Reinhard, Steffen, Gegenstand und Prüfungsmaßstab der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr. Mohr Siebeck, Tübingen 2020. 290 S. (= Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht 150, zugleich Diss. jur. Würzburg 2019). Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.
Am Begriff und an der praktischen Anwendung der Verwechslungsgefahr im Markenrecht scheiden sich seit jeher die Geister. Der eher abstrakte Zugang der deutschen Rechtsprechung bei der Zeichenverwendung wird durch die europäische Judikatur partiell verändert: Zeichenbenutzung wird im konkreten Kontext beurteilt und enger im Zusammenhang mit der Gefahr der Irreführung gesehen. Dogmatische Ausgangspunkte und konkrete Kriterien stehen prinzipiell zur Debatte.
Wie Markenkollisionen bekannter Marken in den Verfahrensgängen bis in die luftigen Höhen des Gerichtshofs der Europäischen Union sich entwickeln können, zeigt die Arbeit auf. Die unter der Geltung des Warenzeichengesetzes (WZG) entwickelten Befunde sind mit dem Markengesetz (MarkenG) in einen intensiveren Einflussbereich des europäischem Rechts geraten. Doch auch trotz partieller Harmonisierung bestehen Markenrecht und Lauterkeitsrecht nebeneinander. Das in der Europäischen Union geltende Markenrechtssystem existiert seit 2017 neben den nationalen Rechten. Sedes materiae bleibt der inzwischen vielfältig aufgefächerte Begriff der Verwechslungsgefahr.
Die grundsätzlich ausgelegte, von Olaf Sosnitza betreute Studie gefällt durch eine sehr konkrete Darstellung der langfristigen, diffizilen Rechtsprechung, in welcher bekanntlich die Kennzeichnungskraft eine wesentliche Rolle spielt. Auf diesem variantenreichen Sektor der Wort-, Bild-, Farb- und mehrdimensionalen Marken hat sich wie im Titelschutzrecht eine derartig filigrane Judikatur entwickelt, dass allein mit Begriffen wie Bekanntheit des Zeichens, Kennzeichnungsgrad und Zuordnung zu einem Unternehmen wenig geholfen ist. Auch die kostspieligen, langwierigen Waffengänge mit Beweismitteln, demoskopischen oder anderen Gutachten oder über die Frage nach der Entscheidung durch „Sachkunde“ des Gerichts changieren in punkto Prognosen oft zwischen den Wahrscheinlichkeitsgraden von Lotterien oder von Spielbanken.
Für die Kennzeichnungskraft, nach dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Tatsachenwürdigung, entscheidet der Gesamteindruck der Ähnlichkeit nach Klang, Bild und Sinn. Ob der Klang entscheidet, ist nach dem Recht der EuropäischenUnion keine generelle Regel. Die einzelnen Momente können sich auch gegenseitig neutralisieren. Diese Theorie wird durch die bei Wort-/Bildmarken entwickelte Prägetheorie und die Selbständigkeitstheorie flankiert.
Die unendlich verzweigte Scholastik des Markenrechts bis zu speziellen Gemengelagen bei Serienzeichen oder anderen Fall-Gruppen bis zum sog. Keyword-Advertising, über die Verwechslungsgefahr im engeren oder weiteren Sinne, zum Begriff der Verkehrsauffassung angesprochener Kreise wird in einer so systematischen wie detailfreudigen Übersicht und kritischen Präzision präsentiert. Das schließt Hinweise auf Inkonsistenzen ein, dass bei Genussmitteln wie Alkohol nur der Kreis der Konsumenten, bei Lotterien derjenige aller Verbraucher – ausgenommen kategorische Gegner – maßgeblich sein soll. Weshalb bei Exportwaren die Verkehrsauffassung der Inländer entscheidend ist, mag manchem Betrachter spanisch vorkommen. Was denkt sich der heimische consumer beim „foreign branding“?
