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Ulrich Tenglers Laienspiegel. Ein Rechtsbuch zwischen Humanismus und Hexenwahn, hg. v. Deutsch, Andreas (= Akademiekonferenzen, Band 11). Winter, Heidelberg 2011. 539 S., 7 farbige Abb., 70 s/w Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

Ulrich Tenglers Laienspiegel. Ein Rechtsbuch zwischen Humanismus und Hexenwahn, hg. v. Deutsch, Andreas (= Akademiekonferenzen, Band 11). Winter, Heidelberg 2011. 539 S., 7 farbige Abb., 70 s/w Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Im Jahre 2009 organisierte Andreas Deutsch, Leiter der Forschungsstelle „Deutsches Rechtswörterbuch“ bei der Heidelberger Akademie der Wissenschaften eine internationale Fachtagung zu Ulrich Tennglers (auch: Tengler) 1509 erstmals gedrucktem Werk „Laienspiegel“. Nach den Untersuchungen von Seitz (s. u.) sollte sich zukünftig die Namensform Tenngler durchsetzen, schade, dass der Herausgeber hier nicht konsequent vorgeht. Die 20 Vorträge dieser Tagung sind im vorliegenden Band in erfreulich kurzer Zeit im Druck vorgelegt worden. Der Inhalt der Beiträge wird durch viele Abbildungen aus den verschiedenen Druckausgaben und verwandten Werken anschaulich gemacht. Die Beiträge sind in zwei Komplexe gegliedert, die dann noch untergliedert wurden.

 

Die Einführung des Herausgebers stellt Ulrich Tenngler mit Einzelheiten zu seinem Leben vor und umreißt den Inhalt der folgenden Beiträge. Den Komplex „Ulrich Tengler, seine Zeit und seine Mitstreiter“ leitet Adolf Laufs mit einem Überblick zur Rezeption des römischen Rechts in Deutschland ein. Sie führte zu einer wachsenden Bedeutung der zuerst handschriftlich verbreiteten und dann gedruckten Spiegel-Literatur, die der praktischen Rezeption des wiederentdeckten justinianischen römischen Rechts am Ausgang des Mittelalters diente. Der um 1436 entstandene „Klagspiegel“ des Schwäbisch Haller Stadtschreibers Conrad Heyden kann als eine Anregung zu Tennglers Werk gelten. Beachtenswert in diesem Zusammenhang ist, dass gerade in Südwestdeutschland mit den (angrenzenden) Städten Straßburg und Basel diese Anregungen besonders aufgenommen wurden. Neben Tenngler aus Rottenacker bei Ehingen (Donau) sind auch Sebastian Brant aus Basel, der später in Straßburg wirkte, und der Pforzheimer Stadtschreiber Alexander Hugen zu beachten. Wenig später wurde in ebendieser Landschaft bei den Bauernerhebungen um 1525 der Ruf nach dem „guten alten Recht“ lautstark erhoben. Den in die Zukunft weisenden Rechtsgedanken steht auf der anderen Seite das Beharren mit üppigen Teufelsvorstellungen und blühendem Hexenwahn gegenüber. Reinhard H. Seitz widmet sich detailreich der Biographie Tennglers und seiner Zusammenarbeit mit Sebastian Brant und Jacob Locher, gen. Philomusus. Zahlreiche Belege machen es wahrscheinlich, dass Tenngler nicht um 1447 sondern bereits um 1440, geboren ist, und nicht 1511, sondern wohl erst 1521/1522 verstorben ist. Interessant ist Tennglers Wirken in Heidenheim (Brenz), Nördlingen, Graisbach und Höchstädt (Donau) im Dienste einer Reichsstadt und im Dienste der Herzöge von Bayern-Landshut. Es war für ihn daher naheliegend, sein Werk dem Augsburger Buchführer Johannes Rynmann von Öhringen anzuvertrauen, der das Werk bei dem Drucker Johann Othmar herstellen ließ. Franz Fuchs widmet sich weiteren Einzelheiten der Zusammenarbeit mit Jacob Locher, während Joachim Knape auf den Anteil Sebastian Brants an dem Werk eingeht. Hans-Jörg Künast behandelt den Druck der verschiedenen Ausgaben zwischen 1509 und 1560 in Augsburg und Straßburg. Für die Buchgeschichte wertvoll sind die Angaben zu dem bedeutenden Buchführer und Frühdrucker Johannes Rynmann und seinen weitgestreuten Geschäftskontakten. Zwischen 1497 und 1522 gab er 237 Werke, besonders in Hagenau und in Augsburg, in Auftrag. Stephan Füssel behandelt Buchprivilegien im frühen Buchdruck. Der Druck von 1509 enthielt keinen Abdruck eines Privilegs, wie dies damals üblich war, um Nachdrucke zu erschweren. Der Nachdruck in kleinerer Schrifttype und dadurch in geringerem Umfang erschien 1510 bei Matthias Hupfuff. Über die Gründe, warum dieser Druck 1511 eine Neuauflage erleben durfte und 1514 auch eine erweiterte Neuausgabe bei Hupfuff erscheinen konnte, existieren keine Unterlagen. Gestützt auf Unterlagen seines Vaters, Dr. Wolfgang Deutsch, widmet sich der Herausgeber dem Meister H. F., der als Schöpfer der Holzschnitte in dem Druck von 1509 Bedeutung erlangte. Eine nähere Bestimmung des Meisters H. F. ist nicht möglich, eine Herkunft des Laienspiegelmeisters aus Straßburg ist jedoch zu vermuten.

 

Den Komplex „Der Laienspiegel, sein Inhalt und seine Quellen“ leitet Bernd Kannowski mit der überaus informativen Studie über Bezüge des ‚Schwabenspiegels’ und der ‚Magdeburger Fragen’ zum Laienspiegel ein. In Untersuchungen zu mittelalterlichen Rechtstexten wird gern die Verbindung eines Textes zu einem anderen, meist älteren, Text unter Berufung auf frühere Autoren erwähnt. Dem Beitrag ist zu entnehmen, dass nur eine sehr gründliche Prüfung etwaiger Abhängigkeiten derartige Aussagen erlauben kann. Im vorliegenden Falle zeigt sich, dass für eine Verwertung des Güterrechts des ‚Schwabenspiegels’ ebenso wenige Anhaltspunkte zu finden sind wie für eine Beeinflussung durch die ‚Magdeburger Fragen’. Die überzeugende Darlegung sollte zukünftig Rechtshistoriker und Historiker zu einer Zurückhaltung bei der Vermutung von Abhängigkeiten bringen. Knut Wolfgang Nörr widmet sich dem romanisch-kanonischen Zivilprozess und seiner Darstellung im Laienspiegel. Allein für die Frage nach der Länge und Dauer eines Klagverfahrens hat der Verfasser des Laienspiegels keine Vorgehensweise beschrieben. Das Inquisitions- und Akkusationsverfahren im Laienspiegel findet durch Wolfgang Sellert eine Darstellung. Unter Vergleich zum Klagspiegel, der Wormser Reformation, der Bambergensis und der Carolina wird gezeigt, wie der Inquisitionsprozess den Akkusationprozess zu verdrängen beginnt. Von den noch im Klagspiegel deutlichen Spuren des gelehrten Rechts hat sich der Laienspiegel befreit und ist in seiner kürzeren und verständlicheren Fassung den Bedürfnissen der richterlichen Laienpraxis näher gerückt. Friedrich-Christian Schröder vertieft das Verhältnis des Laienspiegels zur Carolina. Der Einfall Tennglers, die regionale Bambergensis als geltendes kaiserliches Recht auszugeben, hat seinem Werk noch nach Erlass der Carolina als Dokument der Information über das geltende Recht Bedeutung gesichert. Gianna Burret beschreibt den rechtspolitischen Auftrag des Laienspiegels bei den Bestrebungen die Landfrieden umzusetzen. Auf die Quellen des gelehrten Rechts gestützt befürwortete der Text die Strafverfolgung ex officio. Den „landschädlichen Leuten“, notorischen Friedensbrechern, suchte man mit abgekürzten Verfahren beizukommen. Christian Hattenhauer widmet sich der rechtlichen Behandlung der Juden im Laienspiegel, bei der eine antijüdische Einstellung Tennglers erkennbar ist. Die Ausführungen finden sich besonders im vorletzten und letzten Titel des Werkes. Die Arbeit entspricht damit der harten franziskanisch-dominikanischen Haltung gegenüber Hexen, Ketzern und Juden. In der Behandlung des Judeneids folgt Tenngler einmal dem Judeneid der Nürnberger Reformation von 1479 und zum anderen der auf Durantis in seinem Speculum iudiciale (1271) benutzten Form. Erfreulich ist, dass die besprochenen Eidformeln am Schluss des Beitrags als Anlagen abgedruckt sind. Werner Tschacher stellt die Vorlage des ‚Malleus maleficarum’ des Heinrich Kramer als Vorlage der Hexereibestimmungen des Laienspiegels dar. Dabei wird die Dreigestalt der Hexerei als Glaubensverrat, der als Häresie zu bestrafen ist, als Schadenszauber, der ein dem Tot(!)schlag verwandtes weltliches Verbrechen ist, und schließlich als neuartiges Mischdelikt, das ein spezielles Inquisitionsverfahren benötigt, dargestellt. Wenn auch eine Rezeption des Laienspiegels in Hexenprozessen bislang nicht nachgewiesen ist, so zeigt der Laienspiegel doch die Popularisierung der Hexenlehre bei den juristisch gebildeten Trägern der Strafverfolgung. Wolfgang Schild schildert an dem Magier- und Hexenbild von Hans Schäufelin in Ulrich Tennglers Neu Laienspiegel (1511), dass eine Strafverfolgung nicht einzelnen Personen zu gelten hat, sondern der neuen Hexensekte, in der sich fast ausschließlich Frauen finden. Bei Wolfgang Schmitz ist die Stellung des Teufelsprozesses zwischen der Jurisprudenz und der Theologie behandelt. Die Bedeutung Marias zwischen ihrer Stellung im spätmittelalterlichen Teufelsprozess und der Haltung Luthers zu ihr zeigt sich an der Tatsache, dass der Teufelsprozess in Auflagen nach der Reformation entfallen ist. Dadurch blieb die Verbreitung des Laienspiegel auch bei Anhängern der Reformation gewährleistet. Eva Schumanns Ausführungen von „Teuflischen Anwälten“ und „Taschenrichtern“ – Das Bild der Juristen im Zeitalter der Professionalisierung enthalten eine in dieser Form bislang nicht gegebene Schilderung des Berufsstand der Juristen, seien sie Richter oder seien sie Anwälte. Viele der Vorbehalte, die gegen diese Juristen geäußert werden, sind schon im Laienspiegel angelegt. Prozessverschleppungsabsicht, Rechtsverdrehung und Richter mit Vorurteilen sind noch heute übliche Gesichtspunkte. Die zitierte Studie über die Vermittlung gelehrten Rechts an ungelehrte Rechtspraktiker (S. 436 Fn. 18) ist zwischenzeitlich im Beiheft der HZ, N.F. 57 (2012) S. 182-213, im Druck erschienen. Die in der nächsten Fußnote (S. 436 Fn. 19) zitierte Studie ist in Lili Bd. 41, H. 163 (2011) S. 114-148, erschienen. Für die Praxis der Gerichtsverfahren setzte sich durch, dass es nicht mehr allein entscheidend war, dass man das Recht auf seiner Seite hatte, sondern erst teuer erkauftes Expertenwissen bei den juristischen Praktikern erlaubte eine Durchsetzung im Gerichtsverfahren. Waren die Verfasser der vorgestellten Beiträge bislang meistens Juristen, so knüpft die Germanistin Ursula Schulze an eine Studie aus dem Jahre 1996 an, wenn sie das Weltgerichtsspiel als literarisches Konzept und seine Adaption in Ulrich Tenglers „Layenspiegel“ behandelt. Tenngler hat gegenüber den Quellen der Weltgerichtsspiele einen eigenen Texttyp geschaffen und bietet damit nach Auffassung der Autorin eine beachtenswerte literarische Leistung. Bereits ein Jahr nach Tennglers Druck wird der Text 1512 in Leipzig durch Wolfgang Stöckel ins Obersächsische umgeformt und selbständig gedruckt. Die Beiträge schließt Wolf-Friedrich Schäufele mit einer Betrachtung über die theologische Bedeutung der Weltgerichtsspiele und ihren Bezug zu dem Weltgerichtsspiel im „Neuen Laienspiegel“ ab. Durch die Reformation mit ihrer  Unterscheidung der beiden Rechte erhielt die säkulare Sphäre eine bislang nicht gekannte Selbständigkeit gegenüber Religion und Kirche. Demgemäß erschienen in der Auflage von 1518 letztmals das Weltgerichtsspiel und der Teufelsprozess in Drucken des Laienspiegels. Andreas Deutsch legt zum Abschluss in einer Synopse der Kapitelüberschriften der verschiedenen Laienspiegel-Ausgaben dar, wie sich die Ausgaben unterschieden.

 

Die umständliche Zitierweise für die Laienspiegel Ausgaben von 1509 und den Neuen Laienspiegel in allen Beiträgen lässt es wünschenswert sein, für wissenschaftliche Arbeiten einen Textdruck, der auch im Internet verfügbar sein könnte, zu schaffen, der verständliche Zitate erlaubt. Leider sind dem Band keine Register, Sachregister, Stellenregister oder Personenregister beigegeben, die eine Verknüpfung des Inhalts der Beiträge erleichtert hätten. Ebenso wären auch Angaben zu den Autoren der Beiträge wünschenswert gewesen.

 

Neu-Ulm                                                                                                          Ulrich-Dieter Oppitz