„So war der deutsche Landser...“ Das populäre Bild der Wehrmacht, hg. v. Westemeier, Jens (= Krieg in der Geschichte 101). Schöningh, Paderborn 2019. 361 S., Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.
Der weit überwiegenden Mehrheit der Deutschen galt die nationalsozialistische Herrschaft zweifellos als legitime Staatsmacht, die deutsche Wehrmacht, in die man eingezogen wurde, entsprechend als der jedem Staat eignende militärische Arm dieser Staatsmacht. Wer also während des Zweiten Weltkrieges als Soldat in der Wehrmacht diente, tat dies in erster Linie in Erfüllung einer staatlich verordneten Pflicht, der er mit mehr oder weniger Begeisterung nachkam. Nach der Niederlage hatten sich diese Menschen nach und nach psychologisch höchst unangenehmen Einsichten zu stellen: Ihr persönlicher Einsatz, der ihnen nicht selten erhebliche Opfer abverlangt hatte, hatte der Verwirklichung der Ziele eines diktatorischen Regimes gedient, das selbst vor Völkermord nicht zurückschreckte, und die Institution Wehrmacht selbst war aktiv in diese Verbrechen verwickelt gewesen. Viele Detailstudien haben mittlerweile die Mitwirkung von bedeutenden Teilen der deutschen Wehrmacht an der Umsetzung völkerrechtswidriger Erlässe und Befehle sowie an genozidalen Handlungen aufgezeigt. Ob diese wissenschaftlich erwiesenen Wahrheiten aber auch mit dem allgemeinen gesellschaftlichen Bild von der deutschen Wehrmacht korrelieren, ist eine andere Frage. Denn nach dem Urteil des Herausgebers des vorliegenden Bandes, Jens Westemeier, sei „das populäre Bild der Wehrmacht über 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs positiv besetzt. Im Selbstbild der deutschen Familien werden die Väter und Großväter überwiegend als anständige Soldaten gezeichnet“ (S. 351). Und noch mehr: Es bleibe „resignierend festzustellen, dass […] der ‚Mythos Wehrmacht‘, die Legende von der ‚sauberen‘ Wehrmacht und den ‚Supersoldaten‘ weiterlebt – in Zeiten neuer Medien die Wehrmacht und Waffen-SS nie besser als heute war“ (S. 26).
Wie konnte, entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnis, sich ein solcher, ausnehmend positiv konnotierter Deutungsstrang öffentlich so beharrlich durchsetzen? Diese Frage versuchen die Vorträge zu klären, die anlässlich eines vom Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. am 1. und 2. Juli 2016 an der Internationalen Jugendbibliothek in München organisierten Workshops zu diesem Thema gehalten wurden und die nun die Basis der insgesamt 18 Beiträge der vorliegenden Sammelschrift bilden. Sie loten ein weites Untersuchungsfeld aus, das von politischen und gesellschaftlichen Interessen durchdrungen ist und in dem die um die Wehrmachtsteile Heer, Luftwaffe, Marine sowie um die Waffen-SS kreisende historische Deutungshoheit, von bestimmten Akteuren beansprucht, auf vielfältigen medialen Wegen (Geschichtswissenschaft, Literatur, Film, Musik, neue Medien) ihren Ausdruck findet.
Herausgeber Jens Westemeier fasst in seinem – leider von zahlreichen Schreibfehlern heimgesuchten – Einleitungsbeitrag die Ergebnisse der Aufsätze des Bandes zu einem konsistenten Bild der populären Wahrnehmung der deutschen Wehrmacht seit 1945 zusammen. Bereits der letzte ausgestrahlte Wehrmachtsbericht vom 9. Mai 1945 habe, „tief in der NS-Propaganda verwurzelt“, den Grundstein für die fürderhin bestimmende Stoßrichtung in Richtung eines „Mythos Wehrmacht“ gesetzt: „Ehrenvoller und anständiger Kampf, also die Legende von der ‚sauberen‘ Wehrmacht: Unpolitisch, unkorrumpiert, distanziert zum NS-Regime; weder an Hitlers Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion noch am Holocaust beteiligt. Die andere große Richtung: Eine hochprofessionelle, effektive, perfekte Militärmaschine, also die Glorifizierung militärischer Tugenden, Leistungen und Erfolge der ‚tapfersten und besten Soldaten der Welt‘ – […] der ‚Kämpfermythos‘“ (S. 5). Resonanz hätten diese Deutungen in Deutschland, England und den USA gefunden, nicht aber in den von der Wehrmacht einst besetzten Ländern. Anfangs wurden Wehrmachtsgeneräle in Nürnberg und in weiteren Prozessen noch verurteilt, doch mit dem einsetzenden Kalten Krieg benötigte man die Deutschen dringend als militärische Verbündete des Westens. Aus diesem Grund wurde 1955 „die Rehabilitierung der Wehrmacht […] eine zwingende gesellschaftliche und politische Voraussetzung im Prozess der Aufstellung der Bundeswehr“. Der Kalte Krieg verlieh „ihrem Kampf im Osten eine nachträgliche Legitimation, der Antibolschewismus der NS-Zeit konnte im Antikommunismus fortleben. Als Ergebnis der Nürnberger Prozesse pochten sie auf ihre Unschuld, alleinige Verantwortung für Krieg und Verbrechen trugen Hitler und seine kleine Clique. Von Hitler ‚verführt‘, seien sie durch dessen Krieg zu ‚Opfern‘ gemacht worden – die Gründungslegende der Bundesrepublik“ (S. 7). Wehrmachtsoffiziere verfassten für die Historical Division der US-Army „unter völliger Ausblendung moralischer Fragen“ kriegsgeschichtliche Studien, und deutsche Heerführer wie Erich von Manstein verfassten höchst erfolgreiche Memoiren, die „geleitet und getragen (waren) von einer erstaunlichen Renaissance oder Persistenz nationalsozialistischer Geschichtsbilder“ – beide zurückwirkend „über die angelsächsische Rezeption auf die deutsche Forschung“ (S. 8).
Seit Ende der 1940er-Jahre hätten sich auch die aufstrebenden Massenmedien (Buchgemeinschaften, Illustrierte, Film) intensiv der Themen Zweiter Weltkrieg und „Drittes Reich“ angenommen. Persönlichkeiten aus den zivilen und militärischen Propagandaapparaten der Nationalsozialisten standen fast immer hinter den Produktionen und vermochten so ihre Deutungen des Geschehens wirkungsvoll in der Öffentlichkeit unterzubringen. Der aus NS-Wochenschauen kompilierte Kinofilm „So war der deutsche Landser“ (1955) entpuppte sich – trotz anfänglicher Widerstände wegen des unkritischen Umganges mit dem Material – als ein heute noch verfügbarer und angepriesener Publikumsschlager: „Ungehindert von politischen Rücksichtnahmen wurde auf die militärischen Leistungen und Erfolge verwiesen, der Krieg als Handwerk gezeigt, das der deutsche Soldat perfekt beherrsch[t] habe“ (S. 4). Ähnliches gilt für die Rezeption von Paul Carells (= Pseudonym für Paul Karl Schmidt, früherer SS-Obersturmbannführer und Pressechef von Reichsaußenminister Ribbentrop) Schrift „Unternehmen Barbarossa“ (1963), die höchst erfolgreich drei Kernthesen transportiert habe: „Der Krieg war Hitler und der Wehrmacht aufgezwungen; um Stalin zuvorzukommen, musste er präventiv geführt werden. Die Wehrmacht führte nicht nur einen deutschen, sondern auch einen europäischen Abwehrkampf gegen die bolschewistische Bedrohung. […] Zwar machte auch Carell Fehler Hitlers aus, aber vielmehr seien der Feind in den eigenen Reihen, Verrat und Spionage verantwortlich gewesen“. Mit diesem und weiteren ähnlichen Büchern habe Carell „das Kriegsbild von Millionen Menschen mehrerer Generationen“ geprägt (S. 10f.). Trivialromane, zunächst als Fortsetzungsgeschichten in großen Illustrierten veröffentlicht, hätten ebenfalls „nationale Entschuldigungsmythen“ konstruiert: „Alle wollten nur ihre Pflicht erfüllt haben, von Verbrechen habe man nichts gewusst, nur die SS-Nazis hätten gemordet“ (S. 13). Gleiches gelte für die populären Kriegsfilme der 1950er-Jahre wie beispielsweise „08/15“ (1954), die „Rechtfertigungsarbeit (leisteten), die daraus bestand, ‚vor allem in der Tendenz […], die Schuldfrage zu entkräften, die Rehabilitierung der Wehrmacht und ihrer Offiziere […] zu leisten‘“ (S. 15f.).
Galt auch in diesem Narrativ die Schutzstaffel (SS) „als Symbol für das Böse schlechthin“, so wurde die Waffen-SS spätestens seit der „Ehrenerklärung“ Konrad Adenauers 1951 nach und nach aus diesem Verdikt herausgelöst, ihrem Veteranenverband „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit“ (HIAG) gelang „der Anschluss an die Soldatenverbände der Wehrmachtsveteranen“ (S. 16f.). Mediale Produktionen ließen in Summe eine gespaltene Wahrnehmung dieser Truppe erkennen. Als „der wohl wichtigste Multiplikator […] einer positiven Wahrnehmung der Waffen-SS in der Öffentlichkeit“ gilt Jens Westemeier die bis dato immer wieder ausgestrahlte amerikanische Bestsellerverfilmung „Die Brücke von Arnheim“ (1977) mit den Sympathieträgern Maximilian Schell und Hardy Krüger in der Rolle von SS-Generälen, „brillante Militärs“ als Führer einer „fanatisch-harte(n), aber faire(n) und ritterliche(n) Elitetruppe“ (S. 18f.). Da die kritische Forschung das Thema Waffen-SS leider bis in die späten 1980er-Jahre ignoriert habe, hätten auskunftsfreudige ehemalige SS-Größen das Thema besetzt und nach ihren Interessen gestaltet. „Eine bis heute andauernde Fortschreibung dieser abstrusen militärischen Überhöhung und pauschalen Verehrung ‚der‘ Waffen-SS übernahmen im englischen Sprachraum regelrechte Fans der NS-Truppe, die als ‚Gurus‘ das alleinige Deutungsrecht beanspruchen und deren Sichtweise z.B. in den neuen Medien meinungsbestimmend ist“ (S. 21), darüber hinaus aber auch über Computerspiele Wirkung entfalte.
