Geschichte und Zukunft des Urheberrechts II, hg. v. Meder, Stephan (= Beiträge zu Grundfragen des Rechts 34). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2020. 262 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.
Wieviel Zukunft für das künftige Recht vermögen gescheite Blicke in der fragilen, der schneckenähnlichen Geschichte des Urheberrechts auszumachen? Bündige Antworten suchte die 18. Tagung des Arbeitskreises Geschichte und Zukunft des Urheberrechts an der Universität Hannover. Der von Manfred Rehbinder 1986 begründete, souverän geleitete, ab 2017 von Stephan Meder, Rechtshistoriker und Zivilist, übernommene Kreis erlauchter Spezialisten widmete sich vielschichtigen, farbigen Themen zwischen dogmatisch-rechtshistorischer Tradition und garstigem Gegenwartsbezug – spannende Streifzüge durch 500 Jahre Nachdruck, Plagiat, Text- und Musikprivilegien, Theater- und Musikaufführungen bis hin zur komplexen Dialektik von Literatur und global-internationalen Übersetzungsrechten (bis hinauf zum epochalen Wiener Tortenstreit).
„Sacher und Widersacher“ betitelte einst Friedrich Torberg den erbitterten Kampf zwischen dem k.u.k. Hofzuckerbäcker Demel und dem Wiener Hotel Sacher um das richtige „Original“-Rezept für die Sacher-Torte mit „Marillenmarmelade“ - einfach oder doppelt „aprikotiert“ - davon handelt die subtile Sacher-Frage! Welches der schmackhaften Produkte trifft den ungeteilten Beifall von „Tante Jolesch“, des Publikums, welche den subtilen Gaumen der Obersten Handels-Richter? (Thomas Rüfner, Frankfurt am Main). Torberg - in Parenthese zum Thema Original-Etikettierung angemerkt -, dessen denkbar „objektivstes“ Zeugnis die zweite Instanz historisch besserwisserisch belegt partout nicht zu goutieren gedachte, gönnte im Habsburger Brüder-Zwist um die bange rein „ideologische“ Frage, ob von zwei Originalen gerade das spätergeborene als das einzige gelten sollte, in schöner Eintracht beiden kulinarischen Konkurrenten den End-Sieg – ihm, der dem „Tafelspitz“ den Vorzug gab, ( nur dem von Sacher!), mundete die Torte in beiderlei Gestalt, mit Marmelade wie ohne sie, subjektiv überhaupt nicht (Friedrich Torberg, Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes, 1961).
Monopole und Privilegien - der Autor, der Drucker, der Verleger vs. den überall waltenden Plagiator und den „verfluchten diebischen Bücher-Nachdrucker“, ewiglich wiederkehrende Themata in den Codices der Carolina, in Kunst und Literatur (David von Mayenburg, Frankfurt am Main; Andreas Deutsch, Heidelberg).
Fünfzig Goldstücke schwer - so das harte Strafgeld beim Nachdruck von Thurneyssers Baseler medizinischem Kräuter-Kompendium, hälftig geteilte Beute zwischen Autor und dem Großherzog der Toskana (Julia Dreyer,Münster) - War das gerechter, ein „Urheber“-Lohn für Arbeit, Mühe, Kosten und Investition? Und dann noch das quälendet antike Problem: Darf ein Winkelmaß aus Blei plagiatorisch zu sehen sein im uralten Kontext zwischen strengem ius strictum und milderer aequitas? Renate Frohne (Trogen) - schaut sie mit hellem „Entsetzen auf Vorführungen in Arenen des alten Roms“ und aufs höhnisch-sardonische Lachen in Theatern – zwischen gelehrten Rabbis und lästernden Narren? Zwei Zitate, alt und wie neu:
„Wenn dein Sohn erwachsen ist/diebisch, verloren, voller Verachtung/dann lass ihn in der Schauspielkunst unterrichten...“ (Menander) -
„Wehe um die beklagenswerte Verblendung der Welt! Wenn es irgend Einsicht in das Recht gäbe, so würden ebenso viele Reichtümer für das Leben der Menschen verwendet werden müssen, als man sie jetzt - in „Circus-Spielen“ - vergeudet“ -- Cassiodor, der weise Senator - Rom in der Endzeit, „es stirbt und es lacht!“
Die befristeten kaiserlichen Privilegien soll in allem Ernste der Reichshofrat schützen: profitable Kölner Volkskalender und andere Bestseller stehen zur Diskussion. Wie weit reichen die hehren kaiserlichen Schutzbriefe? Wie stehen die grundgelehrten 445 Reichshofräte zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert zum Wirkungsbereich der allerhöchsten Schutzbriefe, wie streng sieht man die zwingend erforderliche ,politisch gewichtete Unversehrtheit kaiserlicher Reservatrechte? Schier endlos scheinende Verfahrensdauern, kurz und schmerzhaft jedoch die Entscheide, ohne jegliche Begründung, und der „auctor“ spielt hier so gar keine Rolle, versteht sich (Thomas Gergen, Luxemburg). Zwischen der hochbedeutenden Druck- und Verlagsstadt Köln, ihrem Verbreitungsgebiet bis ins nahe Frankreich, und den grünen Tisch-Höhen der Wiener Reichshofs- und Rats-Gerichtsbarkeit liegen Welten. Gergens fundamentale Forschungen zum Privilegienwesen werden durch eine case study ad calendas weiter bedeutend bereichert.
Mit allerlei wild wuchernden, fälschlich tradierten Legenden um die überaus werthaltigen Rechte an der berühmten neapolitanischen Melodie „funiculì, funiculà“, um Richard Strauß, ums musikalische Urheberrecht und minimalistische Musikzitat, wird resolut aufgeräumt (Stephan Meder, Hannover). Wie weit reicht der postmortale Schutz an beliebten Kompositionen von Lortzing? Nicht weit, weil das leidige Vertragsrecht Zaren und Zimmermännern engere Grenzen zieht (Bernd-Rüdiger Kern, Leipzig).
Vermag sich Rudolf von Ihering im Verlauf seines Jahrzehnte währenden edlen Gelehrtenlebens einen immateriellen Eigentumsschutz dogmatisch-römischrechtlich vorzustellen ? (Christoph-Eric Mecke, Hannover). Man tut sich schwer im 19. Jahrhundert in Elfenbeintürmen - die zahlreichen deutschen Ländergesetze zum nicht gerade unbeachtet oder willkürlich aus dem Boden sprießenden Urheberrecht von Preußen über Sachsen bis Württemberg und Baden bleiben bei der actio iniuriarum außer Betracht.
Das Recht am eigenen Bild, hier: der tote Bismarck in Friedrichsruh – hoher Handelswert, nach heutigem Gelde 400 000 Euro für frühe rotzfreche Paparazzi und sensationsfreudige Presse - gibt dem Strafrecht schwerwiegende Rätsel auf (Fedor Seifert, Berlin). Das Reichsgericht kurz vor dem Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 hat es diesmal unerhört eilig. Die Familie derer von Bismarck wartet voll Ungeduld im Herzogtum Lauenburg, dort wo noch der Sachsenspiegel west. Die inkriminierten Fotografien: beschlagnahmt - auf Jahrzehnte tabu.
Nicht Jhering liefert ein Rüstzeug für das modernere Urheber- und Bildrecht, vielmehr der ebenso große, der wortgewaltige Universal-Gelehrte Josef Kohler. Sein Blick gilt der Rechtsvergleichung. Doch der wissenschaftliche Austausch über das „Autorrecht“ zwischen zwei „Alphatieren“ tendiert auf diesem Forschungsfeld gegen Null.
Nicht ohne Grund mehren im Urheberrecht des 19. Jahrhunderts sich unweigerlich die internationalen Bezüge und Beute-Züge. Bilaterale Verträge überbrücken europäische Grenzen. Nur Großmächte und weite Landstriche im Westen die USA, im Osten Russland machen im wachsenden Netzwerk sich rar. Die Nachdruckfreiheit ist in Nordamerika verfassungsrechtlich abgesichert. Für Jahrhunderte toben battles of copyright; Kämpfe um wohlfeile Freiheit, für und wider den Nachdruck, um Werkschutz und um längere oder kürzere Fristen für Klassiker, Kunst und Musik belasten Gerichte und Gutachter. Die Grenzen – durch Technik und Ökonomie gefordert – verschieben die Koordinaten, sie öffnen sich. Das immaterielle Eigentum, dem Grundeigentum nicht gleichgesetzt, soll rechtlich nicht ewig überdauern, nur kulturelle Dauer im Wechsel zwischen Grundrecht, Gemeinsinn und sozialer Gemeinfreiheit finden.
Es führen weite Wege vom lang postulierten, theoretisch sorgsam errichteten Monopol „Verlags-Eigentum“ bis zur kargen Alimentation der Schriftsteller, der Künstler, der Musiker. Die Theorie von der Werkherrschaft verträgt sich schlecht mit der wachsenden, der bleibenden „Propertisation“ (Hannes Siegrist), der nahrhaften Herrschaft über Werke und Leistungen.
Alexander Nebrigs (Düsseldorf) tiefschürfende und geistreiche Analysen und Thesen – intertextual, medial, topologisch, rhetorisch – zeigen: „Kulturelle Räume“ werden seit dem 19. Jahrhundert mit der Ausformung und Bedeutung des Übersetzungsrechts zu Verwertungsräumen. Eine internationale Rezeptionskultur mit sich ausweitenden multiliteralen, interlingualen „Lizenzräumen“ deutet mit interdisziplinärer, epochenübergreifender Perspektive, mit ihren gleichermaßen weitreichenden Auswirkungen hin auf den Wandel künstlerisch-literarischer Produktion, Reaktion auf veränderte Verhältnisse zwischen originaler und übersetzter, zwischen alter und neuer Literatur.
Es scheint, dass fächer-übergreifende Forschung viele der Desiderata, die Inkonsistenzen von Dogmatik, Normativität und Schutzbereichen zwischen größtmöglicher Werkherrschaft, subtiler Gemeinfreiheit und soziale Gemeinwohl historisch und rechtspolitisch in Brennspiegeln gut auszuleuchten versteht.
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen