Ritter-Döring, Verena, Zwischen Normierung und Rüstungswettlauf. Die Entwicklung des Seekriegsrechts 1856-1914 (= Studien zur Geschichte des Völkerrechts 31). Nomos 2014. XVI, 420 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Ritter-Döring, Verena, Zwischen Normierung und Rüstungswettlauf. Die Entwicklung des Seekriegsrechts 1856-1914. Nomos 2014. XVI, 420 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Das Völkerrecht ist ingesamt ein bekanntes Beispiel für die Problematik der Entstehung von Recht und für die allmähliche Verrechtlichung des menschlichen Lebens im Laufe der Zeit. Mit einem seiner Teilbereiche befasst sich die von Michael Stolleis gestützte und betreute, im Sommersemester 2011 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt am Main angenommene Dissertation der im Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main eine wissenschaftlich äußerst stimulierende und freundliche akademische Heimat vorfindenden Verfasserin. Wie sie bereits zu Beginn ihrer Einleitung betont, gab es die ersten Versuche, ein allgemeines Einverständnis über Regeln des Seekriegsrechts zu erreichen, nämlich erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts, obwohl kriegerische Auseinandersetzungen auch auf dem Meer bereits kurze Zeit nach der Erfindung der Schifffahrt ausgetragen worden sein dürften.
Gegliedert ist die spannend geschriebene Untersuchung in insgesamt fünf Kapitel. Sie beginnen mit dem ersten Kapitel über Seekrieg in Recht und Praxis, in dem die Verfasserin auf dem Hintergrund der Freiheit der Meere das Wesen des Seekriegs und die Mittel der Seekriegsführung (Seebeute, Prisenrecht, Kaperei, Blockade, Unterbindung des Konterbandehandels mit Neutralen) sowie die besondere Rolle Großbritanniens als Weltmacht zur See mit der Rüstungswirtschaft als wichtigem ökonomischem Faktor erläutert und die Verrechtlichung des Krieges im 19. Jahrhundert sowie die Bedeutung der Lehre als Erkenntnisquelle des Gewohnheitsrechts im Seekrieg darstellt. Im Anschluss hieran behandelt sie den Rechtszustand zwischen 1856 (Pariser Erklärung vom 16. April 1856 nach dem Ende des Krimkriegs mit Einigung auf Anerkennung der zwischen Frankreich und Großbritannien vereinbarten Seekriegsregeln in einem multilateralen und beitrittsoffenen Vertrag auch für die Zukunft) und 1900 (nach der ersten Friedenskonferenz von Den Haag).
Im dritten Kapitel widmet sich die Verfasserin detailliert den verstärkten Bemühungen auf der zweiten Haager Friedenskonferenz des Jahres 1907 und der Londoner Seekriegsrechtskonferenz von 1908/1909, nach der auf Grund der politischen Wirklichkeit ein politischer Stillstand eintrat, so dass die Arbeit mit einem kurzen Ausblick auf das Seekriegsrecht im ersten Weltkrieg abgeschlossen werden kann. Insgesamt kann die Verfasserin in ihrer vorzüglichen Untersuchung zeigen, dass die Seevormacht Großbritannien das Seekriegsrecht ab 1856 nicht allein beeinflusste, sondern aus wirtschaftlichen Erwägungen traditionelle Standpunkte aufgab, dass aber die eine Ratifizierung der Londoner Erklärung verhindernden innenpolitischen Auseinandersetzungen in Großbritannien von grundlegender Bedeutung für das Verhalten der anderen Signatarstaaten mit Ausnahme der Vereinigten Staaten von Amerika waren, weil Staaten auf machtpolitische und wirtschaftliche Interessen nur selten verzichten, weshalb im Ergebnis die Normierung dem Rüstungswettlauf unterlag und in der Praxis des durch die dokumentierte allgemeine Vermehrung der Schachtschiffe bereits ab etwa 1883 vorbereiteten Seekriegs zwischen 1914 und 1918 die humanitäre Rücksichtnahme trotz der in der Literatur vielgerühmten Rhetorik der vorhergehenden Konferenzen in den Hintergrund trat.
Innsbruck Gerhard Köbler