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Bühler, Theodor, Rechtsschöpfung und Rechtswahrung an der Schnittstelle zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit aufgrund von mittelalterlichen Rechtsquellen insbesondere aus Mitteleuropa (= Europäische Rechts- und Regionalgeschichte Band 18). Nomos, Baden-Baden 2012. XLI, 245 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

Bühler, Theodor, Rechtsschöpfung und Rechtswahrung an der Schnittstelle zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit aufgrund von mittelalterlichen Rechtsquellen insbesondere aus Mitteleuropa (= Europäische Rechts- und Regionalgeschichte Band 18). Nomos, Baden-Baden 2012. XLI, 245 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Nach Ausweis des umfangreichen Literaturverzeichnisses des mit einem Stich David Herrlibergers vom Schwörsonntag im Züricher Großmünster um 1750 geschmückten Werkes ist der seit 60 Jahren wissenschaftlich tätige Verfasser 1972 mit einer gewichtigen Untersuchung über Gewohnheitsrecht und Landesherrschaft im ehemaligen Fürstbistum Basel erstmals besonders hervorgetreten. 1977 hat er als Band 1 einer Rechtsquellenlehre ein eindrucksvolles Werk über Gewohnheitsrecht - Enquête - Kodifikation vorgelegt. Ihm folgte in Rechtsquellenlehre 2 1980 eine Studie zu Rechtsquellentypen, die von zahlreichen kleineren und größeren Beiträgen begleitet wurde.

 

Sein nunmehr veröffentlichtes Werk geht nach dem kurzen Vorwort dementsprechend auf langjährige Forschungen zurück. Für sie erhielt der Verfasser Anregungen von der Volkskunde und zwar vor allem von der rechtlichen Volkskunde. Sein eigentliches Thema hat nach seinen Worten in der Forschung wieder an Aktualität gewonnen und einzelne Exponenten behaupten von sich, dass sie diesbezüglich Pioniere seien, was aber nach der Erkenntnis des Verfassers nicht zutrifft, weil sich Volkskunde und Ethnologie schon längst mit der Thematik befasst haben.

 

Gegliedert ist das neue Werk nach einer Einleitung über das Problem der Überwindung der Distanz zwischen Herrschaft und Untertanen, die Notwendigkeit, die Adressaten zu versammeln und eine andere Einstellung zum Recht als die heutige in zwölf Abschnitte. Sie betreffen die traditionellen Mittel der Kommunikation (Schrift, Bild, Sprache, Gebärde, Ritual und Ritualisierung, Inszenierung und Schauspiel sowie als Hilfsmittel Glocke, Kanzlei und Rathauslaube), die Erinnerung, den Eid, die Versammlung (Ding, Mahl, Plaid, Gemeinde, Turba, Duma, Tie, Konzil/Synode, Sent, Assise, Rat, Landtag, Versammlung der Alpgenossen), die Bürgerversammlung, Herrschaftszeichen und Herrschaftssymbole, Typen der Rechtsschöpfung in einer oralen Gesellschaft (Verlesung von vorformulierten Aufzeichnungen, Zustimmung zur Aufzeichnung eines tradierten und überarbeiteten Gewohnheitsrechts, die so genante Konsensgesetzgebung, Antworten auf Fragen, Conjuratio, Ermittlung des geltenden Rechts zum Zweck der Verschriftlichung, Rechtsprechung und normative Kraft des Faktischen), Rechtswahrung (Verlesung, Rechtsweisung), Kodifikation bzw. Gesetzgebung und Verschriftlichung, Weistümerverschriftlichungen im 15. und 16. Jahrhundert und Coutumier. Dabei gelingen dem Verfasser zahlreiche neue Einsichten.

 

Hierzu gehört etwa, dass der Entstehungsgrund der Rechtsgewohnheiten kaum je Gewohnheitsrecht gewesen ist und dass Rechtsgewohnheit selten Gewohnheitsrecht gewesen ist. Interessant ist auch die vielfältige Verwendung der Kodifikation oder die am Ende stehende Einsicht, dass die Solidarisierung einer Gemeinschaft der Bildung einer Gemeinschaft als Gemeinde vorausging, was aber dies zwang, sich zu organisieren, womit sie zu einer Körperschaft bzw. Genossenschaft im Sinne Otto von Gierkes wurde. Einzelne Auffälligkeiten wie Ambahlt trüben das große Gesamtbild einer ursprünglichen riesigen unkultivierten Landschaft mit Zivilisationsinseln und Recht, das geschaffen und gewahrt sowie in der Verschriftlichung aus den zeitgenössischen Rechtsquellen nachvollzogen und typisiert werden kann, nicht.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler