge, die in 213 Kartons verwahrt werden. Die Alten Prager Akten sind die Hinterlassenschaft der unter dem überwiegend in Prag residierenden Kaiser Rudolf II. gebildeten Filiale der Reichskanzlei. Dessen Regierungszeit macht allerdings nur den Kern des Bestandes aus; durch bürokratische wie gewaltsame Eingriffe sind Stücke verloren gegangen und solche anderer Zeiträume dazugekommen.

 

Unter dem Signum Alte Prager Akten werden aber nicht nur Dokumente verwahrt, die aus der Tätigkeit des Reichshofrats hervorgegangen sind. Vielmehr finden sich dort auch solche des kaiserlichen Kammergerichts, dem Vorläufer des Hofrats, aus der Zeit vor 1500. Dazu Korrespondenzen mit kaiserlichen Amtsträgern im Reich oder mit diversen Reichsständen und versprengte Stücke, die Beilagen zu Fällen waren, denen sie nicht mehr zugeordnet werden können. Manche dokumentierte Verfahren fielen sogar nicht in die Kompetenz des Kaisers, sondern des römischen, böhmischen oder ungarischen Königs. Schließlich sind auch noch die Akten der Hofräte Karls V. und seines Statthalters im Reich, König Ferdinand I., erfasst, die zwischen 1527 und 1556 nebeneinander amtierten.

 

Erwähnenswert ist noch, dass zusätzlich zu den überlieferten Vorgängen auch noch zu solchen, zu denen sich keine Akten mehr auffinden lassen, Einträge aus älteren Repertorien übernommen wurden. So lassen sich Umlegungen in andere Serien des Reichshofratsarchivs oder die Abgabe an andere Institutionen nachvollziehen. Wenn dies ohne größeren Aufwand möglich war, wurde auch noch der heutige Lagerungsorte ermittelt. Um so mehr bedauert man, dass die Resolutions- und Exhibitionsprotokolle, welche die Prozessakten hilfreich ergänzen würden, nicht erschlossen wurden oder auf sie zumindest verwiesen wurde. Eine Begründung dafür wird nicht gegeben.

 

Die Bände sind alphabetisch nach den Namen der Kläger bzw. Antragsteller oder Supplikanten analog der Registratur der Alten Prager Akten aufgebaut. Die Erschließung der einzelnen Akten bzw. Vorgänge, insgesamt 6197, erfolgte sinnvollerweise in Anlehnung an die Grundsätze für die Verzeichnung der Reichskammergerichts-Akten. Der Benutzer erhält in den gleich aufgebauten Verzeichnissen neben archivalischen Nachweisen vor allem Auskunft über Kläger und Beklagte, wobei jeweils versucht wurde, Stand und Herkunft zu ermitteln; dazu über die Laufzeit des Verfahrens, Vorinstanzen so wie die in der Sache tätigen Agenten. Die historisch interessantesten und meist auch umfangreichsten Rubriken informieren über den Gegenstand des Verfahrens und die Entscheidung des Reichshofrats. Nur noch verwiesen wird auf die historisch nicht weniger relevanten beiliegenden Beweisstücke wie Urkunden von Kaisern, Königen, Päpsten und Privaten, wie Verträge, Steuerunterlagen, Beschlüsse der unterschiedlichsten Gremien, Edikte, Polizeiordnungen Erbverträge u. ä.

 

Mit den beiden vorliegenden Bänden kommt die Erschließung der Alten Prager Akten zum Abschluss. Sie beginnen mit dem Gesuch Simon Karls von Adtritzky von Adtritz (aus den Nachträge A - O), ihn in das königlich böhmische Lehen Burg einzusetzen als Kompensation dafür, dass Heinrich II. Reuß von Plauen bis jetzt Schulden über 5231 fl. nicht beglichen habe. Und sie enden mit der Klage des kurpfälzischen Kammerrats Johann Zwirlein, ihm seinen von der Stadt Worms aberkannten Sitz im dortigen Rat zurückzugeben. Schon die Verzeichnung dieser etwa 15% der vorhandenen Judizialakten hat eine Fülle von aufschlussreichen Informationen über die Aktivitäten des Reichshofrats zutage gefördert.

 

Mehr als vermutet, hat er sich Fällen aus den Randgebieten des Reiches angenommen, beispielsweise aus den Niederlanden, dem Baltikum oder der Schweiz. Selbst in Gebieten, die wie Österreich, Böhmen oder Schlesien an sich seiner rechtlichen Zuständigkeit entzogen waren, war er aktiv. Außerdem enthält das Material eine Fülle von Suppliken und Bittschreiben an den Kaiser, die man in diesem Umfang und dieser Vielfalt nicht erwartet hatte. Erstaunlich auch, wie häufig sich Reichsangehörige aller Stände und Konfessionen an das Reichsoberhaupt wandten - oft ungeachtet bestehender Appellationsprivilegien! Die Akten werfen neues Licht auf den Kaiser als obersten Richter und als Aufsichtsorgan über das Gerichtswesen im Reich, einschließlich des Reichskammergerichts, mit dem mehr, als bisher angenommen, kooperiert statt rivalisiert wurde. Wie auch noch heute schlägt sich in diesen Prozessakten das gesamte Leben einer Zeit nieder. Sie sind also nicht nur erstrangige Quellen der Rechts-, Kriminalitäts- und Verfassungsgeschichte, sondern sie geben auch Einblicke in Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und selbst in die Technik. Regional- und Lokalgeschichte können ebenso aus ihnen schöpfen wie Familien- und Personengeschichte.

 

Welches Recht den Entscheidungen zugrunde lag, lässt sich allerdings aus den Akten ebenso wenig ermitteln wie die Methoden, denen der Reichshofrat dabei folgte. Denn es bestand in dieser Hinsicht eine strenge Geheimhaltungspflicht, da befürchtet wurde, sonst mit den Vertretern der Parteien und der interessierten Öffentlichkeit in endlose Kontroversen gezogen zu werden. Aber es ist ja bekannt, dass die sogenannten Reichsgrundgesetze, Wahlkapitulationen, Lehnsordnungen, die Corpora Iuris Civilis et Canonici u. ä. Richtschnur der Entscheidungsfindung waren.

 

Die Alten Prager Akten, die jetzt nicht durch eine Edition, doch durch ausführliche Findbehelfe der Forschung zugänglich sind, werden nicht nur durch Orts-, Personen und Sachregister zuverlässig erschlossen, sondern auch durch eine chronologische Konkordanz wie Register zu den Reichshofratsagenten und mit den Fällen befasster Vorinstanzen. Die Mühen der erfreulich rasch zum Abschluss gekommenen Erschließung haben sich auf jeden Fall gelohnt. Sie haben nicht nur das Wissen über den Reichshofrat deutlich erweitert, sondern auch ein vertieftes Bild über seine Stellung gegenüber dem Reichskammergericht erbracht. Das für die Geschichtswissenschaft vielleicht wichtigste Ergebnis ist aber wohl darin zu sehen, dass die Stellung der Kaisers im politischen System des Alten Reiches im 16. und 17. Jahrhundert, vor allem dessen Beziehung zu Untertanen wie Reichsständen, in einem neuem Licht erscheint.

 

 

Eichstätt                                                        Karsten Ruppert