Schmutz, Jürg, Juristen für das Reich. Die deutschen Rechtsstudenten an der Universität Bologna 1265-1425. Teil 1 Text, Teil 2 Personenkatalog und Ortsregister (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2). Schwabe, Basel 2000. 800 S.

 

Bologna bildet den Grund für die weltweite Verbreitung der in Rom entwickelten Jurisprudenz. Deswegen zog es seit dem 12. Jahrhundert Studierende aus vielen Orten Europas an diesen verlockenden Platz. Kein Wunder, dass auch in der Gegenwart noch die Frühgeschichte dieses Wissenschaftserfolgs besondere Aufmerksamkeit erweckt.

 

Jürgen Schmutz hat die damit verbundene Herausforderung mutig aufgegriffen. Seine von Rainer Schwinges betreute Dissertation wurde in Bern 1997 angenommen. Sie setzt Peter Moraws universitätsgeschichtliches Engagement weiter eindrucksvoll um.

 

Ihr geht Gustav Knods biographischer Index „Deutsche Studenten in Bologna (1289-1562)“ voraus, der den Acta nationis 4368 Personen entnahm. Er war jedoch bisher nicht monographisch ausgewertet worden. Dies holt der Verfasser nunmehr auf verbesserter Quellengrundlage für die Jahre von 1265 bis 1425 nach.

 

Seine Untersuchung umfasst 3601 Studenten (darunter 40 Nonoymi) aus dem Heiligen Römischen Reich in einem weiten Sinn. Für sie werden regionale und soziale Herkunft, Studien, Lebensweg und Wirken im Rahmen des Möglichen erschlossen. Vorrangige Ziele sind die Erfassung der Struktur einer besonders mobilen gesellschaftlichen Schicht und die Ermittlung des Stellenwerts eines Aufenthalts in Bologna für die soziale Realität der betroffenen Zeit.

 

Das Anfangsjahr ergab sich dabei aus dem Einsetzen der Memoralia Communis, durch das die Quellenlage entscheidend verbessert wurde. Das Schlussjahr ist demgegenüber vom Verfasser festgelegt. Insofern ist die Darstellung bewusst auf die durch Quellen gesicherte Spätblütezeit Bolognas beschränkt und gleichzeitig Gustav Knods Leistung nicht vollständig überholt.

Die Untersuchung beginnt mit einem kurzen und klaren Überblick über die Forschungsgeschichte. Dem schließt sich die Beschreibung der Quellen an, die teils universitärer Herkunft (Acta nationis Germanicae mit Annalen ab 1289, Promotionsregister ab 1377 für das geistliche Recht und ab 1378 für das weltliche Recht, Statuten von vielleicht 1289), teils kommunaler Herkunft (Memoriali del Commune von 1265 bis 1436, Carte del Corredo der Curia del Podestà von 1241 bis 1512) und teils sonstigen Ursprungs sind. Danach beschreibt der Verfasser die Universität Bologna in ihrem Umfeld auf der Grundlage der bisherigen vergleichsweise guten Aufarbeitung der wichtigsten juristischen Universität überhaupt, die im Grund aus den beiden unterschiedenen universitates der citramontanen Studenten (Langobarden, Römer, Toskaner) und der ultramontanen Studenten (aus Deutschland, England, Frankreich, Picardie, Normandie, Polen, Poitou, Spanien, Provence, Burgund, Portugal, Ungarn, Böhmen) besteht, aus denen bemerkenswerterweise die – das Graduierungsrecht ausübenden - Lehrer (doctores) ausgeschlossen sind.

 

Die deutsche Nation hat dabei nach einleuchtender Ansicht des Verfassers bereits vor ihrer ersten Erwähnung (1265) hohes Ansehen genossen. Ihre Angehörigen waren eidlich verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass ihnen bekannt gewordene Deutsche aufgenommen würden. Aufgelöst wurde die Einrichtung erst 1796 unter Napoleon.

 

Kerngebiete der Deutschen waren Franken, Schwaben, Bayern und Sachsen. Zusätzlich wurden Lothringer, Böhmen, Mährer, Litauer und Dänen (Skandinavier) aufgenommen. Im weitesten Sinn stammen die Deutschen somit aus dem Gebiet zwischen Burgund, Baltikum, Norwegen und Alpen (davon 77 Prozent aus dem heutigen Deutschland, Österreich und der deutschen Schweiz).

 

Örtlich genauer festlegen konnte der Verfasser 2285 Bologneser Rechtsstudenten, die 1612 verschiedenen Herkunftsorten entstammen, von denen sich 996 kartographisch darstellen lassen. In den Jahren von 1265 bis 1288 und, wie der Verfasser ansprechend vermutet, wohl auch in den vorangehenden Jahrzehnten lassen sich die Herkunftsorte weitgehend gleichsetzen mit den Sitzen der Bistümer und Kollegiatstifte sowie ihren mittelbaren Ausstrahlungen (besonders von Zürich und Genf bis Mainz und Köln). Danach nimmt der Vorrang der Bischofssitze deutlich ab und werden alle Gebiete des Reichs mehr oder weniger zahlreich in Bologna vertreten. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts geht Bolognas Bedeutung als Folge der Neugründungen in (Orléans 1306/1312,) Prag, Wien, Heidelberg und Köln zurück.

 

Die soziale Herkunft lässt sich bei 763 Studierenden bestimmen. Davon gehören dem hohen Adel 112 und dem niederen Adel 453 an (insgesamt 74 Prozent), dem Bürgertum 198, während nichtadlige, nichtbürgerliche Studenten überhaupt nicht aufscheinen. Von insgesamt 1700 zuordenbaren Studenten können nahezu alle auf Grund belegter Weihegrade oder Pfründengüter der Geistlichkeit zugerechnet werden, während nur ein einziges Prozent als Laien (u. a. Ludwig von Braunschweig, Hartmann von Buchegg, Simon von Sponheim, Konrad Netinger, Ulrich von Kühdorf und Konrad Dachs) betrachtet werden kann.

 

Die trotz des Fehlens einer Matrikel  vor allem mit Hilfe der Nationsakten (65, 8 Prozent) ermittelte Gesamtzahl der deutschen, zu drei Vierteln (2740) während ihres Studiums in den Quellen nur ein einziges Mal fassbaren Studierenden in Bologna von 3601 verteilt sich zeitlich einigermaßen unregelmäßig (1296-1305 670) mit deutlich erkennbar abnehmender Tendenz (70 Prozent vor 1325). Im Durchschnitt der beobachteten 160 Jahre sind 23 Erstbelege jährlich zu ermitteln. Wegen der vermuteten hohen Dunkelziffer und der angenommenen langen Verweildauer (von vier Jahren) hält der Verfasser eine gleichzeitige Anwesenheit von höchstens 400 deutschen Rechtsstudenten in Bologna für möglich, die damit nahezu ein Prozent der Einwohnerschaft von rund 49500 (davon 2000 Studierende) ausgemacht hätten.

 

Soweit sich Studienrichtungen erkennen lassen, überwiegt das geistliche Recht. 286 Studenten des geistlichen Rechts stehen 100 Studenten des weltlichen Rechts und 19 Studenten beider Rechte gegenüber. Überwiegend scheint das Studium nicht formal mit einem Grad abgeschlossen worden zu sein (130 Lizentiate, 303 Magister).

 

Hinsichtlich der anschließenden praktischen Tätigkeit geht der Verfasser unter Hinweis auch auf Fritz Kerns Recht und Verfassung im Mittelalter von 1919 davon aus, dass sich im mittelalterlichen Deutschland bis weit in das 15. Jahrhundert außerhalb der geistlichen Gerichtsbarkeit kein zahlenmäßig bedeutender Berufsstand von professionellen Rechtsgelehrten in einem klar umrissenen Betätigungsfeld herausbilden konnte. Bei der eigenen Untersuchung der (in Lebensalter bzw. Lebenserwartung keineswegs vollständig greifbaren) Bologneser Studenten ermittelt er dann 27 herrschaftliche Kanzler (seit Rudolf von Habsburg), 38 Protonotare (seit Rudolf von Habsburg), 48 Räte (seit Adolf von Nassau), 56 Gesandte sowie nur ganz vereinzelte Angehörige der Verwaltung der Städte. Im Bereich der Kirche finden sich 96 Erzbischöfe und Bischöfe, 51 Generalvikare, 88 Offiziale und 384 Pfarrer, zu denen 31 Professoren in Prag (4), Wien (3), Heidelberg (2), Erfurt (2), Köln (15), Leipzig (2) und Löwen (5), 38 Advokaten, 69 Prokuratoren und 70 Notare kommen.

 

Am Ende seiner übersichtlich gegliederten, gut lesbaren Arbeit zieht der Verfasser eine teils bestätigende, teils bessernde Bilanz. Danach ist die besondere Stellung Bolognas vor allem im sozialen Selbstverständnis seiner Besucher als Angehöriger einer gesellschaftlichen Führungsschicht begründet. Nach Bologna zogen auf Grund der hohen Kosten hauptsächlich die Studenten, die Wert auf den auch nach der Gründung neuer Universitäten hoch geschätzten Namen legten und ihre Stellung durch einen dortigen Aufenthalt festigen wollten. Für ihre Mehrzahl lässt sich nach ihrer Rückkehr keine qualifizierte juristische Tätigkeit nachweisen, so dass ein signifikanter Unterschied zu Absolventen anderer Universitäten nicht erkennbar wird. Bologna ist ihm im Ergebnis dementsprechend nicht eine besonders wichtige Universität des wissenschaftlichen Umfelds, sondern nur die im sozialen Kontext richtige Universität, deren Besuch einen geringeren Geburtsstand nicht beseitigen, aber im gelehrten Selbstverständnis mildern kann.

 

Ein übersichtliches Quellen- und Literaturverzeichnis weist die Grundlagen nach. Ein knappes Personen- und Ortsregister erleichtert das Auffinden der wichtigsten angesprochenen Personen und Orte. Der umfangreiche Band zwei dokumentiert die umfassende, mühevolle Detailuntersuchung in vorbildlicher Weise in einem Personenkatalog (339-765) und einem Ortsregister.

 

Insgesamt eine sehr erfreuliche, wichtige und weiterführende Leistung, deren Erweiterung auf alle mittelalterlichen juristischen Fakultäten höchst wünschenswert wäre.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler