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Koop, Volker, Rudolf Höß. Der Kommandant von Auschwitz. Eine Biographie. Böhlau, Köln 2014. 338 S., 15 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

Koop, Volker, Rudolf Höß. Der Kommandant von Auschwitz. Eine Biographie. Böhlau, Köln 2014. 338 S., 15 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

In schöner Regelmäßigkeit veröffentlicht der in Berlin wirkende Journalist und Publizist Volker Koop Arbeiten zu bisweilen exotisch angehauchten und mit einer geheimnisumwitterten Aura versehenen, zumeist dem Dunstkreis der Schutzstaffel (SS) zuzurechnenden Spezialthemen aus der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. So widmete er seine Aufmerksamkeit bisher unter anderem der von Heinrich Himmler initiierten Organisation „Werwolf“ (2008), den Sonder- und Ehrenhäftlingen der SS (2010), dem ob seines zunächst ungeklärten Schicksals immer wieder zu Spekulationen Anlass gebenden Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP, Martin Bormann, (2012) und schließlich den sogenannten „Ehrenariern“ (2014).

 

Mit Rudolf Höß (1901 – 1947) hat sich der Verfasser nun an der Biographie jenes Mannes versucht, der als erster und längstdienender Kommandant des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz (Frühjahr 1940 bis November 1943 sowie ab Mai 1944 wieder in der Funktion des Standortältesten) wie kein anderer zum Synonym für die Praxis der fabrikmäßigen Vernichtung von Menschenleben durch den Nationalsozialismus geworden ist, obwohl er als Lagerkommandant, zuletzt im Rang eines SS-Obersturmbannführers (Oberstleutnant), seinerzeit wohl nur Insidern bekannt und sicher nicht der Führungsriege des Systems zuzurechnen war. Realistischen Schätzungen zufolge wurden in Auschwitz etwa eine Million Juden und um die hunderttausend andere Gefangene im überwiegenden Ausmaß durch Giftgas vorsätzlich und gezielt getötet. Die Durchforstung mehrerer größerer und kleinerer Archive liefert Volker Koop nunmehr das Material für seine kritische Auseinandersetzung mit den lange bekannten „Autobiographischen Aufzeichnungen“ des ehemaligen Kommandanten der Auschwitzer „Todesfabrik“.

 

Auf wenigen Seiten handelt das Buch die Herkunft und den schulischen Werdegang des aus Baden-Baden stammenden Rudolf Höß ab, seinen Kriegsdienst und seine anschließende Verwendung im Freikorps Roßbach, seine Teilnahme am sogenannten Parchimer Fememord und seine zehnjährige, durch Reichsamnestie auf fünf Jahre herabgesetzte Freiheitsstrafe, die er zwischen 1924 und 1928 im Zuchthaus Brandenburg absaß, bevor er den Beschluss fasste, als Mitglied des Bundes der Artamanen eine Ehe einzugehen und als bäuerlicher Siedler seine Zukunft zu gestalten. Es sollte anders kommen: Reichsführer-SS Heinrich Himmler, ebenfalls Artamane, dürfte Höß 1934 zum Eintritt in die SS motiviert haben, wo ihn sein Weg als Funktionär im System der Konzentrationslager von Dachau über Sachsenhausen (1938) bis in die Position des Kommandanten des neu zu errichtenden Großlagers Auschwitz (1940) führte.  Im November 1943 wurde er Chef des Amtes D I in dem die Konzentrationslager verwaltenden, unter Leitung des SS-Obergruppenführers Oswald Pohl stehenden SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) in Oranienburg, war aber darüber hinaus ab Mai 1944 weiterhin in Auschwitz aktiv.

 

Bereits den ersten Abschnitt seines Werks hat der Verfasser gleichsam programmatisch überschrieben mit den „Lebenslügen des Rudolf Höß“ (S. 17ff.), weitere beschäftigen sich mit seiner „Persönlichkeit“ (S. 51ff.) und mit dem „Zyniker“ (S. 123ff.). Neben diesen vornehmlich direkt auf die Person des Proponenten abzielenden Kapiteln finden sich auch solche mit anderen Schwerpunkten, beispielsweise konzentriert auf die Mittäter, die Höß selbst schriftlich charakterisiert hat, auf seine Tätigkeit als Amtschef D I im WVHA, das Engagement der I.G. Farben in Auschwitz und auf die über Flucht, Verrat, Gefangennahme und Prozess zum Galgen führende Nachkriegsgeschichte. In seinem Bestreben, die von vielen Historikern als weitgehend ehrlich eingestuften, vom späteren Direktor des renommierten Münchener Instituts für Zeitgeschichte, Martin Broszat, 1953 herausgegebenen „Autobiographischen Aufzeichnungen“ des Auschwitz-Kommandanten der Unwahrheit zu überführen, listet der Verfasser eine ganze Reihe seines Erachtens unrichtiger Angaben, Inkonsequenzen und Unkorrektheiten auf. Diese erstrecken sich über ein von Rudolf Höß 1946 vor britischen Militärbehörden falsch angegebenes Geburtsjahr (1900 statt richtig 1901), die Bezeichnung seines Vaters als „Kaufmann“ (der aber nur Diener gewesen sei), irreführende Angaben zur Schullaufbahn und deren Ende und den Militärdienst im Ersten Weltkrieg (den Höß nicht, wie er selbst angibt, 1916, sondern erst 1918 angetreten haben soll) bis hin zu Fällen von offenkundiger persönlicher Bereicherung an Waren und Dienstleistungen durch den Kommandanten und seine Ehefrau in Auschwitz, obwohl er Gleiches seinen Offizieren und Wachmannschaften per Befehl strengstens untersagt hatte. Darüber hinaus soll Höß „aus eigenem Antrieb und nicht etwa auf Befehl […] ein Verbrechen an dem Häftling Nora Mattaliano-Hodys (Eleonore Hodys), mit der er offensichtlich ein Liebesverhältnis unterhielt“, begangen haben, indem er sie, „als diese von ihm schwanger war, im ‚Kommandanturarrest‘ isolieren (ließ) – so jedenfalls ihr Vorwurf“ (S. 109).

 

So verdienstvoll nun das Aufzeigen solcher Details sein mag, so wenig vermögen diese aber im Einzelnen durch Aussagekraft zu überzeugen und das bekannte Bild von Rudolf Höß entscheidend zu korrigieren. Häufig fehlen plausible Erklärungen zum Verständnis von Sinn und Zweck der angemahnten Unkorrektheiten oder können diese selbst nicht glaubwürdig belegt werden. Dies hat der Verfasser bedauerlicher Weise verabsäumt. „Man fragt sich, warum Höß sich ein Jahr älter machte und an dieser falschen Angabe sein Leben lang festhielt“ (S. 17), konstatiert er etwa – ohne aber der beigebrachten Geburtsurkunde des zuständigen Standesamtes eventuell widersprechende Dokumente anzubieten und vergleichend zu diskutieren (Schreibfehler?) oder weitere Überlegungen zum Zweck – eventuell die Möglichkeit für den jungen Höß, den Kriegsdienst früher anzutreten? – anzustellen. Wenn Höß seinen Vater als Kaufmann ausgegeben hat, so bestätigt die genannte, im Faksimile abgedruckte Geburtsurkunde dies sogar amtlich, denn dort ist wörtlich zu lesen: „Franz Xaver Höß, Kaufmann, jetzt Geschäftsdiener“ (S. 18). Zu den sehr präzisen, auf den Tag genauen Angaben, die Rudolf Höß zu seinem angeblich am 1. 8. 1916 angetretenen Militärdienst und vor allem zu einer Reihe empfangener Auszeichnungen gemacht hat, hält der Verfasser fest: „Auch diese Aussagen entsprechen nicht der Wahrheit. Richtig ist vielmehr, dass Höß 1918 Soldat wurde, ein Jahr zuvor demnach nicht in der Türkei verwundet worden sein und auch die von ihm erwähnten Auszeichnungen zu den genannten Zeitpunkten nicht erhalten haben konnte“. Wer nun meint, diese Gewissheit ginge aus exakten, nicht anzuzweifelnden Unterlagen militärischer Dienststellen hervor, irrt allerdings; der Verfasser stützt sich hier allein auf das Faktum, dass Höß sich „am 31. Dezember 1917 in dem damals noch selbstständigen Dorf Friedrichsfeld an(meldete)“, woraus er den Schluss ableiten zu können glaubt, dass „angesichts der zu erledigenden Regularien er somit frühestens 1918 Soldat werden (konnte)“ (S. 22f.). Glaubwürdiger erscheinen dann die Berichte, die nahelegen, dass das Ehepaar Höß von den illegalen materiellen Möglichkeiten und Privilegien, die sich einem Lagerkommandanten boten, auch in einem bestimmten Umfang Gebrauch gemacht hat. Die Affäre Hodys ist undurchsichtig, denn obwohl der in Korruptionsangelegenheiten ermittelnde SS-Richter Konrad Morgen beim 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess 1964 äußerte, „Höß habe beabsichtigt, die Frau [zum Zweck der Vertuschung seiner Affäre] verhungern zu lassen“ (S. 111), gibt es andere Stimmen, die wiederum zu wissen meinten, „sie habe Höß Schmuck bringen müssen. Als der Handel aufflog, habe Höß sie einsperren lassen und versucht, sie zu beseitigen“. Der wahre Sachverhalt bleibt somit verschleiert, und was die Tatsache, dass Hodys „ in der Effektenkammer beschäftigt war“, mit ihrer „Glaubwürdigkeit“ (S. 121) zu tun haben soll, ein Rätsel. Die internen Zustände im Lager Auschwitz seien in jedem Fall, so der Verfasser, „ein Beleg dafür, dass Höß zwar die Massenvernichtung organisieren konnte, aber ansonsten ‚sein‘ KZ überhaupt nicht im Griff hatte“ (S. 110).

 

Im Großen und Ganzen verschiebt sich mit diesen Ergänzungen das bisher bekannte Bild des Kommandanten von Auschwitz nur unwesentlich. Die auch im vorliegenden Band ausgeführten Elemente der als Ersatzreligion angenommenen NS-Ideologie (S. 51ff.) mit ihrem strikten Antisemitismus (S. 72ff.), aus der Kadavergehorsam (S. 69ff.) und ein gänzlich fehlendes Schuldbewusstsein (S. 60ff.) resultierten, dominieren die Persönlichkeit, von der der Publizist und glänzende Stilist Joachim C. Fest schon vor einem halben Jahrhundert festhielt: „Wenn Hitler gelegentlich geäußert hatte, der Ausdruck Verbrechen stamme noch aus einer überwundenen Welt, es gebe nur positive und negative Aktivität, so war Höß das Produkt dieser Auffassung. […] – dieser Mann konnte […] zum ‚Idealtyp‘ des himmlerschen Lagerkommandanten werden, da jeder subjektive Antrieb, vom Sadismus bis zum Mitleid, den reibungslosen Ablauf im Räderwerk der Vernichtung gestört hätte“ [Rudolf Höß – Der Mann aus der Menge. In: Joachim C. Fest, Das Gesicht des Dritten Reiches. Profile einer totalitären Herrschaft, München 1963, S. 376f. Der Verfasser führt diese prägnante frühe biographische Skizze übrigens nicht an]. Beschönigende Retuschen an der Biographie, wie sie im Übrigen auch heute in den meisten Bewerbungsschreiben gegenwärtig sind (Wer würde dort schon gerne ein Schulversagen expressis verbis anführen?), sind wohl eher dem universalen Phänomen menschlicher Eitelkeit zuzuordnen und belegen bestenfalls die Binsenwahrheit, dass auch der kaltblütigste Mörder letzten Endes den Gesetzen menschlichen Verhaltens mit all ihren Paradoxien unterworfen ist. Die an seine Ehefrau und die fünf Kinder gerichteten, im vorliegenden Band vollständig wiedergegebenen, gefühlvollen Abschiedsbriefe des Auschwitz-Kommandanten (S. 270ff.) zeugen so durchaus von Hingabe und der Fähigkeit zur - späten - Einsicht, wenn er seinem ältesten Sohn empfiehlt: „Lerne selbstständig zu denken und zu urteilen. Nimm nicht alles kritiklos für unumstößlich wahr hin, was an dich herangetragen wird. Lerne aus meinem Leben. Der größte Fehler meines Lebens war, dass ich auf alles, was von ‚oben‘ kam, gläubig vertraute und nicht den geringsten Zweifel an die Wahrheit des Gegebenen wagte“ (S. 277).

 

Ausgestattet ist die Arbeit mit Schwarzweiß-Bildmaterial (Schriftstücke und Fotografien zum Werdegang des Kommandanten und des Lagers) und einem Anhang, der neben den üblichen Anmerkungen, Nachweisen und Verzeichnissen eine siebenseitige Chronologie und eine zwei Seiten umfassende Datensammlung zum Lager Auschwitz enthält. Dazu kommen Übersichten über die Häftlingskategorien und die Dienstgrade der SS sowie ein Abdruck der eidesstattlichen Erklärung von Rudolf Höß beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, datierend vom 5. April 1946. Die oben bereits erwähnten charakterisierenden Skizzen Vorgesetzter und Mitarbeiter, darunter Himmler, Bormann, Pohl und Eichmann, die er in polnischer Haft 1946/1947 zu Papier gebracht hat, bilden in kommentierter Form das Textkapitel „Höß und seine Mittäter“ (S. 139ff.). Nicht alle Zusammenstellungen lassen die notwendige Sorgfalt erkennen: In der SS-Dienstgradaufstellung (S. 314) fehlt der Rang des SS-Oberführers. Verschreibungen von Namen finden sich im Text ebenso wie im Literaturverzeichnis und im Personenregister (S. 221: „Prof. Blauberg“, statt, wie richtig im Register, S. 328 „Clauberg“; S. 225 u. S. 338: „Edmund von Veesemayer“ statt richtig „Dr. Edmund Veesenmayer“; S. 323: „Froenkel, Heinrich“ statt richtig „Fraenkel“). Schwerer fällt allerdings der Umstand ins Gewicht, dass der Verfasser auf eine zusammenfassende Darstellung des Forschungsstandes verzichtet und der Rezensent mit Ausnahme der erwähnten, wenig tragfähigen Korrekturen und Zweifel am Wahrheitsgehalt der „Autobiographischen Aufzeichnungen“ kein überzeugendes, theoretisch fundiertes Leitkonzept für die vorliegende, sich bisweilen zu sehr ins Nebensächliche verirrende Lebensbeschreibung orten kann.

 

Kapfenberg                                                               Werner Augustinovic