Laborenz, Martin, Solutio als causa. Die Frage des Abstraktionsprinzips im römischen Recht (= Forschungen zum römischen Recht 57). Böhlau, Köln 2014. 337 S. Besprochen von Hans-Michael Empell.
Laborenz, Martin, Solutio als causa. Die Frage des Abstraktionsprinzips im römischen Recht (= Forschungen zum Römischen Recht 57). Böhlau, Köln 2014. 337 S. Besprochen von Hans-Michael Empell.
Die zu besprechende Untersuchung wurde im Wintersemester 2011/2012 vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Mainz als Dissertation angenommen. Die Universität hat die Abhandlung unter die „ausgezeichneten Abschlussarbeiten“ des Studienjahres 2012/2013 aufgenommen.
Das Thema der Untersuchung ist der Begriff der iusta causa traditionis im klassischen römischen Recht. Der Verfasser formuliert dazu eine innovative These. Um diese zu verstehen, ist es zweckmäßig, sich den Ausgangspunkt seiner Überlegungen zu verdeutlichen: Die Übereignung einer res nec mancipi ist wirksam, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Der Veräußerer muss verfügungsbefugt, und das heißt in der Regel: er muss Eigentümer sein. Ferner ist die Sache dem Erwerber zu übergeben; dieser muss also Besitz erlangen. Schließlich ist ein rechtlicher Grund für die Übereignung erforderlich, eine iusta causa traditionis, kurz causa genannt (Prinzip der kausalen Übereignung).
Der causa-Begriff wird in den Quellen nirgendwo definiert und ist daher umstritten. Man kann darunter den rechtlichen Grund verstehen, auf dem die Übereignung beruht, zum Beispiel: Kauf, Schenkung, Darlehen, Vermächtnis oder eine gesetzliche Pflicht, etwa zur Leistung von Schadensersatz. Diese Rechtsgeschäfte oder Verpflichtungsgründe müssen wirksam sein, damit eine Übereignung zustande kommt. Unter der causa kann aber auch die während der Übergabe bestehende, gemeinsame Absicht verstanden werden, die Übereignung aus einem der genannten Gründe vorzunehmen. Dann liegt eine gültige causa auch vor, wenn Rechtsgeschäft oder Verpflichtungsgrund selbst unwirksam sind. Der zuerst genannte causa-Begriff kann als objektiv bezeichnet werden, der an zweiter Stelle genannte causa-Begriff als subjektiv. Der subjektive causa-Begriff nähert sich der Auffassung, wonach eine causa überhaupt nicht erforderlich ist, so dass eine Einigung über den Eigentumsübergang (dingliche Einigung) genügt (Abstraktionsprinzip).
Die heute herrschende Meinung verwendet einen objektiv verstandenen causa-Begriff, macht aber eine wichtige Ausnahme für den Fall, dass eine Pflicht zur Übereignung besteht, zum Beispiel aufgrund einer Stipulation oder eines Legats. In diesem Fall, so heißt es, bildet nicht der wirksame Verpflichtungsgrund die causa (wie es der objektiven Definition entsprechen würde), sondern der Konsens darüber, dass zwecks Erfüllung geleistet wird, die solutio. Die Übereignung ist danach selbst dann gültig, wenn die zu erfüllende Pflicht nicht besteht. Der herrschende, objektive causa-Begriff umfasst somit ein subjektives Element, das eine Ausnahme oder Anomalie bildet.
Fragt man, wie die herrschende Meinung mit dieser Anomalie umgeht, so wird hauptsächlich historisch argumentiert: Die solutio als causa ist danach als ein Relikt aus dem altrömischen Recht zu verstehen. Wenn man einen derartigen Erklärungsversuch ablehnt (weil er aus den Quellen nicht hinreichend belegbar ist) und die Anomalie gleichwohl für problematisch hält, sind zwei Lösungswege denkbar. Entweder man überprüft den objektiven causa-Begriff und gelangt zu dem Ergebnis, dass nicht allein die solutio, sondern alle Arten der causa subjektiv zu verstehen sind, oder man kommt im Gegenteil zu dem Schluss, dass sich die Lehre von der solutio als causa nicht aufrechterhalten lässt, so dass der causa-Begriff durchgehend objektiv zu definieren ist.
