Keiser, Thorsten, Vertragszwang und Vertragsfreiheit im Recht der Arbeit von der frühen Neuzeit bis in die Moderne (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 278). Klostermann, Frankfurt am Main 2013. XVIII, 480 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Keiser, Thorsten, Vertragszwang und Vertragsfreiheit im Recht der Arbeit von der frühen Neuzeit bis in die Moderne (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 278). Klostermann, Frankfurt am Main 2013. XVIII, 480 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Arbeiten durfte der Mensch seit seiner Entstehung und arbeiten musste er wohl seit derselben Zeit, wenn er auf Dauer überleben wollte. In diesem Sinn bezeichnet das bereits für das Germanische zu erschließende Wort Arbeit jede auf Schaffung von Werten gerichtete menschliche Tätigkeit, in deren Mittelpunkt anfangs die damit verbundene Mühe steht. Für das Recht bedeutsam ist davon freilich nicht die Arbeit für sich selbst, sondern nur die Arbeit für andere, für die an vielen Orten in langen Zeiten Unselbständigkeit und Fremdbestimmtheit bedeutsam sind.
Trotz dieses unbestreitbaren Gewichts der Arbeit für andere in der menschlichen Entwicklung ist das Recht der Arbeit bisher in seiner Gesamtheit noch nicht ausreichend untersucht. Zu sehr wird es vom Recht allgemeinerer Abhängigkeitsverhältnisse wie Sklaverei oder auch Hörigkeit überlagert. Obwohl bereits im Mittelalter das dauernde Vorkommen vertraglich vereinbarter Arbeitsverhältnisse in Stadt und Land sowie die beständige Sorge der Obrigkeit für Reglementierung einer Entlohnung für vereinbarte Arbeit bezeugt sind, liegt das allgemeine Augenmerk hinsichtlich des Rechts der Arbeit vor allem auf der Zeit seit der industriellen Revolution.
Hiervon löst sich die vorliegende Untersuchung insofern eigenständig, als sie die frühe Neuzeit einschließt und die Betrachtung bis in die Moderne fortführt. Zwar wird auch bei ihr nach dem Umschlagbild Arbeit vor allem mit Schichtwechsel (von Arbeitern in einem Betrieb nach einer Zeichnung Wilhelm Gauses - 1851-1916) verbunden. Dennoch ist das umfangreichste der insgesamt fünf Kapitel dem Gegenstand Obrigkeit und Zwang im Recht der Arbeit des Ancien Régime gewidmet.
Insgesamt handelt es sich bei dem in ausgezeichnetem Rahmen vorgelegten Werk um die stattliche Habilitationsschrift des in Frankfurt am Main 1974 geborenen Verfassers. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft in seiner Heimatstadt, in Heidelberg und an der Università degli studi in Bologna sowie der im Jahre 2000 abgelegten ersten juristischen Staatsprüfung und dem anschließenden Zivildienst am Goethe-Institut in Berlin trat er als Doktorand am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte erstmals 2005 mit einer Untersuchung über Eigentumsrecht im Nationalsozialismus und Fascismo hervor. Im Anschluss an die zweite juristische Staatsprüfung bereitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Frankfurt am Main bei Joachim Rückert und mit einer eigenen Stelle auf Grund eines Stipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft seine Habilitation vor, die im Juli 2012 für bürgerliches Recht, deutsche und europäische Rechtsgeschichte, neuere Privatrechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und europäische Rechtsgeschichte erfolgte.
Betreut und gefördert wurde die Habilitationsschrift wie bereits die Dissertation vor allem von Joachim Rückert, der sich selbst neben der Ideengeschichte und Wissenschaftsgeschichte schon früh und intensiv für die Arbeitsrechtsgeschichte eingesetzt hatte. Nach dem Vorwort nähert sich das in diesem günstigen Umfeld entstandene Werk des Verfassers seinem Gegenstand nicht aus einer umfassenden Perspektive, sondern von Seiten der individuellen Arbeitsverträge. Analysiert werden sollen die Autonomiepotentiale arbeitender Menschen in ihrem vertraglichen Verhältnis zu dem jeweiligen Dienstherrn, wobei die Frage nach Freiheit und Bindung jenseits der allgemeinen Kategorien von Status und Vertrag neu gestellt werden soll.
Dementsprechend muss der Verfasser gewissermaßen zwei durchaus verschieden vorgestellte Welten durchmustern. Bei der einen stehen berufsständische und obrigkeitliche Ordnungsvorstellungen stark im Vordergrund. Erst mit dem Aufkommen des Liberalismus konnte konnten Freiheit und Marktorientierung dem bedeutsam zur Seite treten.
Dem entspricht die klare und übersichtliche Gliederung des Werkes, die von freien und unfreien Dienstverträgen als Forschungsgegenständen ausgeht. Daran schließt der Verfasser die Betrachtung des Rechtes der Arbeit in der Zeit des Ancien Régime an. Nach einem kurzen Querschnitt zu Reflexionen über Arbeit, Freiheit und Vertrag in der juristischen und politischen Literatur um 1800 folgt die ausführliche Erörterung der Arbeitsvertragsverhältnisse von 1800 bis 1919.
Am Ende legt der Verfasser seine vielfältigen Ergebnisse dar, bietet ansprechende Erklärungen und stellt interessante Vergleiche an. Dabei weist er eingehend darauf hin, dass ab etwa 1400 in seinem Untersuchungsgebiet allgemein eine auffällige Überlagerung von Dienstverhältnissen mit herrschaftlichen Bestimmungen (Gebotsgesetzen bzw. auch öfter in größeren Kodifikationswerken) erfolgte (z. B. Bestrafung bei völliger Nichterfüllung der vertraglichen Arbeitspflicht, Lohnfestsetzung, Müßiggangverbote). Hieraus erschließt sich ihm die Erkenntnis, dass in der frühen Neuzeit fast jeder Dienstvertrag eines Handarbeiters auf irgendeine Weise und in irgendeinem Maße rechtlich und faktisch unfrei war.
In der Folge hatte die bedeutsame ideengeschichtliche Wende um 1800 nur begrenzte Auswirkungen auf dass Recht der abhängigen Arbeitskräfte. Dementsprechend wurde das Jahrhundert des freien Privatrechts nicht auch das Jahrhundert des freien Dienstvertrags. Vielmehr wurde eine vorgegebene marktbedingte Ungleichheit der beiden beteiligten Seiten zu einer neuen Herausforderung, der durch neues Recht eines sozial gebundenen Dienstvertrags zu begegnen war.
Im Anschluss hieran fragt der Verfasser nach der Gegenüberstellung von pseudofeudalem Recht auf dem Land und Privatrecht der Industrie, wobei ihn die Bezeichnung des Gesinderechts des 19. Jahrhunderts als feudales Relikt ebenso wenig überzeugt wie die pauschale Identifikation aller gewerblichen freiern Arbeitsverhältnisse mit heutigem Privatrecht, und nach Bündnissen zwischen Staat und Kapital zur Unterdrückung arbeitender Menschen. Danach betrachtet er in der Einsicht, dass unfreie Dienstverträge meist in politischen Systemen entstanden, die eine Erfüllung von Arbeitspflichten nicht als Privatangelegenheit einstuften, die Elemente einer gebundenen Arbeitsverfassung in der Diktatur des Nationalsozialismus und greift schließlich rechtsvergleichend vor allem auf England aus, wobei er im vertieften Vergleich weitere große Erkenntnischancen für das Verhältnis von Arbeit, Freiheit und Recht unter verschiedenen politischen und ökonomischen Bedingungen vermutet.
Am Ende weist der Verfasser die von ihm verwendeten ungedruckten Quellen aus Wiesbaden, Frankfurt am Main, München, Düsseldorf und Berlin sowie die gedruckten Quellen und die Literatur nach. Sein von Abdingung bis Zycha reichendes Personen- und Sachregister schließt den Inhalt vorteilhaft auf. Neun ausgewählte Quellen spannen einen anschaulichen Bogen von einer Frankfurter Weingärtnerordnung des Jahres 1589 bis zu einer Anfrage zur Vollstreckung von Zwangsmitteln gegen Glasmacher wegen Nichterfüllung vertraglicher Arbeitspflichten vom 2. November 1893, dessen völlige Breite der Verfasser gelungen gefüllt hat.
Innsbruck Gerhard Köbler