Die mythologische Figur des „Durchschnittsverbrauchers“ ist allenthalben unterwegs. Sie ähnelt dem ebenso sagenhaften „reasonable man“ im englischen Recht. Welche Verkehrsauffassung ist ihm zu eigen? Ist er Empiriker oder Theoretiker, blickt er, von Ratio oder Emotion gesteuert, ex ante oder ex post oder womöglich nur naiv auf das Spielfeld? Hier sollen tatsächliche Feststellungen gelten.
Dieses Terrain beherrschen Tatrichter mit „Erfahrungswissen“; eigener Sachkunde – und Zeichenähnlichkeiten werden durch Erfahrungssätze, aus case law herausdestilliert, bestimmt.
Die Hauptfunktion der Marke ist, dem Verbraucher die Herkunft der Ware zu gewährleisten (EuGH GRUR 2003,537 - Arsenal Football Club). Wie reagiert der Käufer, Adressat von Namen und Werbung, auf „Bananabay“, auf „BergSpechte“, was denkt das unbekannte Wesen, wenn ihm „Portakabin/Primakabin“, „Interflora“, „Sabèl/Puma“ oder „Goldbären“ erscheinen? Verwechselt er „Skype“ mit „Sky“? Welche Bedeutung hat eine Marke, ein Begriff, wie und wann wandelt sich dieser, wann ist er nur „beschreibend“? Fragen von enormer ökonomischer Tragweite. Die wirtschaftlichen Folgen unterschiedlicher Theorien kommen womöglich in der Studie etwas zu kurz.
Die reine Lehre spaltet sich in Empiriker, Normativisten und solche Fachvertreter, die aus beiden Lagern kräftige Nahrung beziehen. Der Gerichtshof der Europäischen Union, so scheint es, neigt Faktenermittlungen zu, will aber auch „mutmaßlichen Erwartungen“ der Konsumenten Gewicht zumessen. Das grenzt für manche an Prophetentum. Der Verfasser verknüpft empirische Momente mit normativen Korrekturen, um Mutmaßungen über faktische Verhältnisse zu minimieren (S. 106 f.).
Der wertvolle Rechtsvergleich zeigt die Differenzen vor allem für den Zeitpunkt beim oder nach dem Kauf eines Produkts auf.
Die Gefahr der Verwechslung soll eine nicht revisible Rechtsfrage, jedoch Erfahrungssätze, Normen ähnelnd, in der Revision überprüfbar sein (S. 114ff.). Damit verquicken sich empirische mit normativen Momenten. Das Revisionsgericht kann zum Tatsachengericht mutieren.
Beim Prüfungsgegenstand der Verwechslungsgefahr führen Anlehnungen an Irreführung im Lauterkeitsrecht dazu, Umstände außerhalb der Zeichen in größerem Umfange zu berücksichtigen. Das zeigt der differenzierte Blick auf von dem Gerichtshof der Europäischen Union entschiedene Fallgruppen (S. 144-163). Die nationalen Richter wirken nicht überall folgsam.
Auch dort, wo komplexe Thesen und der eigene Lösungsansatz des Verfassers vom bisherigen Stand abweichen, fallen die Ergebnisse eher in den Begründungen unterschiedlich aus. Alleiniger Prüfungsgegenstand soll nach des Verfassers These die Marke in ihrer registrierten Form sein. Die Benutzung der älteren Marke sei unbeachtlich.
Beim jüngeren Zeichen sollen nach Fallgruppen systematisierte Umstände außerhalb des Zeichens beachtet werden. Auf Widerspruch stoßen wird die Ansicht, Produktgestaltung, Verpackung und Qualität müssten außen vor bleiben.
Im Ergebnis werden die praktischen Folgen der theoretischen Ansätze der Studie im Vergleich zur europäischen und deutschen Rechtsprechung marginal sein. Doch liefert der eindringliche Blick auf die kritisch gemusterte Kasuistik, die subtilen Fallgestaltungen, deren Differenzierungen und Konsequenzen für Marken, Verwendungen, auch im Kontext von Werbung anschaulichste Aufschlüsse. Ein konzises Fazit, das ausführliche Literaturverzeichnis und ein Sachregister erhöhen den auch für die Praxis sichtbaren Wert.
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen