Der Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat 1918/19, eingeleitet und bearb. v. Stalmann, Volker unter Mitarbeit v. Stehling, Jutta (= Quellen zur Geschichte der Rätebewegung in Deutschland 1918/1919 4). Droste, Düsseldorf 2013. 1100 S. Besprochen von Werner Schubert.
Der Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat 1918/19, eingeleitet und bearb. v. Stalmann, Volker unter Mitarbeit v. Stehling, Jutta (= Quellen zur Geschichte der Rätebewegung in Deutschland 1918/1919 4). Droste, Düsseldorf 2013. 1100 S. Besprochen von Werner Schubert.
Nach den Quellenbänden zur Geschichte der Räte in Württemberg und Baden (1976, 1980) liegen mit dem von Stalmann und Stehling bearbeiteten Quellenband nunmehr auch die 114 Protokolle (einschließlich sonstiger Materialien) der Sitzungen des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrats vor. Die Edition ist schon deshalb zu begrüßen, da die Sitzungsprotokolle des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrats eine „unverzichtbare Quelle“ zur Geschichte der Rätebewegung darstellen (M.-L. Recker im Vorwort, S. 5). Der Quellenwert wird noch dadurch erhöht, dass anders als in den meisten Ländern Deutschlands den Hamburger Räten keine Revolutionsregierung, sondern „ein im konstitutionellen Verfassungssystem des Kaiserreichs gründender und ohne Beteiligung der SPD gebildeter Senat“ gegenüberstand (S. 5). In seiner breiten Einleitung (S. 11-103) behandelt Stalmann die Vorgeschichte und den Verlauf der Revolution, den Aufbau, die Organisation sowie die Struktur des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrats, dessen politische Arbeit und dessen „innere Auseinandersetzungen“ und den „Niedergang des Rats“ (S. 111). Zu Beginn seiner Einführung stellt Stalmann die Bedeutung Hamburgs als führende Handelsstadt Deutschlands heraus. Bis 1914 war Hamburg eine „Hochburg“ der deutschen Arbeiterbewegung, die Hamburger Sozialdemokratie bildete eine Hochburg des Reformismus (S. 18). Die Verschleppung einer Verfassungs- und Wahlrechtsreform führte 1918 zu einer Radikalisierung der Arbeiterschaft, deren drei Gruppierungen (SPD, USPD und Radikale) sich am 8. 11. 1918 auf die Bildung eines Arbeiter- und Soldatenrats einigten. Nach den Wahlen zu einem „Großen Arbeiterrat“ mit 600 Delegierten wählten letztere 18 Delegierte in die Ratsexekutive, zu der noch 12 Vertreter der Parteien und des Gewerkschaftskartells hinzukamen (S. 46ff.). Aus Parität hatte der Soldatenrat ebenfalls 30 Mitglieder (S. 48f.).
Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrats war der promovierte Volkswirt Heinrich Laufenberg (S. 21f., 105). Mitte November 1918 stand fest, dass Hamburg „als Staat und Träger von vermögensrechtlichen Pflichten und Rechten“ fortbestand und Senat und Bürgerschaft „ihre Funktionen als kommunale Verwaltungskörperschaften“ fortsetzten (S. 52, 187ff., 230f.). Eine Bekanntmachung vom 12./13.11.1918 stellte fest, dass das Eigentum geschützt würde und die Beamten auf ihren Posten blieben (S. 176f.). Auch die Pressefreiheit wurde grundsätzlich gewahrt. Bis Mitte Januar 1919 waren die Einflüsse der Unabhängigen und der Radikalen im Arbeiter- und Soldatenrat soweit zurückgedrängt, dass nach dem Rücktritt Laufenbergs am 21. 1. 1919 der Sozialdemokrat Karl Hense zum Vorsitzenden des Rats gewählt wurde (S. 622). Rechtshistorisch von Interesse sind insbesondere die Debatten und Beschlüsse zu Fragen der Verfassung sowie des Sozialrechts und Arbeitsrechts. Wegweisend waren die Beschlüsse zur Wahl einer neuen Bürgerschaft (S. 905f.) und eines neuen Senats (S. 958ff.). Wichtig sind auch die Debatten über Verfassungsfragen im November 1918, in denen die Sozialdemokraten sich für die parlamentarische Demokratie aussprachen (S. 66ff., 253ff.). Von den vom Arbeiter- und Soldatenrat erlassenen 135 Verordnungen (insbesondere zur arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Materien wie die Unterstützung von Arbeitslosen, den 8-Stunden-Tag und die Lohnfortzahlung im Falle eines Streiks) wurden die meisten von der Bürgerschaft bis Februar 1921 für rechtsverbindlich erklärt (S. 102). Hinzuweisen ist auch auf die Novellierung des Fortbildungsschulgesetzes von 1913 (S. 349ff., 926). Im Rahmen der Trennung von Staat und Kirche wurde die Kirchensteuer und der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen abgeschafft sowie der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft erleichtert (S. 73, 413f., 354). Wiederholt befasste sich der Arbeiter- und Soldatenrat auch mit Fragen der Justiz (insbesondere mit der Bildung eines [Revolutions-]Tribunals; S. 674f. Entwurf zur Einsetzung eines solchen Tribunals; mit Fragen des Strafvollzugs und der Beibehaltung bzw. Abschaffung der Todesstrafe; vgl. die Nachweise über die Beratungen von Justizfragen im Register, S. 1084, 1090).
Nach den Wahlen zur Bürgerschaft am 16. 3. 1918, bei denen die SPD die absolute Mehrheit der Stimmen und Mandate (82 von 160) erhielt, und den Wahlen zum „Großen Arbeiterrat“ am 23. 3. 1918 war die Arbeit des Arbeiter- und Soldatenrats mit seiner Sitzung am 24. 3. 1919 beendet (S. 119ff.). Am 26. 3. 1919 konstituierte sich der Große Arbeiterrat, dem durch die Hamburger Verfassung vom 7. 1. 1921 „die Stellung einer öffentlich-rechtlichen Vertretungskörperschaft mit Mitspracherechten in sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten, insbesondere bei der Ausführung der Sozialisierungsgesetze“ eingeräumt wurde (S. 102). Die Protokolle und Dokumente des Bandes werden erschlossen durch ein Personen- und ein aussagekräftiges, detailliertes Sachregister (S. 167ff., S. 183ff.; S. 105ff. biografische Hinweise auf die Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates). Hilfreich wäre es gewesen, wenn die Herausgeber die wichtigsten, von der Bürgerschaft bestätigten Verordnungen des Arbeiter- und Soldatenrats noch zusammengestellt hätten. Insgesamt liegt mit der Edition der Protokolle des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrats eine wichtige Quelle zur Geschichte der Revolutionszeit 1918/191919 vor, an welcher die Rechtsgeschichte insbesondere Hamburgs nicht vorübergehen sollte.
Kiel
Werner Schubert