Schiegg, Markus, Frühmittelalterliche Glossen. Ein Beitrag zur Funktionalität und Kontextualität mittelalterlicher Schriftlichkeit (= Germanistische Bibliothek 52). Winter, Heidelberg 2015. 381 S., Abb., Tab. Besprochen von Gerhard Köbler.
Schiegg, Markus, Frühmittelalterliche Glossen. Ein Beitrag zur Funktionalität und Kontextualität mittelalterlicher Schriftlichkeit (= Germanistische Bibliothek 52). Winter, Heidelberg 2015. 381 S., Abb., Tab. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die geäußerten Gedanken des Menschen sind von den Adressaten angesichts der grundsätzlichen Individualität nicht immer leicht und eindeutig zu verstehen. Aus diesem Grunde hat sich die Glosse als der Versuch der Verständnishilfe durch Erklärung entwickelt. Für das deutsche Frühmittelalter sind dabei die volkssprachigen Glossen lateinischer Texte wegen der sonstigen allgemeinen Begrenztheit volkssprachiger frühmittelalterlicher Zeugnisse von besonderem Wert.
Mit einem Teilaspekt dieser Thematik befasst sich die von Wulf Oesterreicher und Beate Kellner betreute, im Sommersemester 2013 an der Universität München angenommene Dissertation des aus Schwabmünchen kommenden, seit 2005 an der Universität Augsburg ausgebildeten, zuletzt an der University of Bristol tätigen Verfassers, deren Idee einer textlinguistischen Untersuchung nach dem kurzen Vorwort auf Rolf Bergmann und deren Konzept der Paratextualität von Glossen auf Claudine Moulin zurückgeht. Sie gliedert sich nach der Problemstellung über Fragestellungen und Zielsetzungen der Arbeit, Vorgehensweise und definitorische Vorklärungen im Sinne eines funktionalen Glossenbegriffs in sechs Abschnitte. Sie betreffen Glossen im Überlieferungskontext (der funktionalen Perspektive des Althochdeutschen des östlichen Frankenreichs), textlinguistische Fundierung, Kotextualität, Paratextulität, Dimension C der Textualität – Kontextualität und ab Seite 209 die Textualität von Archiv des Bistums Augsburg Hs. 6 (Diözesanmuseum Augsburg 1002) mit Neuedition vierer Glossen.
Im Ergebnis seiner eindringlichen Forschung kann der Verfasser feststellen, dass die von ihm untersuchte, im zweiten älteren Teil in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts vielleicht in Würzburg geschriebene Handschrift mit zehn neumengeheimschriftlichen Glossen das größte bekannte Korpus dieses Schriftsystems überliefert. Die acht althochdeutschen Glossen sind in der Edition Steinmeyer-Sievers‘ (V, 18) äußerst knapp und teilweise fehlerhaft erfasst (vier teilweise nur lateinische Glossen neuediert auf den Seiten 212ff. als sabbatis s. in tultedagen, tolle hunc frúme Ínan, inpenetrabilibus incubilibus Neufund, moriebatur tfrp bzw. tero Neufund, zu ahd. terien/terren schaden). Abschließend lokalisiert der Verfasser die Handschrift in den intellektuellen Kontexten zwischen Monastik und Scholastik und sieht sich darin bestätigt, dass das in seiner Arbeit entwickelte textlinguistische Modell funktional-kontextueller Analysen glossierter Handschriften Erkenntnisse systematisieren und erweitern kann, wofür allerdings die editorischen Grundlagen entweder bereits vorliegen oder im Vorfeld geschaffen werden müssen.
Innsbruck Gerhard Köbler