Rechtsprechung in Osteuropa. Studien zum 19. und frühen 20. Jahrhundert, hg. v. Pokrovac, Zoran (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte - Veröffentlichungen des May-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 275.1, 275.2 = Rechtskulturen des modernen Osteuropa. Traditionen und Transfers 6.1, 6.2). Klostermann, Frankfurt am Main 2012. XII, 473, VI, 475-747 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Rechtsprechung in Osteuropa. Studien zum 19. und frühen 20. Jahrhundert, hg. v. Pokrovac, Zoran (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte - Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 275.1, 275.2 = Rechtskulturen des modernen Osteuropa. Traditionen und Transfers 6.1, 6.2). Klostermann, Frankfurt am Main 2012. XII, 473, VI, 475-747 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Wie in der global transparenten internationalen Welt insgesamt, so besteht auch in der modernen Wissenschaft ein weltweiter ideeller Wettbewerb. Deswegen werden nicht nur von staatlich vergüteten Einzelforschern sondern auch von öffentlich finanzierten Großforschungseinrichtungen beständig neue Ergebnisse erwartet, was wiederum immer neue Forschungsanstöße voraussetzt. In diesem allgemeinen Rahmen rief im Jahre 2004 die damalige Institutsdirektorin des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Marie Theres Fögen das Forschungsprojekt Rechtskulturen des modernen Osteuropa ins Leben.
Acht Jahre nach diesem innovativen Beginn wird mit dem vorliegenden Sammelband die Veröffentlichung der von der in Zürich 2008 viel zu früh verstorbenen Gelehrten initiierten, von der VolkswagenStiftung maßgeblich unterstützten Forschungsergebnisse beendet. Schon 2006 hatte der die Forschungsplanung maßgeblich bestimmende leitende Projektmitarbeiter Tomasz Giaro das Institut zu Gunsten einer Professur an den Universitäten Warschau und Kattowitz verlassen. An seine Stelle war der 1955 geborene, in Frankfurt am Main und Split tätige Zoran Pokrovac getreten, der noch gemeinsam mit Marie Theres Fögen den Abschlussbericht des Projekts abgeben und möglicherweise auf eine Fortsetzung hoffen konnte.
Da sich die Fortsetzung als unmöglich erwies, hat Michael Stolleis als kommissarischer Institutsdirektor nach dem Tode Marie Theres Fögens die Abwicklung des Projekts getragen und die Veröffentlichung der noch ausstehenden Projektbände bestmöglich unterstützt. Auf diese Weise konnten nach den drei 2006 und 2007 von Tomasz Giaro bzw. Zoran Pokrovac herausgegebenen Bänden über die Modernisierung durch Transfer im 19. und frühen 20. Jahrhundert, die Modernisierung durch Transfer zwischen den Weltkriegen und über die Juristenausbildung in Osteuropa bis zum ersten Weltkrieg insgesamt drei weitere Bände veröffentlicht werden.
Sie betreffen nach Katalin Gönczis Studie über das Thema juristischer Wissenstransfer und nationale Rechtswissenschaft in Ungarn zur Zeit der Aufklärung und im Vormärz (2008) als fünften, im Jahre 2010 erschienenen Band die Rechtswissenschaft in Osteuropa und nunmehr das vorliegende Sammelwerk. Es enthält nach einem Vorwort des Herausgebers in zwei Teilen insgesamt 12 Studien. Teil 1 bietet sieben Untersuchungen, Teil 2 fünf.
Dabei werden zunächst das Trial by Jury in Kroatien zwischen 1849 und 1918, die Familie vor und nach dem rumänischen Zivilgesetzbuch, die Rechts- und Gerichtspraxis in Ungarn zwischen 1840 und 1944, die Praxis des russischen Kassationssenats, die baltischen Privatrechte in den Händen der russischen Reichsjustiz, die Praxis in Kroatien im späten 19. Jahrhundert und das Eigentum durch Ersitzung im bäuerlichen vorrevolutionären Russland untersucht. Der zweite Teil befasst sich mit Polen und behandelt die Angelegenheiten aus Galizien in der Rechtsprechung der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, den obersten Verwaltungsgerichtshof und seine Rechtsprechung zwischen 1922 und 1939, die Schiedsgerichtsbarkeit in der Rechtsprechung polnischer Gerichte zwischen 1919 und 1939, die niedere Verwaltungsgerichtsbarkeit im Polen der Zwischenkriegszeit und die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Herzogtum Warschau und im Königreich Polen zwischen 1807-1867. Dabei konnten die von jungen osteuropäischen Forschern durchgeführten Arbeiten insgesamt vor allem die Hypothese sichern, dass die Osterweiterung des westlichen Rechtes Osteuropa in Rechtswissenschaft, Juristenausbildung und Rechtsprechung den Anschluss an den kontinentalen Rechtskreis ermöglichte und die vorherigen Unterschiede erheblich einebnete, so dass das einen Aufschluss durch Register leider entbehrende Projekt insgesamt als wichtiger Beitrag zu einer europäischen Gesamtrechtsgeschichte angesehen werden darf.
Innsbruck Gerhard Köbler