Keazor, Henry, Täuschend echt! Eine Geschichte der Kunstfälschung. Theiss/Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2015. 256 S., 40 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.
Keazor, Henry, Täuschend echt! Eine Geschichte der Kunstfälschung. Theiss/Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2015. 256 S., 40 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.
Der 1965 in Heidelberg geborene Kunsthistoriker Henry Keazor hat sich nach Studien in Heidelberg und Paris mit Arbeiten zur französischen und italienischen Barockmalerei akademisch qualifiziert (Promotion 1996, Habilitation 2005). Über Assistentenstellen in Florenz und Frankfurt am Main sowie eine Gastprofessur in Mainz führte ihn sein Weg 2008 als Professor an die Universität des Saarlandes, von der er 2012 zurück an die Universität Heidelberg wechselte, wo er seither am Institut für Europäische Kunstgeschichte den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Kunstgeschichte bekleidet. Der spektakuläre Prozess um den (2011 verurteilten, mittlerweile wieder auf freiem Fuß befindlichen) deutschen Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi hat Henry Keazors besondere Aufmerksamkeit gefunden und sein grundsätzliches Interesse an der Thematik der Kunstfälschung weiter angeregt. Im Vorjahr trat er nicht nur als Ko-Herausgeber eines entsprechenden Sammelbandes auf [Henry Keazor, Tina Öcal (Hg.), Der Fall Beltracchi und die Folgen. Interdisziplinäre Fälschungsforschung heute (2014)], sondern interviewte den Kunstfälscher in Arne Birkenstocks Dokumentarfilm „Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“ (2014) auch persönlich. Folgerichtig bindet der nun zur Besprechung vorliegende, mit 40 kleinformatigen, entweder ein Original einer Fälschung gegenüberstellenden oder berühmte gelungene Fälschungen präsentierenden Abbildungen ausgestattete Band den aktuellen Fall in eine lange Tradition der Kunstfälschung ein.
Zunächst werden in einer 38 Seiten umfassenden Einleitung jene „verschiedenen Begriffe und Konzepte in den Blick genommen, die sich mit dem Phänomen der Fälschung verbinden“, um zu zeigen, „wie wenig einfach und eindeutig dieses entgegen der landläufigen Meinung tatsächlich ist“ (S. 11). Entgegen trivialem Dafürhalten sei Gewinnstreben nur selten das alleinige Motiv für die Fälschung von Kunstwerken gewesen, denn dieses stand oft erst am Ende einer langen Motivkette, die häufig im Geltungsdrang eines Fälschers wurzelt. Es sei daher unumgänglich, eine präzise Terminologie der Fälschung einzuführen. So kann eine Fälschung (Fake) als lehrreicher Schwindel, als sogenannter Hoax intendiert sein, eine mit den Mitteln der Fälschung arbeitende, aber in kritischer Absicht vorgenommene Manipulation, die ihre Enttarnung mit beinhaltet, um beispielsweise Experten vorzuführen und Schwachstellen des Kunstbetriebes aufzudecken. Bleibe die Aufdeckung aber aus, könnten Hoaxes den Charakter von Fakes annehmen, und eine Verschmelzung beider sei am besten mit der Begriffskombination des Foax (aus Fake und Hoax) zu erfassen. Ein anthropologisches Beispiel aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Großbritannien, die Fälschung des sogenannten Piltdown-Menschen, illustriert auch abseits der Kunstszene die Verquickung unterschiedlicher Beweggründe, „angefangen bei ‚ideellen Motiven‘ wie dem, ein vermeintlich noch nicht entdecktes oder identifiziertes Objekt zu fälschen, um eine Überlieferungs- und Forschungslücke zu schließen, über Ruhmsucht (Dawson) und Gewinnstreben - Woodwards Assistent Frank O. Barlow verdiente an den Gipsmodellen des Piltdown-Menschen -, bis hin zu der Absicht, Experten bloßzustellen (Teilhard de Chardin)“ (S. 21). Klaus Döhmer unterscheidet in seiner 1978 entworfenen Fälschertypologie analog zwischen den idealtypischen Kategorien des Irreführers und des Kunstbetrügers, die in der Praxis zumeist in Kombination auftreten.
