Reuther, Wolfgang Horst, Wie ich den Nahen Osten erlebte – Erkenntnisse aus Erfahrungen vor Ort. tredition, Hamburg, 2018. 172 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Alle Regionen der Erde haben neben übergeordneten Gemeinsamkeiten auch eine konkrete Gestalt und eine individuelle, mehr und mehr durch den Menschen und seine Entscheidungen immer stärker beeinflusste Geschichte. Dementsprechend entstehen und vergehen Reiche und Staaten, Gesellschaften und Kulturen sowie Kooperationen und Kriege. Der Nahe Osten gilt mit dem Gebiet des silbernen Halbmonds zwar als Wiege der Sesshaftigkeit, des Ackerbaus und wohl auch des Staates, er ist aber in der Gegenwart nicht zu einem Ort dauerhaften Friedens, sondern eher zu einem Bereich ständiger blutiger Auseinandersetzungen zwischen Menschen geworden.

 

Mit ihm beschäftigt sich das vorliegende schlanke Werk des in dem Erzgebirge 1950 geborenen Verfassers, der seit einer Tätigkeit als Praktikant bei der UNESCO 1974 mit unterschiedlichen Wohnorten zwischen Moskau und Amman sowie Costa Rica bis zu seiner Pensionierung in dem Jahre 2012 bei dieser internationalen Organisation wirkte, davon fast fünfzehn Jahre als Direktor. Es gliedert sich nach einem Vorwort und einer einleitenden Betrachtung aus vorwiegend historischer Perspektive in insgesamt acht Abschnitte. Sie betreffen die dem Islam vorausgehende Clangesellschaft, das Verhältnis von Christentum und Islam, Frauen als vorwiegende Opfer, die bescheidene Bedeutung der Ehrlichkeit, Arbeiten in dem Nahen Osten, Hochzeiten, Kultur und Kunst, den Fatalismus und vielfältige Streiflichter zu Jordanien, Palästina, Abu Dhabi, Syrien, Saudi-Arabien, Iran, dem Libanon, Israel und Palästina.

 

Nach zahlreichen unterschiedlichen Einzelerfahrungen berichtet er an dem Ende von einer kühnen Vision und einem kleinen Wunder sowie von dem wissenschaftlich-politischen Modellprojekt SESAME. Sie beweisen für ihn, dass auf realen Interessen von Partnern basierende Visionen, viel guter Wille, gegenseitiger Respekt und große Geduld auch in der Gegenwart noch (kleine) Berge versetzen können, so dass es ihm immer lohnenswert erscheint, solche Wege friedlicher Konfliktlösung auszuloten und die dafür erforderlichen Eigenschaften aufzubringen. Möge die Hoffnung, dass Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Recht zwischenmenschliche Schwierigkeiten und Konflikte vermindern und durch die persönlichen Erfahrungen eines sachkundigen, sich in dem Laufe seines Lebens von einem romantisch verklärten Anhänger einer multikulturellen Gesellschaft zu einem eher nüchternen Betrachter politisch-menschlicher Wirklichkeit wandelnden Zeitgenossen an Gewicht gewinnen können, vielen Lesern von dauerhaftem Vorteil sein.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler