3601 | Kontinuität ist allgemein die Fortdauer, im besonderen die Fortdauer römischer Gegebenheiten im Frühmittelalter. Diese ist streitig. Deswegen muss im Einzelfall untersucht werden, ob eine frühmittelalterliche Erscheinung aus dem römisch-christlichen Bereich oder aus dem heidnisch-germanischen Bereich kommt oder in der Zeit selbst erst neu entstanden ist. Bei Veränderungen im politischen Bereich besteht aus Sachzwängen heraus vielfach Kontinuität der rechtlichen Bestimmungen (z. B. 1918, 1933, 1945), so dass z. B. die Magna Charta in Großbritannien seit 1215, der Code civil in Frankreich seit 1804, das ABGB in Österreich seit 1811 oder das BGB in Deutschland seit 1900 ungeachtet einzelner Veränderungen als solche gelten. Lit.: Kontinuität?, hg. v. Bausinger, H. u. a., 1969; Baumgartner, H., Kontinuität und Geschichte, 1972; La Continuità nella Storia del Diritto, hg. v. Erler, A. u. a., 1972; Kontinuität-Diskontinuität in den Geistes-wissenschaften, hg. v. Trümpy, H., 1973; Westdeutschland 1945-1955, hg. v. Herbst, L., 1986; Angenendt, A., Das Frühmittelalter, 1990 |
3602 | Kontokorrent ist die laufende Rechnung zwischen zwei Beteiligten. Einen Ansatz hierfür liefert bereits das in Rom bekannte Kassenbuch. Bedeutsam wird die laufende Rechnung aber erst in Oberitalien im 13. und 14. Jh., im Heiligen römischen Reich im 15. Jh. Als Vertragsverhältnis wird das K. seit dem 19. Jh. angesehen. Lit.: Endemann, W., Studien in der romanisch-kanonistischen Rechtslehre, Bd. 1f. 1874ff., Neudruck 1962, 455; Rehme, P., Geschichte des Handelsrechts, 1913, 77, 105; Prausnitz, O., Die Geschichte der Forderungsverrechnung, 1928 |
3603 | Kontrahierungszwang ist die rechtliche Verpflichtung, eine Vereinbarung abzuschließen. Der K. widerspricht der Privatautonomie. Er wird in engen Grenzen im 20. Jh. anerkannt. Ältere Ansätze kennt bereits das mittelalterliche Stadtrecht. Lit.: Kroeschell, 20. Jh. |
3604 | Kontrakt (1465, lat. M. →contractus) ist der →Vertrag. Lit.: Köbler, DRG 45; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
3605 | Kontraktualismus ist die Lehre zur Begründung staatlicher Rechtsordnung auf Vertrag seit der Aufklärung (z. B. Jean-Jacques Rousseau, Le contrat social, 1762). |
3606 | Kontrollrat →Alliierter Kontrollrat |
3607 | Kontroverse (F.) Meinungsverschiedenheit |
3608 | Kontumazialverfahren ist das bei Ladungsungehorsam (lat. F. contumacia) eintretende Verfahren des klassischen römischen und neu-zeitlichen Verfahrensrechts. →Versäumnisverfahren Lit.: Kaser, M., Das römische Zivilprozessrecht, 1966; Bethmann Hollweg, M. v., Der germanisch-romanische Zivilprozess im Mittelalter, Bd. 1ff. 1868ff., Neudruck 1959 |
3609 | Konvaleszenz ist das nachträgliche Wirksamwerden eines nicht oder nicht voll wirksamen Geschäfts im römischen und gemeinen Recht. Lit.: Kaser §§ 9 I 3, 27 II 1, 59 I 3a; Schanbacher, D., Die Konvaleszenz von Pfandrechten im klassischen römischen Recht, 1987 |
3610 | Konventionalstrafe ist die bereits im römischen Recht als Fall der →Stipulation mögliche Vertragsstrafe. Lit.: Kaser § 40 I 4b |
3611 | Konversion ist die schon dem römischen Recht bekannte Umdeutung eines unwirksamen Rechtsgeschäfts. Lit.: Kaser § 9 I 3; Krampe, C., Die Konversion des Rechtsgeschäfts, 1980 |
3612 | Konzentrationslager ist ein wohl dem spanischen Ausdruck campos reconcentrados nachgebildetes Wort. In campos reconcentrados (campos de concentración) hält Spanien seit 1895 im zehnjährigen Unabhängigkeitskrieg kubanische Guerrilleros und deren Angehörige gefangen. Am Ende des 19. Jh.s errichtet England im südafrikanischen Burenkrieg „laagers“ bzw. concentration camps für die Angehörigen der Burenguerilleros. In der Sowjetunion, in der 1921 bereits rund 50 Zwangsarbeitslager bestehen, durchlaufen zwischen 1929 und 1953 etwa 18 Millionen Menschen Lager, aus denen mehr als 4,5 Millionen Menschen nicht zurückkehren. Seit 1933/1934 entstehen durch das Deutsche Reich etwa 60 K. (z. B. Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau (22. 3. 1933), Neuengamme, Ravensbrück, Sachsenhausen), in denen 1934 etwa 45000 und 1938 etwa 60000 Menschen untergebracht sind (1944 in Buchenwald nur noch 8 Prozent Deutsche). Sie werden zu regierungsgestützten planmäßigen Vernichtungslagern aller missliebigen Fremdvölkischen gemacht, in die seit Oktober 1939 alle Juden, die ein staatsabträgliches Verhalten zeigen, eingewiesen und überwiegend durch Arbeit und Mord vernichtet werden (möglicherweise insgesamt mehr als 2 Millionen Opfer). Lit.: Köbler, DRG 222; Kogon, E., Der SS-Staat, 1946; Broszat, M., Studien zur Geschichte der Konzentrationslager, 1970; Richardi, H., Schule der Gewalt, 1983; Czech, D., Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939-1945, 1989; Tuchel, J., Konzentrationslager, 1991; Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, hg. v. Dieckmann, C. u. a., 1998; Konzentrationslager Buchenwald, 1998; Konzentrationslager Buchenwald, 1998; Wippermann, W., Konzentrationslager, 1999; Orth, K., Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager, 1999; Auschwitz 1940-1945, hg. v. Dlugoborski, W. u. a., 1999; Lotfi, G., KZ der Gestapo, 2000; Orth, K., Die Konzentrationslager-SS, 2000; Darstellungen und Quellen zur Geschichte von Auschwitz, hg. v. Institut für Zeitgeschichte u. a., Bd. 1ff. 2000; Wenck, A., Zwischen Menschenhandel und Endlösung, 2000; Friedler, E. u. a., Zeugen aus der Todeszone, 2002; Schwarzbuch Gulag. Die sowjetischen Konzentrationslager, hg. v. Dobrowolski, I., 2002; Strebel, B., Das KZ Ravensbrück, 2003; Applebaum, A., Der Gulag, 2003; Steinbacher, S., Auschwitz, 2004; Petit, G., Rückkehr nach Langenstein, 2004; Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, hg. v. Benz, W. u. a., Bd. 1ff. 2005ff.; … und wir hörten auf, Mensch zu sein, hg. v. Mayer, M., 2005; Fings, K., Krieg, Gesellschaft und KZ – Himmlers SS-Baubrigaden, 2005; Benz, W. u. a., Der Ort des Terrors, Bd. 1ff. 2005ff.; Konzentrationslager im Rheinland und in Westfalen 1933-1945, hg. v. Schulte, J., 2005; Dirks, C., Das Verbrechen der anderen, 2006; Grabher, M., Irmfried Eberl, 2. A. 2006; Kirschner, A., Salas Geheimnis, 2008; Sommer, R., Das KZ-Bordell, 2009; Heise, L., KZ-Aufseherinnnen vor Gericht, 2009; Encyclopedia of Camps and Ghettos, hg. v. Megargee, G, 2009; Concentration Camps in Nazi Germany, hg. v. Caplan, J. u. a., 2010; Wiedemann, F., Alltag im Konzentrationslager Mittelbau-Dora, 2010; Cramer, J., Der Lüneburger Prozess gegen Wachpersonal der Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen, 2011; Greiser, A., Der Kommandant, 2011; Weise, N., Eicke, 2013; Berger, S., Experten der Vernichtung, 2013 |
3613 | Konzentrationsmaxime ist im neuzeitlichen Verfahrensrecht der bereits im gemeinen Recht sichtbare, auf Konzentration gerichtete Verfahrensgrundsatz, der den Ablauf des Verfahrens durch Konzentration auf möglichst wenige Termine beschleunigen soll. Lit.: Damrau, J., Die Entwicklung einzelner Prozessmaximen, 1975¸ Willmann, P., Die Konzentrationsmaxime, 2004 |
3614 | Konzern ist im Wirtschaftsrecht des (letzten Viertels des) 19. Jh.s und des 20. Jh.s die unter Wahrung der rechtlichen Selbständigkeit erfolgende Zusammenfassung eines herrschenden und mindestens eines abhängigen Unternehmens (Unterordnungskonzern) oder mehrerer rechtlich selbständiger, nicht von einander abhängiger Unternehmen (Gleichordnungs-konzern) unter einheitlicher Leitung. Mit der Internationalisierung der Wirtschaft tritt der große multinationale K. in den Vordergrund. Den Missbrauch soll in Deutschland das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (27. 7. 1957, 3. 8. 1973) eindämmen. Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 250; Emmerich, V., Konzernrecht, 8. A. 2005; Dettling, H., Die Entstehung des Konzernrechts im Aktiengesetz von 1965, 1997; Ellenberg, S., Herrschaft und Reform, 2012 |
3615 | Konzentrationsmaxime ist die der Beschleunigung des Zivilprozesses durch Konzentration auf möglichst wenige Termine dienende Maxime, die bereits im gemeinen Recht sichtbar wird. Lit.: |
3616 | Konzessionssystem ist das im 19. Jh. bestehende System, das für die Entstehung einer juristischen Person eine Konzession (Verleihung, Genehmigung) des Staates erfordert. Es wird durch den liberalen Grundsatz der freien Körperschaftsbildung (System der Normativbestimmungen) abgelöst (Österreich 1870). Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 207, 217; Dörr, C., Vom Konzessionszwang zum Normativrecht, 2013 |
3617 | Konzil (lat. N. concilium) (oder →Synode, Versammlung) ist im katholischen Kirchenrecht das kollegiale, nicht ständige Organ zur Behandlung kirchlicher Angelegenheiten. Das K. lässt sich seit der zweiten Hälfte des 2. Jh.s n. Chr. nachweisen. Allgemeine (ökumenische) Konzile (bisher 21) finden seit Nikäa (325), Konstantinopel (381), Ephesus (431) und Chalkedon (451) statt (Konstantinopel 553, Nikäa [II] 787, Konstantinopel 869, Konstantinopel 880. weitere wichtige Konzile sind die vier Laterankonzile von 1123, 1139, 1179 und 1215, das 16. ökumenische K. von Konstanz von 1414-1418, das 17. ökumenische K. von Basel (1431-1437), das 19. ökumenische K. von Trient (1545-1563), das erste Vatikanische K. (1869-1870) sowie das zweite Vatikanische K. von 1962-1965. Sie treffen meist richtungweisende Beschlüsse. Lit.: Kroeschell, DRG 1; Hefele, C. v., Conciliengeschichte, Bd. 1ff. 2. A. 1873ff.; Jedin, H., Kleine Konziliengeschichte, 1959, 8. A. 1969; Tangl, G., Die Teilnehmer an den allgemeinen Konzilien des Mittelalters, 1922; Conciliorum Oecumenicorum Decreta, hg. v. Alberigo, G., 3. A. 1973; Nörr, K., Kirche und Konzil bei Nikolaus de Tudeschis, 1964; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Sieben, H., Die Konzilsidee der Alten Kirche, 1979; Sieben H., Die Konzilsidee des lateinischen Mittelalters, 1984; Dekrete der ökumenischen Konzilien, hg. v. Wohlmuth, J., Bd. 1ff. 1997ff.; Das Konzil von Aachen, hg. v. Willjung, H., 1998; Ballweg, J., Konziliare oder päpstliche Reform, 2000; Gresser, G., Die Synoden und Konzilien der Zeit des Reformpapsttums in Deutschland, 2004; Uphus, J., Der Horos des zweiten Konzils von Nizäa (787), 2004; Limmer, J., Konzilien und Synoden im spätantiken Gallien, 2004; Sieben, H., Studien zu Gestalt und Überlieferung der Konzilien, 2005; Boockmann, H./Dormeier, H., Konzilien, Kirchen- und Reichsreform (1410-1495), 2005; The Oecumenical Councils, hg. v. Alberigo, G. u. a., 2006; Die Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414-1418) und Basel (1431-1449), hg. v. Müller, H. u. a., 2007; Concilium universale Nicaenum secundum, hg. v. Lamberz, E., 2008; Minnich, N., Councils of the Catholic Reformation, 2008; Müller, H., Das Basler Konzil (1431-1449) und die europäischen Mächte, HZ 293 (2011), 593; DIe Konzilien der karolingischen Teilreiche 875-911, hg. v. Hartmann, W. u. a., 2012 |
3618 | Konziliarismus ist in der katholischen Kirche die am Ende des 14. Jh.s entstehende Bewegung, die das →Konzil zur höchsten Gewalt der Kirche zu machen versucht. Der K. kann sich nicht durchsetzen. Lit.: Kneer, A., Die Entstehung der konziliaren Theorie, Römische Quartalschrift 1893; Angermeier, H., Das Reich und der Konziliarismus, HZ 191 (1961), 529; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Brandmüller, W., Papst und Konzil im großen abendländischen Schisma, 1990; Das Ende des konziliaren Zeitalters, hg. v. Müller, H., 2012 |
3619 | Konzilsappellation ist der wohl seit der Spätantike bekannte Versuch, gegen eine Entscheidung des Papstes →Appellation an ein →Konzil einzulegen. Die K. kommt, ohne durchschlagende Erfolge, während des gesamten Hochmittelalter und Spätmittelalters häufiger vor. Lit.: Becker, H., Die Appellation vom Papst an ein allgemeines Konzil, 1978 |
3620 | Kopenhagen gelangt 1167 als Fischersiedlung vom König von Dänemark an den Bischof von Seeland. 1254 erhält der Ort Stadtrecht. 1416 kommt er an den König zurück. 1479 wird er Sitz einer Universität. Lit.: Wiborg, A./Gralle, J., Kopenhagen, 1981; Christophersen, A., Fra Villa Hafn, 1986; Kobenhavns Universitet, hg. v. Ellehoj u. a., Bd. 1ff. 1990ff. |