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Klarsfeld, Beate/Klarsfeld, Serge, Erinnerungen, mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe von Klarsfeld, Arno, aus dem Französischen von Schade, Anna/Stephani, Andrea/Reuter, Helmut. Piper, München 2015. 624 S., 22 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

Klarsfeld, Beate/Klarsfeld, Serge, Erinnerungen, mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe von Klarsfeld, Arno, aus dem Französischen von Schade, Anna/Stephani, Andrea/Reuter, Helmut. Piper, München 2015. 624 S., 22 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Zu Serge Klarsfelds achtzigsten Geburtstag legen Serge und Beate Klarsfeld einen Erinnerungsband über ihre lange gemeinsame Zeit und ihre Bemühungen vor, Verbrechen gegen Juden in Deutschland und in Frankreich vor Gericht zu bringen. Ihre Bemühungen wären nicht vollständig geschildert, wenn nicht auch die intensiven Arbeiten aufgezeigt würden, mit denen sie den Überlebenden und den Nachkommen der Ermordeten ein kleines Maß an finanzieller Hilfe zukommen lassen wollten. Der lange gemeinsame Weg von den Protesten gegen Bundeskanzler Kiesinger ab dem Jahre 1967 bis zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse im Jahre 2015 wird in wechselnden Kapiteln eindringlich geschildert. Die Aktionen in den verschiedensten Ländern der Welt zeigen ein eindringliches Panorama der Ungerechtigkeiten. Gegner sind die Ajatollahs im Iran ebenso wie Diktatoren in Südamerika und zahlreiche andere. Das Schwergewicht der Aktivitäten liegt indessen in Deutschland und Frankreich. Ausgehend von der Voraussetzung, dass erst Strafverfahren gegen die deutschen Täter, die Juden in Frankreich zu Tode brachten und bislang einer Anklage oder Verurteilung entgingen, nötig sind, bevor ihre im französischen Staat von Vichy daran mitwirkenden Verantwortlichen vor Gericht gebracht werden können, haben die Klarsfelds den Verbrechen von Barbie, Lischka, Hagen und anderen eine bis dahin unbekannte Öffentlichkeit verschafft. Danach war die Öffentlichkeit, und ihr folgend die Justiz, in Frankreich bereit, Verfahren gegen Papon, Bousquet und Leguay anzustrengen. Eindringlich schildern Beate und Serge abwechselnd in Kapiteln die einzelnen Aktionen. Die erreichten Erfolge wären nicht möglich gewesen, wenn nicht überaus intensive Arbeiten in den Archiven vorausgegangen wären, in denen die Verbrechen in Dokumenten belegt waren. Anders als vielfach auf staatlicher Seite entfalteten beide eine rege Fantasie bei der Ermittlung maßgeblicher Dokumente. In bis dahin ungewohnter Öffentlichkeitsarbeit wurden diese Aktenfunde präsentiert. Überaus ehrlich schreibt Beate ‚Mir wurde langsam klar, dass mein ganzes Material nur Wirkung haben würde, wenn es mit spektakulären Aktionen einherging, auf die sich die sensationsgierige Presse stützen würde‘ (S. 119). Im Nachhinein ist es vergnüglich zu lesen, welcher Einfälle es bedurfte, um ein gewünschtes Ziel zu erreichen: Ob durch eine Falschmeldung Präsident Mitterand auf Abstand zu Pétain gebracht wurde (S. 495), oder ob eine Bedrohung Alfred Strippels die Arbeit der Justiz beschleunigte (S. 414), die Ideen galten dem zu erreichenden Ziel. Die Arbeit zeugt davon, dass trotz aller Schwierigkeiten die von den Autoren gewählte Vorgehensweise im Großen und Ganzen erfolgreich war, und dadurch Einzeltötungsaktionen, wie die von Christian Didier gegen René Bousquet, vermieden wurden. Das Beispiel Didiers zeigt, dass in dieser Zeit die Autoren nicht die Einzigen waren, die in Frankreich die Verbrechen der Vichy-Zeit thematisierten. Zu ihrer Unterstützung zogen die Klarsfeld verschiedentlich Töchter und Söhne getöteter Deportierter heran. Mit Überraschung liest man, dass die psychologische Beeinflussung von Gerichten durchaus zum Werkzeugkasten der Agierenden gehörte. Bei allem Verständnis für die angestrebten Ziele zeugt dies von einem Rechtsverständnis, das der Rezensent nicht teilen kann. An anderen Stellen der Arbeit wird eine Unkenntnis des bundesdeutschen Rechtswesens erkennbar. Ist das ‚Strafgesetzbuch der Bismarckzeit‘ (S. 411) ein beliebter Topos von Amateurjuristen, so sollte dies ein Advokat vermeiden. In ähnlicher Weise erstaunlich ist es, dass nach einer Urteilsverkündung (S. 143) die verhängte Strafe in einem Beschluss zur Bewährung ausgesetzt wird. Ob hier der Richter § 56 StGB nicht angewandt hat oder die Verurteilte sich an einen anderen zeitlichen Ablauf erinnert, ist ohne Kenntnis der näheren Umstände schwer zu entscheiden. Ob es am Landgericht in Köln einen Präsidenten einer Kammer gab, mag dahin stehen; jedoch wäre es eine sehr neuartige Verfahrensgestaltung im Strafverfahren, wenn eine eingereichte Anklageschrift ‚erst noch abgenommen werden musste‘ (S. 396). War die Übersetzung falsch oder schrieb der Autor es nicht anders? Zu den neuen prozessualen Erkenntnissen trägt der Autor auch bei, wenn nach seiner Kenntnis in Deutschland der vorsitzende Richter eines Schwurgerichts per Los ermittelt wird (S. 522). In der Zeit, in der diese Erinnerungen handeln, war dies nicht die Gesetzeslage. Für ein besonderes Verständnis von der rechtlichen Verfahrensweise bei einem befangenen Richter wird im Falle Castagnède (S. 527) berichtet. Obwohl der Richter eine überaus enge persönliche Verwandtschaft zu einem der bekannten Opfer hatte, führt dies nicht zu einem Ausschluss aus dem Verfahren. Die hier gezeigte Verfahrensweise erhöht nicht das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Wenn man eine Verhandlung nicht als ein rechtsstaatliches Verfahren ansieht, sondern als ein ‚Stück im großen Theater des Justizpalastes‘ (S. 518) so zeugt dies von einem eigenen Rechtsverständnis.

 

Dem Nachwort ist zu entnehmen, dass die Autoren die Arbeit wohl nicht schreiben wollten; als sie es dann verfassten, war ersichtlich nicht klar, ob es eine Schrift sein sollte, die sich historischen Ansprüchen annähern wollte oder ein publikumsnaher Rechenschaftsbericht zu den durchgeführten Aktionen. Die gelegentlich eingesetzten Fußnoten zeigen, dass historische Arbeit im Ansatz geplant war. Jedoch war wohl die dafür notwendige Arbeit größer als es der Zeitrahmen zuließ, der dann drei Übersetzer erforderte. Ein Lektorat hätte den Termin des Auftritts gegen Kiesinger im Bundestag (1. 2. 1968: S. 120; 2. 4. 1968: S. 613) möglicherweise vereinheitlicht und den richtigen Termin (2. 4. 1968) gefunden. Gewiss sind französischen Lesern die beinahe 20 verwandten Abkürzungen geläufig, einem deutschsprachigen Leser hätte ein Abkürzungsverzeichnis mit der französischen Originalbezeichnung und der Übertragung ins Deutsche die Lektüre erleichtert. Ein Ärgernis ist der Quellennachweis, der eine Zufallsauswahl enthält und nicht die zahlreichen Dokumente und im Text erwähnten Überblicksschriften mit ihren Fundorten nennt. So ist der Leser darauf angewiesen, die Angaben des Textes zu glauben oder selber zu forschen. Dabei ist ihm sicher nicht das Register behilflich. Die Seiten 617 bis 624 sind wertlos. Weder sind die Seitenangaben richtig noch sind die im Text genannten Personen sämtlich aufgeführt. Ersichtlich wurde das Register auf der Grundlage einer anderen Textvorlage als den zum Druck gelangten Erinnerungen erstellt. Bedauerlich ist es, dass ein sonst renommierter Verlag eine derartige Fehlleistung durchgehen lässt.

 

Für die Autoren und die noch zu bewältigenden Arbeiten ist es sicher eine große Genugtuung, dass ihr Sohn Arno, der schon früh an Aktionen teilnahm, die Arbeit sachkundig begleitet und vielleicht an den Stellen, wo es einmal nötig wird, fortführen wird. Sein überaus bewegendes Vorwort bestätigt trotz aller Einwände ‚Ja, sie hatten vor allen anderen recht‘.

 

Neu-Ulm                                                                                                       Ulrich-Dieter Oppitz