Hexenverfolgung und Herrschaftspraxis, hg. v. Voltmer, Rita (= Trierer Hexenprozesse, Quellen und Darstellungen 7). Spee, Trier 2005. VI, 344 S.Besprochen von Harald Maihold.

 

Der Band vereinigt vierzehn Beiträge einer Tagung vom Oktober 2001 zum Thema „Hexenverfolgung und Herrschaftspraxis“, welche das zwischen 1997 und 2002 an der Universität Trier angesiedelte DFG-Projekt „Zauberei- und Hexereiprozesse im Rhein-Maas-Moselraum“ gemeinsam mit dem „Server Frühe Neuzeit“ der Universität München in Wittlich veranstaltet hat. Nach „Hexenprozesse und Gerichtspraxis“ (hrsg. v. Herbert Eiden und Rita Voltmer, Trier 2002) ist es der zweite Tagungsband des Projektes.

 

Das zentrale Anliegen sowohl des Projektes als auch des vorliegenden Bandes ist es, einem neueren Paradigma in der Hexenforschung durch Untersuchungen gerecht zu werden, welche die Hexenverfolgungen (jedenfalls auch) als Ausdruck von politischen und sozialen Herrschaftsinteressen verstehen. Die Autoren gehen davon aus, dass die Hexenprozesse nur vor dem Hintergrund der Entstehung der neuzeitlichen Landesherrschaften zu verstehen sind. Die Aufstellung von Galgen als Hoheitszeichen an den Landesgrenzen belege eindrücklich, wie insbesondere die kleinen Territorialherren im zergliederten Gebiet zwischen Rhein, Maas und Mosel, ihre Hals- und Blutgerichtsbarkeitskompetenzen zur Demonstration ihrer Herrschaft eingesetzt hätten. Die entstehenden Landesherrschaften hätten ihrerseits versucht, diese Kompetenzen durch eigene Herrschaftsdemonstrationen zu zentralisieren. Beide Seiten hätten die Justiz über die Hexen zur Absicherung ihrer Machtpositionen genutzt und sie zu herrschaftspolitischen Zwecken, zur Friedenssicherung, zuweilen auch aus finanziellen Eigeninteressen „instrumentalisiert“.

 

Dem nahe liegenden Einwand gegen diese „Instrumentalisierungs-These“, dass die beteiligten Personen im guten Glauben an das Hexenwesen gehandelt hätten, setzen die Autoren eine konstruktive Quellenkritik entgegen. Die Instrumentalisierungsvorwürfe der Zeitgenossen dürften nicht einfach als „realitätsferne Verteidigungsstrategien“ disqualifiziert werden, die Masse der überlieferten Rechtfertigungsversuche der Verfolgerseite müsse kritisch überprüft werden (S. 8f.). Die „Instrumentalisierungs-These“ solle auch nicht bloß die ältere These von der Sozialdisziplinierung des „einfachen Volkes“ durch eine gelehrte Oberschicht wiederholen (23ff.). Die Rede von der „Instrumentalisierung“ bleibt freilich auch eine Definitionsfrage. Während nämlich darunter nach Manfred Tschaikner nur eine „bewusste missbräuchliche Nutzung“ zu verstehen ist (95ff.), unterscheiden die übrigen Autoren offensichtlich nicht zwischen bewusster und unbewusster „Nutzung“.

 

Der Beitrag Rita Voltmers bietet zunächst einen Überblick über den bisherigen Forschungsstand sowie eine Zusammenfassung der Tagungsergebnisse (1ff.). Herbert Eiden wendet sich sodann gegen die Muchembledsche These, die Hexenverfolgung als einen Kulturkampf zwischen dem Volk und der herrschenden Elite bzw. als eine Kampagne zur Unterwerfung einer „Volkskultur“ zu verstehen (23ff.). Die folgenden Beiträge enthalten Vergleichsstudien zu den zahlreichen „Hexenjagden“ in den verschiedenen Territorien des Heiligen Römischen Reichs, in der Schweiz und in England. Daniela Müller belegt, dass die „Instrumentalisierung“ schon bei den Ketzerprozessen gegen die Katharer eine zentrale, ja konstitutive Rolle gespielt hat (41ff.). Wie sodann die Hexenprozesse zu politischen Zwecken „inszeniert“ wurden, weisen Georg Modestin für das Fürstbistum Lausanne (51ff.), Niklaus Schatzmann für die Leventina (73ff.) und Ralf Fetzer für den Kraichgau (129ff.) nach. Aufgrund seiner einschränkenden Definition von „Instrumentalisierung“ zurückhaltender äußert sich Manfred Tschaikner für den Bodenseeraum, doch sieht auch er die Prozesse im Zusammenhang der politischen Auseinandersetzungen zwischen Stadtgericht und Landesbehörde (95ff.). Wie Alison Rowlands am Beispiel eines Rothenburger Kinderhexenprozesses zeigt, konnten politische Interessen auch zu Skepsis und Mäßigung gegenüber Hexereiverdächtigungen führen bzw. eine etwa schon vorhandene Skepsis verstärken. So demonstrierte der Rothenburger Rat im genannten Fall seine Selbständigkeit gegenüber dem Würzburger Fürstbischof gerade durch ein gemäßigtes Vorgehen (113ff.). Auch in den Bodenheimer Prozessen, denen sich Jürgen Michael Schmidt widmet, führten die politischen Auseinandersetzungen zwischen Kurmainz und Kurpfalz zu divergierenden Auffassungen bezüglich des Hexenwesens (147ff.). Wie Thomas P. Becker in seinem Beitrag über die kurkölnischen Prozesse nachweist, führte hier die Schwäche der Zentralregierung dazu, dass die Verfolgung auf lokaler Ebene stattfand und die landesherrlichen Hexenkommissare kaum mehr als beratend eingreifen konnten (183ff.). In Territorien, wo eine Verfolgung „von unten“ vorherrscht, lässt sich weniger eine herrschaftspolitische, wohl aber eine „soziale“ Nutzung der Hexenprozesse feststellen, indem bestehende Gegner- bzw. Feindschaften oder Konkurrenzverhältnisse sich auf die Bereitschaft zur Denunziation auswirkten. Dies macht Walter Rummel an Fällen aus Kurtrier anschaulich, indem er die Prozesse aus ihrer zufällig erscheinenden Situation löst und als Äußerungen sozialer Konflikte interpretiert (205ff.). Elisabeth Biesel zeigt für das Herzogtum Lothringen, wie Aktenversendung und Instanzenzug in den Hexenprozessen zur Durchsetzung der landesherrlichen Gerichtsbarkeit eingesetzt wurden (229ff.). Boris Fuge gibt einen Einblick in die Appellationspraxis des Großen Rates von Mecheln, dem höchsten Gerichtsorgan für die habsburgischen Niederlande, der die Appellationen in Hexereiverfahren aus Luxemburg dazu nutzte, den Primat Habsburgs durchzusetzen und die gerichtliche Autonomie Luxemburgs zu beschränken (267ff.). Ein ähnliches Bild entwirft schliesslich Katrin Moeller anhand der mecklenburgischen Verfahren, in denen sich Hexereiverdacht und Hexenprozess als Instrumente eines „Kulturtransfers“ zwischen Obrigkeit und Untertanen darstellen (307ff.).

 

Die politische Zweckrichtung der Hexenprozesse als einen Faktor der Hexenverfolgung beschrieben zu haben, der bisher oft zu kurz gekommen ist, bedeutet ohne Zweifel ein großes Verdienst des Sammelbandes. Die Beteiligung führender Hexenforscher, die hier ihre langjährigen Studien zusammenfassen, macht den Band diesbezüglich zu einer Art Summe der neueren Hexenforschung. Die Konzentrierung der Beiträge auf den Faktor der Herrschaftspraxis führt freilich notwendiger Weise zu einer gewissen Einseitigkeit des Gesamtbildes. Daher sei abschließend daran erinnert, dass die Autoren keinen monokausalen Erklärungsansatz verfolgen, sondern die „Instrumentalisierung“ nur als einen Faktor unter vielen verstanden wissen wollen (9f.). Welcher Stellenwert ihm im Zusammenspiel mit anderen, vielleicht wichtigeren Faktoren der Hexenverfolgung zukommt, wäre weitere Forschungen wert. Interessant wäre auch zu wissen, inwieweit die Hexenprozesse hier exemplarisch für die Strafjustiz insgesamt angesehen werden können. Denn auch, wenn im Vergleich zur „normalen“ Kriminaljustiz die Hexereiverfahren, in denen das corpus delicti fehlte und die Beweisfrage offen war, für eine „Instrumentalisierung“ besonders gut geeignet waren, so ist diese doch in einer Zeit, in der die Trennung zwischen Jurisdiktions- und Exekutivgewalt noch unbekannt war, kaum überraschend und sicher nicht auf den Bereich der Hexenprozesse beschränkt. Die allgemeine Strafjustiz ist leider bei weitem nicht so gut erforscht wie die Hexenprozesse.

 

Basel                                                                                                  Harald Maihold