Laborenz überprüft die im Rahmen der herrschenden Meinung unternommenen Versuche, die Anomalie zu erklären und gelangt zu dem Resultat, dass diese Erklärungsversuche nicht haltbar sind (S. 283ff.). Er vertritt die These, die klassischen Juristen hätten einen subjektiv geprägten causa-Begriff gebraucht. Zur Übereignung genüge ein „consensus über den Tilgungscharakter der Leistung“ (S. 294); das Rechtsgeschäft oder die Pflicht, auf die man sich dabei beziehe, bilde nur ein Indiz für den Übereignungswillen. Damit folgt Laborenz einer Auffassung, wie sie bereits Friedrich Carl von Savigny vertreten hat, unter dessen Einfluss das Abstraktionsprinzip ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen wurde.
Um seine These zu belegen, geht Laborenz in zwei Schritten vor: Zunächst überprüft er die Lehre von der solutio als causa, wobei er insbesondere die Regelungen zur solutio indebiti und zur Ersitzung pro soluto untersucht. Er gelangt zu dem Resultat, dass die römischen Juristen die solutio als causa qualifiziert haben. Sodann geht er der Frage nach, ob die Juristen über den Bereich der solutio indebiti hinaus einen subjektiv verstandenen causa-Begriff verwendet haben; diese Frage bejaht er. Der erste Schritt wird im umfangreichen Hauptteil der Arbeit ausgeführt; der zweite Schritt fällt sehr viel kürzer aus. Das Ergebnis der gesamten Untersuchung lautet: Die früh- und hochklassischen Juristen haben sich nicht deutlich zur causa-Frage geäußert. Den Quellen ist jedoch zu entnehmen, dass ihnen ein Konsens über den Tilgungscharakter der Leistung genügt hat, wobei die zugrunde gelegte Pflicht nur als Indiz für den Übereignungswillen gedient hat. Erst spätklassische Juristen haben mehr oder weniger explizit eine (subjektiv verstandene) causa verlangt.
Die detaillierten Ausführungen des Verfassers zu diesen Fragen können hier nicht im Einzelnen dargelegt und eingeschätzt werden; dies würde über den Rahmen einer Rezension weit hinausgehen. Im Folgenden sollen daher nur einige wenige Punkte angesprochen werden, die sich auf den vom Verfasser markierten „Ausgangspunkt in den Quellen“ (S. 25) beziehen. Der Autor untersucht eine berühmte, häufig diskutierte Paulus-Stelle (D. 41,1,31) und ein ebenso berühmtes, ebenfalls schon oft behandeltes Julian-Fragment (D. 41,1,36). Die Paulus-Stelle wird meistens als der wichtigste Beleg für die These angeführt, das römische Recht folge dem Prinzip der kausalen Übereignung und verwende einen objektiv definierten causa-Begriff, während die Darlegungen Julians nach Ansicht vieler Autoren zu dem Schluss führen, dieser habe den Grundsatz der kausalen Übereignung preisgegeben.
Der Autor verfolgt „das Ziel, (...) die mangelnde Eindeutigkeit und Aussagekraft der einschlägigen Quellen herauszustellen und als Ursache für die bis heute anhaltende Meinungsvielfalt zur causa-Frage auszumachen.“ (S. 25) Im Hinblick auf das Paulus-Fragment gelangt der Verfasser nach ausführlicher Behandlung aller damit verbundenen Probleme zu dem Resultat, die Stelle liefere „weder für die kausale noch für die abstrakte Theorie einen Beweis oder Gegenbeweis“ (S. 31), und dies, obwohl der Autor mehrfach feststellt, nähme man Paulus beim Wort, komme man bei unbefangener Lektüre zu dem Ergebnis, der Jurist folge dem Prinzip der kausalen Übereignung (S. 15, 31). Was die Julian-Stelle betrifft, so gelangt der Verfasser zu dem Resultat, Julian habe eine causa nicht verlangt, sondern sich stattdessen mit einer dinglichen Einigung begnügt (S. 53).