Mitte der 1990er-Jahre löste die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung zunächst eine breite und emotional geführte öffentliche Diskussion und in der Folge vertiefte Forschungen zur Verstrickung der Wehrmacht in die Verbrechen des NS-Regimes aus. Doch: „Auch wenn die Kernthesen der Ausstellung von der Forschung weiter bestätigt wurden, setzte mit dem Ende der ersten Wehrmachtsausstellung ein ‚Verschwinden der Täter‘ und in Film und Literatur die Wiederkehr der Deutschen als Opfer ein. Es wurde wieder deutlich, dass in der deutschen Gesellschaft das Bedürfnis überwiegt, die eigenen Angehörigen keinesfalls als überzeugte Nationalsozialisten und Täter im NS-Vernichtungskrieg zu sehen“ (S. 23). Letzteres Bedürfnis ist nach Ansicht des Rezensenten allerdings nicht nur psychologisch nachvollziehbar, sondern auch in der eingangs angesprochenen Sachlage begründet, dass wohl die Mehrheit der Wehrmachtsangehörigen eben nicht, wie nahegelegt, „aktiv, […] freiwillig mitgemacht“ (S. 6), sondern in erster Linie der staatsbürgerlichen Wehrpflicht Genüge getan und viele als Frontsoldaten nicht selten unfreiwillig und über längere Zeit Entbehrungen und Lebensgefahr zu erdulden hatten. Aus dieser subjektiv-individuellen Perspektive fällt es eben nicht leicht, die gleichsam erzwungene Teilnahme am Krieg als ein persönlich vorwerfbares schuldhaftes Verhalten zu akzeptieren, zumal mit Sicherheit nicht jeder Wehrmachtsangehörige ein „überzeugter Nationalsozialist“ war und sich so wohl viele ausschließlich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der Institution Wehrmacht in der Kategorie der „Täter im NS-Vernichtungskrieg“ finden. Der heuristische Wert (nicht der moralische) einer solchen Ausweitung des Täterbegriffs erscheint zumindest fragwürdig. Noch diffiziler gestaltet sich die objektive Feststellung der militärischen Qualität der Wehrmacht in ihrer Gesamtheit – welche Kriterien können und sollen für die Beurteilung einer derart komplexen Frage überhaupt herangezogen, wie sollen diese gewichtet werden? Es muss jedenfalls auch als eine unzulässige Verkürzung und durchaus spekulative Interpretation erscheinen, die positiven Urteile westlicher alliierter Heerführer über die deutsche Wehrmacht einzig auf deren Interesse zu reduzieren, die eigenen Leistungen als Sieger durch Lob für den Gegner noch strahlender erscheinen zu lassen. Diese auf Forschungslücken rekurrierenden Einwände mögen ein Teil der Erklärung dafür sein, dass eine breite Öffentlichkeit, auch wenn sie Verwicklungen von einzelnen Einheiten oder Soldaten der Wehrmacht in Verbrechen anerkennt und auch die Bundeswehr aus diesem Grund mittlerweile einer entsprechenden Traditionspflege abgeschworen hat, sich einem generalisierenden Verdikt so hartnäckig verweigert.
Die einzelnen, jeweils mit Fußnoten versehenen Beiträge des Bandes gehen im Detail auf die folgenden Themen ein: Wehrmacht und historische Mythosforschung (Florian J. Schreiner); Franz Halder und die Historical Division (Esther-Julia Howell); Romantisierung von Wehrmacht und Waffen-SS in den USA und ihre „Gurus“ [= „Influencer“ der Szene, meist ohne fachwissenschaftliche Ausbildung, aber mit stupenden Detailkenntnissen; W. A.] (Ronald Smelser, Edward J. Davies II); Wehrmachtsausstellung (Hannes Heer); „Landser“-Hefte (Matias Martinez); Stalingrad in der deutschen Nachkriegsliteratur (Jörg Füllgrabe); Deutscher Kriegsfilm der 1950er Jahre (Marcus Stiglegger); ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ 2013 (Volker Benkert); Panzerei der Wehrmacht (Ralf Raths); „Holt Hartmann vom Himmel“ 1971 (Jens Wehner); Günther Prien (Thomas Riederer); NS-Propaganda und U-Boot-Krieg (Daniel Uziel); Marine-Heftchen 1953 bis 2013 (Gerhard Wiechmann); Entpolitisierung von Militärmusik (Heike Frey); SS-Kavallerie (Henning Pieper); „Gegenerzählungen“ und rechtsextreme Propaganda im Internet (Karsten Wilke); Division „Brandenburg“ und Traditionspolitik (Johannes Kramer). Etwa die Hälfte der Darstellungen ist zusätzlich mit entsprechendem Bildmaterial ausgestattet, Näheres über den Status und die Veröffentlichungen der jeweiligen Autoren kann im Autorenverzeichnis nachgelesen werden. Das übergreifende Personenregister verklammert die lesenswerten Beiträge sinnvoll zu einer Einheit.
Kapfenberg Werner Augustinovic