6321 | seisin (F.) Gewere |
6322 | Sekundogenitur (F.) Zweitgeburt |
6323 | Selbständiger ist, wer nicht in einer (beruflichen) Abhängigkeit steht. In der arbeitsteiligen Wirtschaft wird die Zahl der Selbständigen (Unternehmer) immer geringer. Möglicherweise erzwingt die durch hohe Lohnkosten und Rationalisierungsdruck bewirkte Arbeitslosigkeit in der Zukunft wieder mehr Selbständigkeit. Lit.: Köbler, DRG 225, 252 |
6324 | Selbstbedienung ist die eigene Ausführung einer (bisher) einem andern zustehenden Angelegenheit. Sie kann zu Kostenvorteilen führen. Sie kann (z. B. bei Politik und im öffentlichen Dienst) aber auch sinnvolle Kontrollmechanismen umgehen. Lit.: Langer, L., Revolution im Einzelhandel, 2013 |
6325 | Selbstbestimmung ist die ausschließliche Entscheidung des Betroffenen über sich selbst. Sie entwickelt sich dort, wo übermäßige Fremdbestimmung aufgeklärtes Freiheitsstreben erwachen lässt. Das ist seit dem 18. Jh. allgemein und seit dem 19. Jh. im überindividuellen Bereich der Fall. Lit.: Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Ziegler, K., Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A. 2007; Elsner, B., Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, 2000; Mett, F., Das Konzept des Selbstbestimmungsrechts der Völker, 2004; Fisch, J., Adolf Hitler und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, HZ 290 (2010), 93; Fisch, A., Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, 2010; DIe Verteilung der Welt, hg. v. Fisch, J., 2011 |
6326 | Selbsthilfe (Wort 1678) ist die Durchsetzung oder Sicherung eines Anspruches durch eigenes Handeln. Die S. ist vor der Entwicklung des staatlichen Durchsetzungsmonopoles selbverständlich (→Fehde). Schon im römischen Altertum ist sie eingeschränkt. Seit dem Frühmittelalter wird die S. zurückgedrängt. Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (1900) hält sie zwar noch für grundsätzlich zulässig, bindet sie aber an enge Voraussetzungen und gewährt ihr nur geringe Möglichkeiten (§ 229 BGB). Lit.: Kaser § 36 II 5; Söllner § 8; Hübner; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 18, 92, 166, 177, 208; His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1 1920, 54, Neudruck 1964; Adler-Rudel, S., Jüdische Selbsthilfe, 1974; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985, 277, 287; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
6327 | Selbstmord (Selbsttötung) ist die gewaltsame Beendung des eigenen Lebens. Das römische Recht steht dem S. grundsätzlich ziemlich gleichgültig gegenüber, gibt aber den zunächst üblichen Abbruch eines Strafverfahrens nach S. im 3. Jh. n. Chr. aus finanziellen Erwägungen zu Gunsten der Konfiskation des Vermögens von Angeklagten auf. Von der christlichen Kirche wird S. vom 6. Jh. bis in das 20. Jh. als Todsünde dadurch bekämpft, dass (noch 1917) die Beerdigung des Selbstmörders in christlichen Formen ausgeschlossen wird. Zeitweise sprechen sich auch weltliche Juristen und territoriale Bestimmungen für eine Strafbarkeit des Selbstmords aus (Pufendorf, Thomasius, Wolff), doch werden nach ersten liberalen Stimmen in der Renaissance weltliche Rechtsfolgen des Selbstmords unter dem Einfluss der Aufklärung in Preußen 1751 und in Frankreich 1790 von oben her aufgegeben, weil der Selbstmörder als krank angesehen wird. Die Mitwirkung Dritter ist an einzelnen Orten zu einzelnen Zeiten tatsächlich strafbar. Lit.: Bernstein, O., Die Bestrafung der Selbstmörder, 1907; Masi, G., Il suicidio nel diritto comune, (in) Il diritto ecclesiastico, 63 (1952), 497; Dieselhorst, J., Die Bestrafung der Selbstmörder im Territorium der Reichsstadt Nürnberg, Mitt. d. Vereins f. Gesch. der Stadt Nürnberg 44 (1953), 58; Faberow, N., Bibliography of suicide, 1972; Wacke, A., Der Selbstmord im römischen Recht, ZRG RA 97 (1980), 26; Ehrlich, J., Suicide in the Roman Empire, 1986; Nestmeyer, F., Freitod, 1998; Murray, A., Suicide in the Middle Ages, 1998ff.; Schrage, E., Suicide in Canon Law History, Legal History 21 (1999), 57; Lind, V., Selbstmord in der frühen Neuzeit, 1999; Mischler, G., Von der Freiheit, das Leben zu lassen, 2000; Ahrens, J., Selbstmord, 2001; Baumann, U., Vom Recht auf den eigenen Tod, 2001; Bähr, A., Der Richter im Ich, 2002; Schreiner, J., Jenseits vom Glück. Suizid, Melancholie und Hypochondrie in deutschsprachigen Texten des späten 18. Jahrhunderts, 2003; Hofmann, D., Suizid in der Spätantike, 2007; Pfannkuchen, K., Selbstmord und Sanktionen, 2008; Goeschel, C., Suicide in Nazi Germany, 2009; Frantzen, M., Mors voluntaria in reatu, 2012; Wiler, K., Die Beurteilung der Selbsttötung, 2013 |
6328 | Selbstverwaltung ist die eigenverantwortliche Wahrnehmung überlassener oder zugewiesener eigener öffentlicher Aufgaben durch unter-staatliche Träger öffentlicher Verwaltung. S. ist selbverständlich. Sie wird zu einer politischen Frage seit der frühen Neuzeit, in welcher der erstarkende absolute Flächenstaat alle Entscheidungen zentralisiert. In Abwehr dieser büro-kratisch-planstaatlichen Entwicklung setzen Aufklärung und Liberalismus seit 1808 in Preußen die kommunale S. durch (Österreich provisorisches Gemeindegesetz 1849, Reichsgemeindesgesetz 1862, autonomer Wirkungsbe-reich und übertragener staatlicher Wirkungsbereich). Dem folgen eine berufs-ständische S. (Handwerkskammer u. s. w.) und seit 1883 eine sozialversiche-rungsrechtliche S. (z. B. Krankenversicherung) nach. Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 197, 258; Gneist, R. v., Geschichte des Selfgovernment in England, 1863; Schelb, W., Staatsverwaltung und Selbstverwaltung, 1911; Becker, E., Gemeindliche Selbstverwaltung, 1941; Fischer, W., Unternehmerschaft, Selbstverwaltung und Staat, 1964; Heffter, H., Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, 1950, 2. A. 1969; Graf, W., Die Selbstverwaltung der fricktalischen Gemeinden im 18. Jahrhundert, 1967; Matzerath, H., Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, 1970; Croon, H./Hofmann, W./Unruh, G. v., Kommunale Selbstverwaltung im Zeitalter der Industrialisierung, 1971; Schwab, D., Die „Selbstverwaltungsidee“ des Freiherrn von Stein, 1979; Hendler, R. Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 430; Rössler, L., Die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung, Diss. jur. Kiel 1985; Weiß, J., Die Integration der Gemeinden in den modernen bayerischen Staat, 1986; Gubitzer, L., Geschichte der Selbstverwaltung, 1989; Treffer, C., Zur Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung, Der Staat, 1996, 251; Kommunale Selbstverwaltung, hg. v. Birke, A., 1996; Droste, W., Die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung, Diss. jur. Bonn 1999; Selbstverwaltung in der Geschichte Europas in Mittelalter und Neuzeit, hg. v. Neuhaus, H., 2010; Arend, R., Bürger und kommunale Selbstverwaltung in Nordrhein-Westfalen seit 1945, 2010; Will, M., Selbstverwaltung in der Wirtschaft, 2010; Selbstregulierung im 19. Jahrhundert, hg. v. Colin, P. u. a., 2011 |
6329 | Selden, John (Selvington/Sussex 16. 12. 1584-Whitefriars 30. 11. 1654), Bauernsohn, wird nach dem Studium in Oxford und der Ausbildung in Clifford’s Inn (1603) bzw. in Inner Temple (1604) 1612 Rechts-praktiker (barrister), Rechtspolitiker und Rechtswissenschaftler. Bereits 1606 verfasst er eine Darstellung der angelsächsischen Verwaltung, 1610 eine Über-sicht über die englische Rechtsentwicklung bis zu König Heinrich II. 1617 wird er mit (lat.) De Diis Syriis (Über syrische Götter) als Orientalist bekannt und widmet sich in der Folge vielfach dem außereuropäischen, altjüdischen Recht. 1618 (?) antwortet er auf Hugo Grotius’ (lat.) Mare liberum (Freies Meer) mit einem (lat.) Mare (N.) clausum (Geschlossenes Meer), in dessen Gefolge englische Kriegsschiffe die holländische Heringsfischerei in von England beanspruchten Gewässern von Abgaben abhängig machen. Im Gedenken an S. wird 1887 in England von Frederic Maitland die Selden Society als Gesellschaft zur Pflege der englischen Rechtsgeschichte gegründet. Lit.: Braun, R., John Selden, Diss. jur. Würzburg, 1943 masch.schr.; Klee, H., Hugo Grotius und John Selden, 1946; Fletcher, E., John Selden, 1969; Berkovitz, D., John Selden’s Formative Years, 1988 |
6330 | Seldschuke ist der Angehörige einer von Seldschuk (um 1000) gegründeten, von 1040 bis 1157 bedeutsamen Herrscherfamilie der →Türken. |
6331 | Semel heres semper heres (lat.). Einmal Erbe immer Erbe. Lit.: Kaser §§ 65 II 4, 68 II 4 |
6332 | Senat ist im altrömischen Recht die neben König bzw. Konsuln stehende Versammlung der Alten (lat. M.Pl. senes) oder Väter (lat. M.Pl. patres) der patrizischen Geschlechterverbände. Diesem S. gehören allmählich alle ehemaligen Amtsträger (z. B. Konsuln, Prätoren) an (anfangs 300 Mitglieder, später 600). Sein Ratschlag, der in wichtigeren Angelegenheiten einzuholen ist, erlangt praktische Gesetzeskraft (lat. N. senatusconsultum), so dass die Leitung Roms in der Republik im Grunde bei dem S. liegt. Seit dem Prinzipat verkümmert der die Aufgaben der Volksversammlungen überneh-mende S. zum Stadtrat Roms (bzw. Konstantinopels). In der frühen Neuzeit wird S. zur Bezeichnung des Spruchkörpers eines Obergerichts, eines politischen Kollegialorgans (z. B. zweite Kammer, in Bayern [60 Senatoren], nach Volksentscheid zum 1. 1. 2000 aufgehoben, Oberhaus der Aprilverfassung Ös-terreichs 1848, Vereinigte Staaten von Amerika, Frankreich, Italien) oder eines Leitungsgremiums einer Hochschule. Lit.: Söllner §§ 4, 5, 6, 15; Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 6; Köbler, DRG 18, 32, 55, 153; Beck, H., Senat und Volk von Konstantinopel, 1966; Talbert, R., The Senate, 1984; Wieacker, F., Römische Rechtsgeschichte, Bd. 1 1988; Arccaria, F., Senatus censuit, 1992; Senatus populusque Romanus, hg. v. Vaahtera, J., 1993; Der bayerische Senat, bearb. v. Schmöger, H., 1998; Senatores populi Romani, hg. v. Eck, W. u. a., 2005; Zmeskal, K., adfinitas, 2009 |
6333 | Senatusconsultum (lat. N.) ist der Senatsbeschluss auf Anfrage eines Magistrats, der im römischen Recht praktisch Gesetzeskraft erlangt. Er ist meist nach dem Antragsteller benannt. Lit.: Kaser § 2 II 2a; Söllner §§ 4, 6, 14, 15; Köbler, DRG 18, 31 |
6334 | Senatusconsultum Claudianum (54 n. Chr.) ist der römische Senatsbeschluss, nach dem die Römerin versklavt wird, die gegen den Willen des Herrn mit einem Sklaven geschlechtlich verkehrt. Lit.: Kaser § 15 II 3 |
6335 | Senatusconsultum Iuventianum (129 n. Chr.) ist der römische Senatsbeschluss, wonach ein gutgläubiger Erbschaftsbesitzer nur herauszugeben hat, worum er bereichert ist. Lit.: Kaser § 75 I 3b, 6c; Köbler, DRG 37 |
6336 | Senatusconsultum Macedonianum (2. Hälfte 1. Jh. n. Chr.) ist der nach einem Haussohn Macedo benannte römischer Senatsbeschluss, der Gelddarlehen an Haussöhne verbietet, um zu verhindern, dass ein von Gläubigern bedrängter Haussohn (z. B. Macedo) seinen Vater tötet, um seine Schulden mit dann vom Vater geerbtem Geld zu tilgen. Lit.: Kaser § 39 I 2; Söllner § 15; Wacke, A., Das Verbot der Darlehensgewährung, ZRG RA 112 (1995), 239 |
6337 | Senatusconsultum Neronianum (54-68 n. Chr.) ist der römische Senatsbeschluss, nach dem ein Legat, das in dem vom Erblasser gewählten Typus unwirksam ist, in einer der anderen Arten von Vermächtnis aufrechterhalten wird, wenn sein Inhalt dies zulässt. Lit.: Kaser § 76 II 4a |
6338 | Senatusconsultum Orfitianum (178 n. Chr.) ist der römische Senatsbeschluss, der den Kindern ein Erbrecht nach dem Tod der Mutter vor den Agnaten gewährt. Lit.: Kaser § 66 IV, VI; Söllner § 15; Köbler, DRG 38; Meinhart, M., Die Senatsconsulta Tertullianum und Orfitianum, 1967 |
6339 | Senatusconsultum Tertullianum (117-138 n. Chr.) ist der römische Senatsbeschluss, welcher der Mutter, die das (lat.) →ius (N.) liberorum (Recht der Kinder) hat, ein Erbrecht am Nachlass eines Kindes hinter den (lat. M.Pl.) sui (Seinen), dem Vater und den vatersblütigen Brüdern und gemeinsam mit den vatersblütigen Schwestern vor allen übrigen Agnaten gewährt. Lit.: Kaser § 66 IV, VI; Söllner § 15; Köbler, DRG 38; Meinhart, M., Die Senatsconsulta Tertullianum und Orfitianum, 1967 |
6340 | Senatusconsultum Trebellianum (56/57 n. Chr.) ist der römische Senatsbeschluss, der den fideikommissarischen Nachfolger eines Erben so stellt, dass die dem Erben und gegen den Erben möglichen Klagen dem Nachfolger und gegen den Nachfolger unmittelbar als (lat.) →actiones (F.Pl.) utiles erteilt werden. Lit.: Kaser § 78 II 2 |