Bauer, Jörg-Christof, Der Beitrag der FDP-Fraktion im Parlamentarischen Rat zur Ausarbeitung des Grundgesetzes (= Rechtsgeschichtliche Studien 56). Kovač, Hamburg 2013. 295 S. Besprochen von Werner Schubert.
Bauer, Jörg-Christof, Der Beitrag der FDP-Fraktion im Parlamentarischen Rat zur Ausarbeitung des Grundgesetzes (= Rechtsgeschichtliche Studien 56). Kovač, Hamburg 2013. 295 S. Besprochen von Werner Schubert.
Während der Einfluss der CDU/CSU und der Sozialdemokratie auf das Grundgesetz bereits monographisch oder quellenmäßig erschlossen ist (vgl. S. 14, Fn. 13), fehlt es bislang an einer umfassenden Darstellung darüber, inwieweit die FDP-Fraktion im Parlamentarischen Rat auf die Entstehung des Grundgesetzes Einfluss genommen hat. Es ist deshalb zu begrüßen, dass sich Bauer dieser Thematik in seiner Dissertation von 2012 angenommen hat. Ziel der Arbeit von Bauer war es darzustellen, „auf welchen Gebieten die Liberalen ihre Vorstellungen zum Tragen bringen konnten, wo sie mit ihren Konzepten scheiterten oder wo sie zum Mittler zwischen den großen Fraktionen von SPD und CDU/CSU wurden“ (S. 18). Keine Stellung nimmt Bauer „zu den weltanschaulichen und politischen Auseinandersetzungen, die im Grundgesetz ihren Niederschlag gefunden haben“. Es gehe nicht darum, „Entscheidungen im Parlamentarischen Rat als richtig oder falsch einzuordnen, und es ist auch nicht intendiert, die Arbeit einzelner Abgeordneter im Sinne einer Leistungsbemessung positiv oder negativ hervorzuheben“. Ein Urteil darüber bleibe einer „wertenden Geschichtsschreibung überlassen“ (S. 19f.). Grundlage der Arbeit sind neben den gedruckten Quellen zum Parlamentarischen Rat auch die Unterlagen der FDP-Fraktion im Parlamentarischen Rat und die Nachlässe von Dehler, Reif und Becker (Archiv des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung, Gummersbach). Die FDP wurde erst am 11./12.12.1948 in Heppenheim als liberale westdeutsche Gesamtpartei begründet, über deren programmatische Ausrichtung nähere Ausführungen fehlen. Die aus den Ländern entsandten Abgeordneten der dort vertretenen FDP, LDP und DVP konstituierten sich im Parlamentarischen Rat als Fraktion, der angehörten: Theodor Heuss (für die südwestdeutsche DVP), Thomas Dehler (bayerische FDP), Hermann Schäfer (LDP, Niedersachsen/Hamburg), Hermann Höpker-Aschoff (LDP, Nordrhein-Westfalen), Max Becker (hessische LDP) und Hans Reif (Berlin; ohne Stimmrecht). Über die wenig bekannten Abgeordneten Schäfer, Becker und Reif hätte man gerne noch detailliertere biographische Daten gelesen. Bis auf Becker waren alle anderen Abgeordneten Mitglied der Weimarer linksliberalen DDP gewesen, über deren politisches Programm keine Einzelheiten mitgeteilt werden. Nach einer Einleitung, welche die bisherigen Arbeiten über die Entstehung des Grundgesetzes umschreibt, geht Bauer ein auf die Verfassungskonzeptionen von SPD und Unionsparteien – jedoch inhaltlich nur sehr knapp –, die programmatisch-politischen Vorstellungen der Liberalen, die Arbeit des Parlamentarischen Rates (einschließlich deren Vorbereitung im Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee), die Arbeitsweise des Parlamentarischen Rates, die Einflüsse gesellschaftlicher Interessengruppen, die Einflussnahme der Besatzungsmächte und die Fraktion der Liberalen im Parlamentarischen Rat.
Im Folgenden arbeitet Bauer 14 „Arbeitsfelder“ (S. 18) heraus, an deren Ausgestaltung die FDP sich intensiv beteiligte: Präambel/Bennennung des Verfassungstextes, Freiheitsrechte sowie Gleichberechtigung, Kulturverfassung, Stellung der Kirchen, Bundesrat als föderatives Element, Finanzwesen, Wirtschaftsverfassung, innere Ausgestaltung des Bundestages, Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, Konzeption der Regierung, Beamtenfragen, Justizverfassung, Problem von plebiszitären Elementen sowie Gestaltung der Friedensverfassung (S. 67-244). In dem Schlussabschnitt „Zusammenfassung und Fazit“ (S. 245-271) stellt Bauer die wichtigsten Ergebnisse seiner Studie zusammen und geht noch drei Fragen nach, nämlich welcher Anteil an der Beratung von Verfassungsproblemen und deren Ausgestaltung den einzelnen FDP-Abgeordneten zufiel, inwieweit sich aus ihren Beiträgen „eine gewisse Zuordnung hinsichtlich der geleisteten Verfassungsarbeit innerhalb der Fraktion ermitteln lässt“ und „welche Gesamtstrategie bzw. welches das Grundgesetz prägende Gesamtergebnis“ sich für das Wirken der liberalen Partei im Verfassung gebenden Gremium ergab (S. 264). Einen überragenden Einfluss auf die Verfassungsberatungen hatten Heuss, der sich vor allem den Staatssymbolen und den Grundrechten widmete, und Dehler, der – anders als Heuss – für ein geschlossenes Staatskonzept eintrat (u. a. starke Demokratie, Sicherung des Berufsbeamtentums, konstruktives Misstrauensvotum, Prinzip des freien Mandats, Ablehnung von plebiszitären Elementen in der Verfassung; oft zusammen mit Becker). Höpker-Aschoff war besonders an der Ausgestaltung der Finanzgesetzgebung, der Steuerverwendung und des Finanzausgleichs beteiligt.
Am Widerstand der Alliierten, die den Ländern „stärkere Einnahmequellen gegenüber der Finanzgesetzgebung des Bundes“ zugestehen wollten (S. 129ff., 250f.), scheiterte auch der Versuch der Liberalen, eine umfassende Bundesfinanzverwaltung durchzusetzen. Hinsichtlich des Bundesrates wandte sich die FDP-Fraktion gegen eine reine Ländervertretung und bevorzugte eine gemischte Lösung (Senat mit ständigen Vertretern der Landesregierungen und nicht weisungsgebundenen Senatoren; S. 117ff.). Im Streit um die Schulverfassung lehnten die Liberalen eine religiös-weltanschauliche Gestaltung des Schulwesens ab (S. 97ff.). In den Regelungen über die Justizverfassung konnte sich die FDP insbesondere gegenüber den Sozialdemokraten durchsetzen (Garantie des deutschen Richtertums „in seinem Bestande als historisch gewordene Institution“ [S. 260], keine zwingende Mitwirkung von Richterwahlausschüssen in den Ländern, breite Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts [insbesondere parlamentarischer Minderheitenschutz]; S. 207ff.). Im Ganzen verfolgten die Liberalen ein offenes Verfassungskonzept und entwickelten zum Teil „unterschiedliche Denkansätze“ (S. 37, 271). Gleichzeitig nahmen sie eine Vermittlerfunktion zwischen den Konzeptionen von CDU/CSU und SPD wahr (vgl. S. 271). Die Arbeit Bauers beschränkt sich „bewusst auf die rechtsgeschichtliche Darstellung des Beitrags der Liberalen“ bei der Entstehung des Grundgesetzes. Es gehe darum, „deren Einwirkung auf die Ausformulierung ganz bestimmter Artikel des Grundgesetzes vor dem Hintergrund äußerer Einflüsse und insbesondere im Wechselspiel mit den großen Fraktionen von CDU/CSU und SPD bei der Verfassungsarbeit im Parlamentarischen Rat“ darzustellen (S. 245). Mitunter hätte dieses Wechselspiel noch ausführlicher dargestellt werden sollen. Mit seinem Werk über den Anteil der FDP am Grundgesetz in seiner ursprünglichen Fassung hat Bauer eine wichtige Facette seiner Entstehung erschlossen, womit gleichzeitig verdeutlicht wird, dass viele der von der FDP-Fraktion befürworteten Grundentscheidungen des Grundgesetzes trotz aller Ergänzungen und Änderungen bis heute maßgebend geblieben sind.
Kiel
Werner Schubert