Lipsius, Justus, Politica. Six Books of Politics or Political Instruction, ed., with translation and introduction, by Waszink, Jan (= Bibliotheca latinitatis novae). Koninklijke Van Gorcum BV, Assen 2004. XII, 839 S.

 

Justus Lipsius (1547-1606), der große niederländische Philologe, Philosoph und Vermittler der antiken Kriegstechnik, ist heute längst als einer der bedeutendsten europäischen Geister des Späthumanismus anerkannt. In den Niederlanden mochte er nie ganz vergessen sein. In Deutschland jedoch gebührt das Verdienst, ihn erstmals wieder erschlossen zu haben, dem Historiker Gerhard Oestreich (1910-1978). In seiner Habilitationsschrift von 1954, die jahrzehntelang ungedruckt blieb und schließlich nach seinem Tod von der Leidener Historikerin Nicolette Mout musterhaft kommentiert herausgegeben wurde[1], hatte Oestreich ausgebreitet, was man damals wissen konnte: Lipsius Lebensgang, seine editorischen Leistungen der Werke von Tacitus, Livius, Caesar und Velleius Paterculus, von denen allein die kommentierte Tacitus-Ausgabe (1574) im folgenden Jahrhundert 17 Auflagen erlebte, weiter Übersetzungen der Stoiker (Seneca, Epiktet, Marc Aurel) und die Begründung des Neustoizismus durch die „Manuductio ad Stoicam philosophiam“ (1604), die „Monita et Exempla Politica (1605), die fünf Bücher „De Militia Romana“ (1595/96) sowie das „Polyorceticon sive de machinis, tormentis, telis“ (1596). Lipsius’ Ruhm und Nachruhm beruhte aber zunächst auf dem moralphilosophischen Werk „De Constantia“ (1584), das von David Chytraeus angeblich mit den Worten gepriesen worden war „Kauffets jr Studenten, vnd lesets, dann in tausent Jharen ist dergleichen Buch in Philosophicis nicht geschrieben oder gesehen worden“[2].

 

Ein noch größerer europäischer Erfolg waren die 1589 erschienenen „Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, qui ad principatum maxime spectant“, kurz Lipsius’ „Politik“. Es erschienen fast unmittelbar mehrere französische Übersetzungen, ebenso je eine niederländische, deutsche, italienische, spanische, englische und polnische Übersetzung sowie je ein Frankfurter und ein Leidener Nachdruck des lateinischen Texts. Zwischen 1589 und 1760 gab es 50 Auflagen, 24 Übersetzungen und verschiedene Zusammenfassungen. Die „Politik“ wurde der zentrale Text des politischen Tacitismus, der in gewisser Weise die Diskussion der Machiavellisten und Antimachiavellisten um die Staatsräson fortsetzte und in die Empfehlung einer starken Zentralgewalt zur Bändigung der religiösen Konflikte der Zeit mündete. Mit differenzierten Bemerkungen zur Erlaubtheit von Kriegslisten und politischer Irreführung, soweit dies durch die aktuelle Lage und die Ziele gerechtfertigt werde, begab sich Lipsius auf das glatte Parkett einer säkular begründeten politischen Moral. Er handelte sich damit mancherlei Probleme ein, war aber nie ernsthaft gefährdet, im Gegenteil, sein Ruhm wuchs weiter. Aus literarischer Perspektive ist an Lipsius’ Politik erstaunlich, dass das Werk fast ganz aus Zitaten der antiken Literatur montiert ist. Das späthumanistische Stilprinzip, jede Aussage mit einer Stelle aus dem autorisierten Kanon zu belegen, ist hier so auf die Spitze getrieben, dass der Leser die Ansichten des Autors durchweg auf elegante und gelehrte Weise indirekt aus der Antike erfährt. Der Genuß zeitgenössischer Leser muss groß gewesen sein.

 

Die erste englische Übersetzung von William Jones kam 1594 in London heraus; eine moderne gab es bislang nicht. Nun hat jedoch Jan Waszink seine Arbeiten in Cambridge und Amsterdam in einer kompletten Neuausgabe, Neuübersetzung und eingehenden Kommentierung von Lipsius’ Politica zusammengefasst. Die Formulierung „edited, with translation and introduction“ ist zu bescheiden. Waszink hat die gesamte Forschungsgeschichte dargestellt und sie insbesondere durch die Präsentation des im Vatikan liegenden Materials zur Indexierung des Buchs bereichert. Die ersten gut 200 Seiten des vorliegenden Werks können als die beste heute vorliegende Einführung in Leben und Werk des Lipsius gelten, unverzichtbar für jedes tiefere Eindringen in den Text. Was dann folgt, ist eine zweisprachige lateinisch-englische Ausgabe der „Politik“, einschließlich der späteren Anmerkungen des Lipsius. Auch wer meint, mit lateinischen Texten umgehen zu können, wird zugeben, dass diese Übersetzung eine große Hilfe darstellt. Allein die Verflechtung der zahllosen antiken Zitate mit dem Humanistenlatein bereitet dem heutigen Leser Schwierigkeiten. Mit dem Band von Waszink hat er nun alles beisammen, was er braucht, den Originaltext, die moderne englische Übertragung, eine aktuelle Bibliographie und hilfreiche Indices. Dem Werk sind, wie gesagt, die vatikanischen Aktenstücke der Index-Congregation beigegeben, in denen auch die freundliche Erwähnung des Machiavelli gerügt, die Rüge allerdings wieder zurückgewiesen wird. Alles in allem eine editorische und historiographische Leistung, welche die niederländische humanistische Tradition eindrucksvoll fortsetzt.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Michael Stolleis



[1] Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547-1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung, hrsgg.und eingeleitet v. Nicolette Mout, Göttingen 1989.

[2]  Vorrede an den Leser in der Danzig 1599 erschienenen deutschen Übersetzung von Andreas Viritius, zit. Nach der 2. Aufl. 1601, hrsgg.v. Leonard Forster, Stuttgart 1965.