Rauchensteiner, Manfried, Der erste Weltkrieg und das Ende der Habsburger-Monarchie 1914-1918. Böhlau, Wien 2013. 1222 S., Ill. Besprochen von Christoph Schmetterer.
Rauchensteiner, Manfried, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie. Böhlau. Wien 2013. 1222 Seiten. Besprochen von Christoph Schmetterer
Dass sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs dieses Jahr zum hundertsten Mal jährt, schlägt sich mittlerweile deutlich im Angebot der Buchhandlungen nieder. Rauchensteiners Buch sticht unter den angebotenen Werken sowohl bezüglich des Umfangs als auch bezüglich des Anspruchs heraus: eine umfassende Geschichte des Krieges aus österreichisch-ungarischer Sicht auf weit mehr als tausend Seiten.
Schon vor zwanzig Jahren schrieb Rauchensteiner mit „Der Tod des Doppeladlers“ eine umfangreiche und umfassende Geschichte Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg. Dieses Werk hat er nunmehr vollständig überarbeitet und auch wesentlich ergänzt. Das Ergebnis ist eine aktuelle Gesamtdarstellung, die sich vor allem durch ihre Breite auszeichnet, gleichzeitig aber nicht ausufert. Rauchensteiner beschränkt sich wohltuend auf sein eigentliches Thema, vermeidet eine allzu weitschweifige Einleitung ebenso wie eine Darstellung der Entwicklung nach Kriegsende. Das eigentliche Thema behandelt er dafür nicht nur aus einem militärischen Blickwinkel, sondern ebenso in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Besonders wichtig erscheint mir das Kapitel über Kriegsgefangene und Internierungen, weil es einen Aspekt des Krieges behandelt, der gerade in älteren Darstellungen regelmäßig zu kurz kam. Dass Przemysl zu Beginn des Krieges der Sitz des Armeeoberkommandos war und zwei Mal von der russischen Armee belagert wurde, ist wohl jedem einschlägig Interessierten bekannt. Das bedeutete unter anderem, dass zu Beginn des Krieges allein um Przemysl knapp 200 Ortschaften vollständig geräumt wurden. Diese „Nebenwirkungen“ des Krieges werden meiner Ansicht nach aus der Distanz eines Jahrhunderts allzu leicht vergessen; daher ist es gut, dass Rauchensteiner das nicht tut.
Dieses Kapitel gehört zu jenen Bereichen, die für die Neufassung wesentlich erweitert wurden – genauso wie jenes über die Finanzierung des Krieges. Ansonsten hat Rauchensteiner insbesondere seine Beurteilung der Rolle Kaiser Franz Josephs beim Kriegsausbruch revidiert. Er meint nun, dass Franz Joseph bereits zu Beginn der Julikrise bewusst eine Entscheidung für den Krieg traf und den Dingen dann ihren Lauf ließ. Ich hätte gerne mehr über die Gründe für Rauchensteiners neue Beurteilung gelesen.
Gelegentliche Ungenauigkeiten sind bei einem Werk dieses Umfangs nicht zu vermeiden, aber sie fallen nicht ins Gewicht. Aus rechtshistorischer Sicht findet sich insbesondere Ungenauigkeit im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit. Bei seiner Darstellung der Sixtus-Affäre, die ich insgesamt für gelungen und ausgewogen halte, meint Rauchensteiner, dass der gemeinsame Außenminister nicht nur dem Kaiser, sondern auch dem Parlament verantwortlich gewesen sei. Das ist insofern unpräzise, als es in der Habsburgermonarchie zwar Parlamente in beiden Reichshälften gab, denen der Außenminister aber nicht verantwortlich war; auf der Ebene der Gesamtmonarchie gab es nur die Delegationen, denen der Außenminister (rechtlich aber nicht politisch) verantwortlich war, die aber gerade kein „Reichsparlament“ sein sollten. Bei einem Befehlsschreiben, in dem der Kaiser als „unverantwortlich“ bezeichnet wird, versieht Rauchensteiner das mit dem Vermerk „sic“. Dass der Kaiser unverantwortlich war, ist freilich keine Seltsamkeit, vielmehr war es ein in der Verfassung normiertes Wesensmerkmal seiner Rechtsstellung. Das sind aber im Zusammenhang dieses umfassenden Buches Kleinigkeiten, die den positiven Gesamteindruck keineswegs schmälern können.
Das Buch ist durchgängig gut lesbar, wenn es auch nicht im engeren Sinn fesselnd geschrieben ist. Wer sich mit einer gewissen Ernsthaftigkeit und Tiefe für den Ersten Weltkrieg aus österreichisch-ungarischer Sicht interessiert, wird auf dieses Buch nicht verzichten können.
Wien Christoph Schmetterer