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Glossner, Christian L., Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Die politische Vermittlung und gesellschaftliche Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft im Nachkriegsdeutschland. Nomos, Baden-Baden 2014. 303 S., Abb. Besprochen von Werner Schubert.

Glossner, Christian L., Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Die politische Vermittlung und gesellschaftliche Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft im Nachkriegsdeutschland. Nomos, Baden-Baden 2014. 303 S., Abb. Besprochen von Werner Schubert.

 

Das Werk Glossners ist die deutsche Fassung des 2010 in Oxford erschienenen Buches „The Making of the German Post-War Economy Political communication and public reception of the Social Market Economy after World War 2“, das auf einer Oxforder Dissertation Glossners von 2004 beruht. Wie der Untertitel des Werkes Glossners besagt, liegt der Focus der Arbeit weder auf der Entstehung noch der theoretischen Definition individueller Wirtschaftskonzepte, „sondern auf deren jeweiliger Kommunikation gegenüber der politischen Klasse und der allgemeinen Öffentlichkeit“ (S. 34). Das Buch ist in zwei Abschnitte unterteilt: „Wissenschaftliche Konzepte zwischen Neo-Liberalismus und Neo-Sozialismus“ und „Politik und öffentliche Meinung“. Das Kapitel über „Wissenschaftliche Konzepte zwischen Neo-Liberalismus und Neo-Sozialismus“ (S. 70ff.) behandelt die Themen die „Freiburger Schule und der Neo-Liberalismus“, die „Freiburger Schule und der Ordo-Liberalismus“ und die „Kölner Schule und die Soziale Marktwirtschaft“. Die Freiburger Schule geht zurück auf die Arbeitsgemeinschaft Volkswirtschaftslehre unter Erwin von Beckerath, die sich als private, nicht öffentliche Fortsetzung der zum 1. 3. 1943 aufgelösten Arbeitsgemeinschaft Volkswirtschaftslehre der Akademie für Deutsches Recht (Protokolle der Tagungen von 1940 und 1941 bei W. Schubert, Akademie für Deutsches Recht 1933-1945. Protokolle der Ausschüsse, Bd. XIX, 2011, S. 161ff.) formierte. Diese Arbeitsgemeinschaft befasste sich mit der Überleitung der Kriegswirtschaft in eine Friedenswirtschaft. Nach dem Kriegsende beeinflussten sowohl die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft E. von Beckerath (u. a. Beckerath, Adolf Lampe und Walter Eucken) die Grundlagen der wirtschaftlichen Neuordnung Deutschlands als auch die Freiburger Schule, die den Ordo-Liberalismus begründete (Böhm, Eucken, vorbereitet und unterstützt bereits im Krieg durch Wilhelm Röpke). Den größten Einfluss auf die Wirtschaftsordnung der Bizone (1947-1949) und die frühe Bundesrepublik hatte die Kölner Schule unter Alfred Müller-Armack, der bereits 1946 den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ (zur Urheberschaft dieses Begriffs S. 95 Fn. 249), für die zu schaffende Marktwirtschaft verwandte.

Die Konzeption einer Sozialen Marktwirtschaft übernahm Ludwig Erhard, der am 2. 3. 1948 zum Direktor der Abteilung „Wirtschaft“ im Verwaltungsrat des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets (Bizone) vom parlamentarisch zusammengesetzten Wirtschaftsrat gewählt wurde. Erhard (damals nicht Mitglied der CDU, die Mitgliedschaft ist bis heute umstritten; S. 114 Fn. 360) setzte für die Bizone und die CDU/CSU die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft, unterstützt durch eine „einflussreiche Lobby-Vereinigung“ (Geschäftsleute, leitende Angestellte, Beamte, Journalisten und Politiker), durch, welche die Grundlage der Wirtschaftspolitik des Kabinetts Adenauer wurde. Im nächsten Kapitel geht es um: „Politische Überlegungen zwischen programmatischer Intention und programmatischem Imperativ“ (S. 117ff.). Die SPD trat für Wirtschaftsplanung und Vergesellschaftung, die CDU/CSU unter dem Begriff der Sozialen Marktwirtschaft für eine rechtlich geregelte Wettbewerbsordnung (zur bisher wenig bekannten Konzeption der CSU S. 151ff.) ein, für die sich Adenauer im Parlamentarischen Rat und Erhard in den Gremien der Bizone einsetzten. Im Abschnitt II behandelt Glossner die Durchsetzung der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft „in der öffentlichen Meinung“ (S. 183ff.) unter den Überschriften: „Benommenheit und Suche nach Orientierung (1945/46)“, „Ernüchterung und Enttäuschung (1947)“, „Hoffen und Bangen (1948)“, und „Zufriedenheit und Zuversicht (1949)“. Grundlage dieses Teils ist eine Vielzahl von Quellen wie Meinungsumfragen, Tages- und Wochenzeitungen, Pressedienste, Radiosendungen usw. Glossner weist detailliert nach, dass die Debatte über die Soziale Marktwirtschaft nicht „in den Büros der Stabsstellen und auch nicht im Parlament, sondern im Zentrum der öffentlichen Debatte“ entschieden wurde (Umschlagstext).

 

Das Werk wird abgeschlossen mit einer knappen Zusammenfassung (Konklusion) und 14 Anlagen (u. a. Liste der Verwaltung der Amerikanischen, der Britischen Besatzungszone, der Anglo-Amerikanischen Bizone und des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, die parlamentarischen Mitglieder des Wirtschaftsrats, die lizensierten Zeitungen [1945-1949] nach ihrer politischen Ausrichtung und die Wahlergebnisse in den Bundesländern und in West-Berlin [Bundestagswahl vom 14. 8. 1949]) und mit einem Register, in dem noch mehr an der Diskussion über die Wirtschaftsordnung beteiligten Personen hätten nachgewiesen werden sollen. Mit Recht stellt Glossner fest, dass sich die Zeit zwischen 1945 und der Gründung der Bundesrepublik nicht „als reines Interregnum oder gar Intermezzo“ charakterisieren lasse. Glossner zeichnet nicht nur die um Anerkennung ringenden wirtschaftspolitischen Konzeptionen dieser Zeit nach, sondern bringt vor allem alternative Erklärungen „dafür, warum sich die ‚Soziale Marktwirtschaft‘ als Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für die Bundesrepublik Deutschland durchsetzte“ (S. 230). Die Untersuchungen beruhen auf einer Vielzahl bisher noch nicht hinreichend ausgewerteter Quellen und vermitteln ein anschauliches Bild über die politischen Auseinandersetzungen in der Zeit der Bizone und der Zeit des Wahlkampfs für den ersten Bundestag. Mit seinem engagiert und glänzend geschriebenen Werk hat Glossner einen wichtigen Beitrag zur Entstehung und Durchsetzung der wirtschaftspolitischen Grundlagen Deutschlands vorgelegt, den auch der Rechtshistoriker nicht außer Acht lassen sollte.

 

Kiel

Werner Schubert