Die Ausführungen Laborenz’ sind fragwürdig – aus mehreren Gründen. Zunächst einmal erscheint es problematisch, als Ziel einer Darstellung anzustreben, die mangelnde Aussagekraft einer Quelle herauszuarbeiten. Vielleicht kommt man zum Ergebnis, aufgrund eines unklaren, mehrdeutigen Wortlauts (und der Tatsache, dass der Text in den Digesten aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissen überliefert ist) sei es unmöglich, die Bedeutung eines Textes zu ermitteln. Das Ziel der Interpretation einer Quelle des römischen Rechts kann jedoch nur darin bestehen, den Inhalt des jeweiligen Textes herauszuarbeiten.
Der zweite Einwand richtet sich gegen die Vorgehensweise des Autors: Während er im Hinblick auf das Paulus-Fragment seiner Absicht entsprechend zu dem Ergebnis kommt, die Stelle sei nicht aussagekräftig, gelangt er bezüglich der Julian-Stelle zu einem eindeutigen Resultat, der Auffassung nämlich, Julian lasse eine dingliche Einigung genügen, folge also dem Abstraktionsprinzip. Der Verfasser hat sein Programm insofern nicht konsequent, sondern einseitig durchgeführt, und zwar zugunsten der These, dem Abstraktionsprinzip komme im römischen Recht erhebliche Bedeutung zu. Es drängt sich der Eindruck auf, der Autor gehe tendenziös vor, und dies in einem Abschnitt zu Beginn seiner Arbeit, die quasi eine Weichenstellung für die gesamte Untersuchung bildet.
Was die Julian-Stelle angeht, so ist zudem fraglich, ob dieser Jurist wirklich eine dingliche Einigung für ausreichend hält. Der Verfasser stützt sich auf die das Fragment einleitenden Worte: Cum in corpus quidem quod traditur consentiamus. Der Konsens in corpore ist Laborenz zufolge als dingliche Einigung zu verstehen. Dies ist problematisch, weil ein Konsens über das corpus, von dem gesagt wird, es werde übergeben (quod traditur), nicht mit einem Konsens darüber identisch ist, dass eine Übereignung stattfinden soll. Der Terminus corpus wird häufig auf die possessio und die traditio (im Sinne einer Besitzübertragung) bezogen. Der Begriff des Konsenses in corpore meint daher die Übereinstimmung über die Identität der Sache, die erforderlich ist, damit der Besitz übergehen kann. Dies folgt aus einer Ulpian-Stelle (D. 41,2,34pr.), in der ein Dissens in corpore behandelt wird. In einem solchen Fall scheitert die Besitzübertragung. Der Konsens in corpore ist also für die Besitzübertragung erforderlich, während die dingliche Einigung eine wirksame Besitzübertragung voraussetzt und dafür sorgt, dass ein Eigentumsübergang zustande kommt. Ob Julian auf das causa-Erfordernis verzichtet und eine dingliche Einigung genügen lässt, ist demnach sehr fraglich und lässt sich aus dem Begriff des Konsenses in corpore jedenfalls nicht ableiten.
Da es an dieser Stelle nicht möglich ist, die Untersuchung umfassend einzuschätzen, kann auch nicht abschließend beurteilt werden, ob der Grundthese des Verfassers zugestimmt werden kann. Die kritischen Überlegungen, die gegen den Ausgangspunkt der Untersuchung geltend gemacht wurden, zeigen, dass Skepsis angebracht ist. Diese Kritik soll jedoch nicht über die großen Leistungen der Arbeit hinwegtäuschen: Der Verfasser hat eine nicht nur ausführliche und gründliche, auf zahlreiche Quellen und umfangreiche Auswertung der Literatur gestützte, sondern vor allem auch eine originelle, innovative Untersuchung vorgelegt, die in vielerlei Hinsicht anregend und weiterführend wirkt und zu Diskussionen unter den Romanisten führen dürfte. Dafür sei ihm gedankt.
Heidelberg Hans-Michael Empell