Die Beantwortung der Frage, ob Fälschungen ein künstlerischer Wert zuzurechnen sei, offenbare, dass auch das Verhältnis zwischen „echtem“ Original und „unechter“ Fälschung komplexer sei als gemeinhin angenommen. Der Philosoph Alfred Lessing habe etwa darauf hingewiesen, dass manches zunächst für ein Original gehaltene Werk von der Kunstkritik hoch gelobt wurde, aber, als es sich als Fälschung erwies, sofort der Verachtung anheimfiel, ohne dass sich ein solches Verdikt ästhetisch rechtfertigen ließe. In den mittlerweile zahlreichen Filmproduktionen über Fälscher findet sich zudem nicht selten die Klischeevorstellung vom idealistischen Künstler, der vom „bösen“ Markt auf Abwege gebracht wird. Henry Keazor listet das Spektrum der unterschiedlichen Möglichkeiten des Umgangs mit einem Original näher auf, von der Replik (Wiederholung eines eigenen Werks durch den Künstler selbst) über die Kopie (Wiederholung des Werks eines Künstlers durch einen anderen Künstler; als Original ausgegeben, wird die Kopie zur Fälschung), das Pasticcio (einzelne Elemente aus den Werken eines Künstlers werden von einem anderen Künstler neu zusammengestellt), die Stilaneignung (Übernahme allgemeiner stilistischer Elemente eines Künstlers oder einer Epoche) bis hin zur objektiven (einem neu geschaffenen Objekt werden irreführende, die vermeintliche Echtheit bestätigende Details hinzugefügt, oder ältere, wenig wertvolle Objekte werden „hyperrestauriert“, also in Teilen frei ergänzt) und subjektiven Verfälschung (ein Werk wird zwar materiell nicht verändert, aber durch Hinzufügung eines irreführenden Dokumentationskontextes als Original präsentiert). So seien die meisten der auch dem Fälscher zu Gebote stehenden Verfahren für sich genommen „vollkommen legal und legitim. Erst in dem Moment, in dem sie mittels objektiver und/oder subjektiver Verfälschung dazu eingesetzt werden, ein Werk als Original auszugeben, das gar nicht original ist, erfüllt sich der Tatbestand der Fälschung“ (S. 43).
Ob der Begriff der Fälschung in seiner heutigen Bedeutung bereits auf das Altertum anwendbar sei, wird kontrovers diskutiert. Hingegen sind Antikenfälschungen seit der Renaissance belegt, angefangen mit Michelangelos (1475 – 1564) verschollener, als antik ausgegebener Plastik Schlafender Cupido bis zur vorgeblich skythischen Tiara des Saitaphernes, eine Schöpfung Israel Dov-Ber-Rouchomovskys (1860 – 1934), oder den Etruskischen Kriegern Alfredo Fioravantis (1886 – 1963) und Alfonso Riccardis. Ab dem 19. Jahrhundert wurde auch Renaissancekunst im größeren Stil gefälscht, so von Giovanni Bastianini (1830 – 1868) und Alceo Dossena (1878 – 1937). Da „die hohe Qualität der Fälschungen die Fähigkeit ihrer Schöpfer bewies, an eine jeweils weit zurückliegende Epoche und Tradition lückenlos anzuknüpfen: Michelangelo an die Antike, Bastianini und Dossena an die Renaissance“, wurde der jeweilige Fälscher „für seine täuschenden Werke nicht verurteilt, und diese w[u]rden selbst nach ihrer Entlarvung weiterhin hoch geschätzt“; Käufer und Publikum erkannten darüber hinaus „das eigene Unvermögen, Original und Fälschung zu unterscheiden“ (S. 158). Zu den bekanntesten Elaboraten aus Fälscherhand der jüngeren Vergangenheit zählen Otto Wackers (1898 -1970) Van Goghs, Han van Meegerens (1889 – 1947) Vermeers, Elmyr de Horys (eig. Elemir Horthy, 1905 – 1976) und Wolfgang Beltracchis (geb. 1951 als Wolfgang Fischer) Fälschungen von Künstlern der klassischen Moderne sowie Shaun Greenhalghs (geb. 1961) ungemein vielfältiges Opus (der Autodidakt sei „enorm talentiert und scheint von altägyptischer Skulptur über römisches Silber und keltischen Schmuck bis hin zur Plastik des 20. Jahrhunderts fast jeden Stil und jede Technik zu beherrschen“ und war „zudem sehr produktiv“, sodass davon ausgegangen werden müsse, „dass es in vielen Sammlungen bislang nicht enttarnte Fälschungen von seiner Hand gibt, deren tatsächliche Provenienz möglicherweise niemals aufgedeckt werden wird“; S. 198).
Der Verfasser bettet die Geschichte dieser schillernden Persönlichkeiten und ihrer Fälschungen jeweils in die Kontexte des zeitgenössischen Kunstbetriebes und der medialen – vor allem filmischen – Rezeption ein; ihrer Enttarnung folgten in aller Regel entsprechende Gerichtsprozesse und Verurteilungen. Die eigentliche Gefahr, die von gelungenen Fälschungen ausgeht, sieht Henry Keazor in einer Irreführung der Forschung: „Solche Fälschungen bestätigen als vermeintliche Originale kunstgeschichtliche Forschungen und visualisieren sie. […] Während die Forschung glaubt, […] eine objektive Bestätigung bestimmter Resultate und Theorien gefunden zu haben, handelt es sich tatsächlich um nichts anderes als eine Widerspiegelung eben dieses Wissensstandes. Zudem […] besteht die Gefahr, dass die Forschung auf der Basis […] neue Hypothesen und Annahmen gründen könnte, ohne zu ahnen, dass es sich dabei lediglich um persönliche Interpretationen de[r] Fälscher handelt“ (S. 241). Daher sei es dringend geboten, Fälschungen dauerhaft zu Studienzwecken aus dem Verkehr zu ziehen, geschlossen zu sammeln und zu inventarisieren. Die in der Tradition eines schon 1898 installierten, gedruckten Vorgängers (Organ des „Angst-Vereins“) stehende, seit 2011 online abrufbare „Datenbank kritischer Werke“ müsse deshalb, wie vom Verfasser auch an anderer Stelle bereits mehrfach gefordert, um ein „Zentrales Fälschungsarchiv“ ergänzt werden.
Die Arbeit zeigt daneben, dass der Erfolg von Fälschungen allgemein häufig einfach darauf beruht, dass sie Erwartungen bedienen. Die erwähnten, keineswegs perfekt gefälschten etruskischen Statuen seien trotz ihrer offenkundigen Mängel „vielleicht auch deshalb so bereitwillig aufgenommen [worden], weil sie, aufgrund ihrer Nähe zur zeitgenössischen Skulptur [Wilhelm Lehmbrucks Stehender Jüngling von 1913], weniger fremd wirkten als etwa der originale Apoll von Veio“ (S. 62). Der gleiche Mechanismus hat - um hier ergänzend ein Paradebeispiel aus der Geschichtswissenschaft zu bemühen, einem mit Fälschungen aller Art seit jeher konfrontierten Sektor der Forschung - wohl auch Konrad Kujaus Jahrhundertfälschung der Hitler-Tagebücher den Applaus namhafter Gelehrter und damit kurzfristigen Erfolg beschert: Man wünschte sich solch eine intime Quelle ersten Ranges aus dem Zentrum der Diktatur und bekam sie – und dabei blendete man zunächst konsequent alles aus, was gegen ihre Authentizität sprach. Sohin bestätigt sich einmal mehr die (nicht nur in Gerichtsprozessen) stets präsente Gefahr der Täuschung, der wir unterliegen, wenn wir das Produkt unserer selektiven Wahrnehmung mit der objektiven Realität verwechseln.
Kapfenberg Werner Augustinovic