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Whaley, Joachim, Das Heilige Römische Reich und seine Territorien 1493-1806, Band 1 Von Maximilian I. bis zum Westfälischen Frieden 1493-1648, Band 2 Vom Westfälischen Frieden bis zur Auflösung des Reichs 1648-1806, aus dem Englischen v.  Haupt, Michael/Sailer, Michael, mit einem Vorwort v. Gotthard, Axel. Philipp von Zabern, Darmstadt 2014. 846, 836 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

Whaley, Joachim, Das Heilige Römische Reich und seine Territorien 1493-1806, Band 1 Von Maximilian I. bis zum Westfälischen Frieden 1493-1648, Band 2 Vom Westfälischen Frieden bis zur Auflösung des Reichs 1648-1806, aus dem Englischen v. Haupt, Michael/Sailer, Michael, mit einem Vorwort v. Gotthard, Axel. Philipp von Zabern, Darmstadt 2014. 846, 836 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Heiliges römisches Reich ist die sich allmählich ausformende Bezeichnung für das aus dem Reich der Franken mit dem Übergang von den Karolingern zu den Ottonen hervorgehende Reich der Deutschen, das seit der Spätzeit Friedrich Barbarossas vereinzelt, seit etwa 1230 häufiger sacrum Romanum imperium genannt wurde. Dass sich dafür die deutsche Geschichtsschreibung seit ihrer Entstehung interessiert, ist selbverständlich. Dass sich damit aber auch ein englischer Historiker eindringlich befasst, wird man als ziemlich ungewöhnlich und zugleich außerordentlich erfreulich hervorheben dürfen.

 

Der 1954 geborene Verfasser dieses großen Werkes ist nach dem Studium der Geschichte bereits 1983 durch seine in Cambridge angenommene Dissertation über Religious toleration and social change in Hamburg (zwischen 1529 und 1819, deutsche Übersetzung 1992) als vorzüglicher Kenner deutscher Geschichte hervorgetreten. Auf dieser Grundlage wurde er als Professor of German History and Thought an seine Heimatuniversität berufen. Nach langen Jahren unermüdlicher Lehre und Forschungsarbeit am Gonville and Caius College konnte er 2012 seine voluminöse Darstellung in englischer Sprache vorlegen, die in verhältnismäßig kurzer Zeit auch auf Deutsch zugänglich gemacht werden konnte.

 

Im Vorwort zur deutschen Ausgabe stellt Axel Gotthard die Neuerscheinung als eine umfassende deutsche Geschichte vor, die all die vielen Spezialinteressen eines mit fortschreitender Arbeitsteilung immer kleinteiliger fragmentierten Wissenschaftsbetriebs zusammenbindet. Das ist für deutsche Forscher schon schwierig genug. Für im Ausland tätige Wissenschaftler stellt dies eine ganz besonders anerkennenswerte Leistung dar.

 

Ausgangspunkte des ersten, von Michael Haupt in das Deutsche übertragenen Bandes sind dabei nach einer kurzen Einführung über Narrative deutscher Geschichte der frühen Neuzeit Deutschland und das Heilige römische Reich im Jahre 1500, für die der Verfasser Ursprünge und Grenzen, das politische Gemeinwesen, den Flickenteppich der Territorien (darunter etwa 65 Reichsstädte und freie Städte) und das Verhältnis zur deutschen Nation erörtert. Dem folgen die Reform von Reich und Kirche zwischen etwa 1490 und 1519, Karl V. und die Reformation in den 1520er Jahren, die Zähmung der Revolution zwischen 1526 und 1555, die Verwaltung des Friedens zwischen 1555 und 1618 sowie die deutschen Territorien und Städte nach 1555. Mit der detaillierten Darstellung des dreißigjährigen Krieges zwischen 1618 und 1648 und seines Einflusses auf die deutsche Gesellschaft und das deutsche politische Gemeinwesen endet der erste Band.

 

Auch der zweite, von Michael Sailer übersetzte Band gliedert sich in sechs Teile. Er behandelt im Wechsel zwischen dem Reich und seinen Teilen nacheinander Auferstehung und neues Leben zwischen 1648 und 1705 unter Ferdinand III. und Leopold I., Konsolidierung und Krise zwischen 1704 und 1740 unter Joseph I. und Karl VI., die deutschen Territorien um 1648 bis 1760 mit besonderer Berücksichtigung Österreichs und Brandenburg-Preußens, Niedergang oder Reife des Reiches von etwa 1740 (Karl VII.) bis 1792 (Leopold II.) und die deutschen Territorien nach 1760 unter Hervorhebung der Aufklärung und der wirtschaftlichen Zeitfragen. Er schließt mit Krieg und Zerfall im Widerhall der französischen Revolution des Jahres 1789 zwischen 1792 und 1806.

 

Am Ende betont der Verfasser zwar, dass das Heilige römische Reich 1806 unwiederbringlich dahin war. Die Tatsache seiner durch Napoleon beendeten Existenz prägt aber weiter das Leben der deutschsprachigen Einwohner Mitteleuropas. Seine Geschichte kann dazu beitragen, zu verstehen, wie Deutschland und Europa zu dem wurden, was sie in der Gegenwart sind.

 

Den anregend und überzeugend verfassten Texten mit den anschließenden Anmerkungen folgt ein umfangreiches Verzeichnis überwiegend deutschsprachiger Literatur. Ein Register von Aachen bis Zwinger (Dresden) schließt die vielschichtige und gleichwohl die großen Linien nie außer Acht lassende Darstellung benutzerfreundlich auf. Eingefügte Karten veranschaulichen wichtige politische Gegebenheiten.

 

Insgesamt ist dem Verfasser damit eine auch durch Dichte und Tatsachen beeindruckende, das Heilige römische Reich sachgerecht anerkennende Leistung gelungen. Sie verbindet Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Geistesgeschichte in vorzüglicher Weise. Möge sie trotz ihres gewichtigen Umfangs als „die wichtigste Veröffentlichung eines englischen Historikers zur vormodernen deutschen Geschichte seit Jahrzehnten“ auch viele deutsche Leser finden.

 

Innsbruck                                                                              Gerhard Köbler