Fesser, Gerd, Reichskanzler Fürst von Bülow. Architekt der deutschen Weltpolitik. Militzke, Leipzig 2003. 255 S.

 

Gerd Fesser wendet sich mit diesem Buch an ein breiteres Publikum. Er schreibt spannend und konzentriert sich auf die Ereignisgeschichte. Dabei unterlässt er es nicht, auf Kontroversen der Forschung hinzuweisen. Selbstverständlich bezieht er die aktuelle Literatur ein. Das Werk stellt eine überarbeitete Neuauflage seiner 1991 erschienenen Arbeit über Bülow dar. Zwischenzeitlich hat sich hinsichtlich der Literatur über den Reichskanzler wenig getan; immer noch gilt, was Volker Ullrich damals in seiner Rezension schrieb: Es ist die „erste brauchbare Biographie“ über Bülow und die einzige brauchbare geblieben.

 

Bernhard von Bülow portraitiert der Autor als sehr zielbewussten und ehrgeizigen Menschen mit taktischem Geschick und feinem Gespür für die Bedürfnisse von Personen, die ihm nützlich werden konnten oder mit denen er zusammenarbeiten musste. Nebenbei erfährt man so auch einiges über den Regierungsstil und die Eigenarten Kaiser Wilhelms II. Der Kaiser kommt dabei sehr schlecht davon. Bülow, der diesen in den ersten Jahren seiner Kanzlerschaft vorsichtig lenken konnte, „ohne dass dieser es merkte“ (S. 83), gilt zwar die eindeutige Sympathie des Verfassers; er beschönigt dessen politische Fehler jedoch nicht. So endete die „Politik der freien Hand“, mit der er Spannungen zwischen England und Russland auszunutzen suchte, und die Expansion nach dem Nahen und Fernen Osten, die dem deutschen Reich – in Rivalität mit England und Frankreich – einen „Platz an der Sonne“ sichern sollte, bekanntermaßen in einem Fiasko (S. 104). Die außenpolitische Isolation Deutschlands machte dann die „Nibelungentreue“ zu Österreich-Ungarn anlässlich dessen Annexion Bosniens und der Herzegowina perfekt. Russland wurde brutal unter Druck gesetzt, die Annexion anzuerkennen; dass sich hierdurch die deutsch-russischen Beziehungen dauerhaft verschlechterten, wollte Bülow nicht sehen. Fesser zählt Bülow durchaus zu den Personen, die „im weiteren Sinne eine Hauptverantwortung für die Katastrophe der Jahre 1914 bis 1918 tragen“ (S. 193). Er weist aber auch darauf hin, wie Wilhelm II und Admiral Tirpitz mit ihrem Festhalten an der Flottenaufrüstung seinen außenpolitischen Handlungsspielraum einschränkten. Vor allem aber möchte Fesser nicht nur Bülows Fehler, sondern auch seine Leistungen gewürdigt wissen. Auf jeden Fall hält er ihn für fähiger und geschickter als seinen Nachfolger Bethmann Hollweg und teilt die Einschätzung, die Philipp Scheidemann 1929 äußerte: „Wenn man zurückschaut und dann die Fähigkeiten Bülows vergleicht mit denen der [Kanzler] Michaelis, Hertling und des Prinzen Max, dann darf man der Überzeugung Ausdruck geben, dass er es unter allen Umständen verstanden haben würde, ein weniger schreckliches Kriegsende herbeizuführen.“ (S. 181)

 

Eine Qualität des Buches ist, dass es ein wichtiges Kapitel deutscher Geschichte einem größeren Leserkreis auf geradezu packende Art darbietet. Durch die Konzentration auf einen „Hauptdarsteller“ wird das Thema anschaulich, leicht verständlich, ohne aber zu verflachen. Man würde sich wünschen, dass sich mehr Wissenschaftler mit schriftstellerischem Talent auf einen solchen Versuch einließen, anstatt das Vermitteln ihrer Forschungsresultate den Wissenschaftsjournalisten zu überlassen.

 

Anschau                                                                                                                     Eva Lacour