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Kitzing, Michael, Für den christlichen und sozialen Volksstaat. Die Badische Zentrumspartei in der Weimarer Republik (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 163, zugleich Diss. phil. Eichstätt 2008/2009). Droste, Düsseldorf 2013. 471 S. Besprochen von Werner Schubert.

Kitzing, Michael, Für den christlichen und sozialen Volksstaat. Die Badische Zentrumspartei in der Weimarer Republik (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 163, zugleich Diss. phil. Eichstätt 2008/2009). Droste, Düsseldorf 2013, 471 S.

 

Eine Darstellung der Geschichte des Zentrums, wie sie für Gesamtpreußen und für Teile Nordrhein-Westfalens vorliegt (S. 13f.), fehlt bisher für die Badische Zentrumspartei, so dass es zu begrüßen ist, dass sich Kitzing dieser Thematik in umfassender Weise angenommen hat. Neben der Geschichte der Parteiorganisation auf der Landesebene geht Kitzing auch wichtigen Politikfeldern aus der Perspektive der Zentrumspartei nach. Endlich bringt die Studie Kitzings erstmals eine detaillierte Darstellung der Auseinandersetzung zwischen der Badischen Zentrumspartei und dem Nationalsozialismus zwischen 1930 und 1933. In einem ersten Kapitel (S. 31-41) behandelt Kitzing die 1869 neu konstituierte Katholische Volkspartei, die 1888 in die Deutsche Zentrumspartei überführt wurde (S. 36f., 401). Ziel des badischen Zentrums war der Abbau aller Kulturkampfbestimmungen, dem jedoch ein Wahlabkommen und eine informelle Koalition (1905-1917) zwischen den Demokraten und der Sozialdemokratie entgegen stand. Im zweiten Kapitel geht Kitzing auf die Badische Zentrumspartei „zwischen Weltkrieg, Novemberrevolution und der Konsolidierung des Freistaates Baden 1917-1919“ ein (S. 43-79). Erst als 1917 „aufgrund unüberbrückbarer Gegensätze zu den Nationalliberalen in der Frage der Kriegsziele und der inneren Neuorientierung“ die SPD das Abkommen von 1905 kündigte (S. 41), kam es zu einer Annäherung zwischen dem Zentrum einerseits und der Sozialdemokratie und dem Linksliberalismus andererseits, was im November 1918 zur „vorläufigen Volksregierung“ führte (Zusammensetzung S. 420). Bei den Wahlen zum Badischen Landtag am 5. 1. 1919 wurde das Zentrum mit 36,6% der Stimmen vor der SPD mit 32,1% der Stimmen stärkste parlamentarische Kraft, wie auch schon zuvor im späteren Kaiserreich. Die vom Landtag verabschiedete Verfassung erhielt im April 1919 die Zustimmung von 90% der abstimmenden Wahlberechtigten. In der Verfassung konnte das Zentrum zahlreiche Wünsche durchsetzen, wenn auch der Schulparagraph (§ 19) nicht ganz in seinem Sinne ausfiel (keine Konfessionsschulen; Religionsunterricht nicht als Pflichtfach). Wie die beiden anderen Koalitionsparteien (SPD und DDP) berief sich auch das badische Zentrum in seinem „Geschichtsbild auf die insbesondere im 19. Jahrhundert ausgeprägte republikanisch-demokratische Tradition Südwestdeutschlands“ (S. 404).

 

Im dritten Kapitel geht es um die Politik der Badischen Zentrumspartei auf den Landtagen bis 1929 (S. 81-189), und zwar zunächst um das Verfassungsverständnis des Zentrums („christlich-demokratischer Volksstaat“, S. 83ff.), die Stellung des Zentrums zur Reichsreform und um ein Gesetz zur Reform des Wahlrechts im Jahre 1927, mit dem u. a. das Auftreten von Splitterparteien durch Sperrfristen erschwert werden sollte (insoweit vom Leipziger Staatsgerichtshof 1928 als nicht verfassungskonform mit der Reichsverfassung Art. 17 aufgehoben]). Auf dem Gebiet der Personalpolitik hat die Zentrumspartei ihre Interessen auf personalpolitischem Gebiet „offensiv“ erfolgreich verfochten (S. 141ff., 157), und zwar auch im Bereich der Justiz, der als Justizminister Gustav Trunk von 1920-1929 vorstand (S. 148 ff.). Ausführlich befasst sich Kitzing mit den Initiativen des Zentrums auf dem Feld der Wirtschafts- und Sozialpolitik (S. 158ff.). Hierzu hätte man gerne noch mehr zur Etablierung der Arbeitsgerichte, zu den Arbeitsrichtern und den Betriebsräten gelesen (vgl. S. 158f.). Im Lehrerbildungsgesetz von 1926 konnte das Zentrum die Beibehaltung der konfessionellen Lehrerausbildung teilweise durchsetzen und die Akademisierung der Ausbildung der Volksschullehrer zunächst verhindern (S. 170ff.). Im Kapitel 4 (S. 191-320) beschäftigt sich Kitzing mit der Parteiorganisation und dem katholischen Vereinswesen (u. a. katholisches Milieu in Baden, Sozialstruktur der Zentrumspartei, S. 233f.; Entwicklung und Struktur der katholischen Presse in Baden, welche die wichtigste Quelle für die Darstellung von Politik und Organisation der Zentrumspartei darstellt [S. 26]; Arbeitervereine; Volksverein für das katholische Deutschland; Landessektion Baden  des Badischen Bauernvereins).

 

In der Endphase der Weimarer Republik (1929-1933; S. 320-360) trat das Zentrum entschieden und bestimmt gegen den Nationalsozialismus auf. Allerdings führte das „unbedingte Drängen“ des Zentrums (S. 360) auf den Abschluss eines Konkordats, das die SPD nicht mittragen konnte, zum Ende der Weimarer Koalition und damit zu einer erheblichen Schwächung der badischen Staatsregierung. Auch wenn die Badische Zentrumspartei nach dem 30. 1. 1933 „an ihrer klar antinationalsozialistischen Haltung“ (S. 413) festhielt, gelang der NSDAP gleichwohl in den Reichstagswahlen vom 5. 3. 1933 „endgültig der Einbruch ins katholische Milieu“ (S. 360ff., Zitat S. 414). Es folgten die Gleichschaltung des Landes Baden durch die Nationalsozialisten, die Zustimmung des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz (gegen die interne Opposition dreier badischer Zentrumsabgeordneten) am 23. 3. 1933 und die erzwungene Auflösung der Badischen Zentrumspartei Anfang Juli 1933 (zu den Wandlungsprozessen im politischen Selbstverständnis der badischen Katholiken S. 390ff.).

 

Das Werk wird abgeschlossen mit einer präzisen Zusammenfassung (S. 401-415), einem statistischen Anhang (u. a. zur Badischen Zentrumspartei im Landtag, zu den Reichstagswahlen in Baden zwischen 1919 und 1933, und Kurzbiografien der Landtags- und Reichstagsabgeordneten der Badischen Zentrumspartei in der Weimarer Republik) und mit einem umfassenden Personenregister. Das Werk hätte noch an Farbigkeit gewonnen, wenn Kitzing detaillierter auf die Biografien der wichtigsten Zentrumspolitiker eingegangen wäre. Wünschenswert wäre vielleicht auch ein Abschnitt über die Justizpolitik des dem Zentrum angehörenden langjährigen Justizministers Trunk (zur Personalpolitik S. 418ff.), insbesondere über die Stellung des Zentrums und Kabinetts zu den im Reichsrat behandelten Gesetzentwürfen gewesen. Jedoch hätte diese Thematik wohl den Rahmen der Untersuchungen Kitzings gesprengt. Insgesamt liegt mit dem Werk eine umfassende Darstellung über die Badische Zentrumspartei in der Weimarer Zeit vor, die auch für den Rechtshistoriker von Wichtigkeit ist (u. a. für die Verfassungs-, Wahlrechts-, Schulrechts- und Konkordatsrechtsgeschichte Badens).

 

Kiel

Werner Schubert