Deutsche Diktatorische Rechtsgeschichten? Perspektiven auf die Rechtsgeschichte der DDR. Gedächtnissymposium für Rainer Schröder (1947–2016), hg. v. Haferkamp, Hans-Peter/Thiessen, Jan/Waldhoff, Christian in Verbindung mit der Deutschen Notarrechtlichen Vereinigung e.V. (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, Band 100). Mohr Siebeck Tübingen 2018. XIII, 147 S.

 

Der vorliegende kleine Sammelband präsentiert die auf dem Gedächtnissymposium für den im Jahr 2016 viel zu früh verstorbenen Berliner Rechtshistoriker Rainer Schröder gehaltenen Vorträge zu „bislang wenig reflektierten Fragen der Rechtsvereinheitlichung von Ost und West“, wie es im Vorwort programmatisch formuliert ist.

 

Der von den Herausgebern selbst als provokant fragend bezeichnete, aus der Abkürzung DDR hergeleitete Titel „Deutsche Diktatorische Rechtsgeschichten?“ scheint indes kaum geeignet, dem „Wunsch, mit dem Abstand von mehr als einer Generation seit 1990 die Rechtsgeschichte der DDR und der deutschen Rechtseinheit ohne Anklage und Apologie zu erforschen.“ (Vorwort), gerecht zu werden. Wohl eher ungewollt assoziiert der verwendete Plural einen in der Sache auch gar nicht stattfindenden Vergleich mit der NS-Diktatur. Tatsächlich sind Vergleiche mit dem Recht der „alten“ Bundesrepublik inhaltlich viel näherliegend und in den Beiträgen auch durchaus präsent – das wiederum passt nun aber wirklich nicht zum gewählten Titel. Thematisch werden insbesondere unter dem Aspekt der Rechtsvereinheitlichung nach 1990 neben rechtsdogmatischen auch rechtspolitische, wissenschaftsgeschichtliche und methodische Fragestellungen der Überleitung des Rechts der DDR in bundesdeutsches vs. gesamtdeutsches Recht behandelt.

 

Entsprechend dem Anlass der Tagung sind die Beiträge von zwei Schülern der Person und dem Schaffen Rainer Schröders gewidmet; ansatzweise gilt das auch für die Begrüßungsrede des Dekans der Juristischen Fakultät.

 

Hans-Peter Haferkamp „Rainer Schröder als DDR-Forscher“ (7-12) zeichnet dessen „Berliner Zeit“ (anfangs auch als Zeitzeuge) und insbesondere seine Hinwendung zur Erforschung des Zivilrechts der DDR nach. Bedauernd wird konstatiert, dass das 2007 ausgelaufene Projekt Rainer Schröders „Zivilrechtskultur der DDR“ das Interesse an der Geschichte des Zivilrechts der DDR erlahmen ließ. Ob und inwieweit dafür auch inhaltliche Gründe, wie z. B. die durch das seit 1976 geltende Zivilgesetzbuch der DDR auch normativ erfolgte Begrenzung deren Zivilrechts auf die sogenannten „Bürger-Beziehungen“ zusammenhängt, wird nicht erwogen.

 

Einen sehr persönlichen und in weiten Teilen im besten Sinne anekdotenhaften Blick auf den Forscher, Lehrer und schließlich wohl auch Freund Rainer Schröder gewährt der Beitrag von Jan Thiessen „Ein kurzes Vierteljahrhundert. Erinnerungen an Rainer Schröder in Berlin“ (125-145). Frei von irgendwelchen Beschönigungen erfährt der Leser viel über eine konfliktbereite, ja auch streitbare Persönlichkeit, deren Umgang mit Studenten, Mitarbeitern und Kollegen sowie wissenschaftlichen Interessen und Überzeugungen. Rainer Schröder konnte einerseits wohl hart in der Kritik und im Urteil sein, war aber andererseits auch zur Korrektur ehemals fest gefügter Sichtweisen fähig.

 

Zu den Sachbeiträgen:

Jan Schröder „Juristische Methodenlehre in der DDR“ (13-31) legt eine „theoretische Strukturanalyse“ der Rechtstheorie der DDR vor. Unter der Prämisse, dass anders als in der „bürgerlichen“ Rechtstheorie Recht nicht als Wille der Rechtsgemeinschaft, sondern als Wille der Partei (autoritäres Prinzip) ergänzt durch ein ideologisches Prinzip (objektive Gesetzmäßigkeit gemäß sozialistischer Vorstellungen) verstanden wurde, verifiziert Schröder die Unterschiede zwischen Methodenlehre in der DDR und „bürgerlicher“ Rechtstheorie in Bezug auf Rechtsbegriff, Rechtsquellen, Gesetzesauslegung und Rechtswissenschaft. So überzeugend die Ausführungen im Grundsätzlichen sind, vermögen sie in Einzelfragen nicht immer zu überzeugen. Das betrifft in Sonderheit die Kritik an der Gesetzesauslegung im Mietrecht (24). Aus der grundsätzlichen Instandhaltungspflicht gem. § 101 ZGB lässt sich – anders als Schröder meint – durchaus eine Entschädigungspflicht des Vermieters i. S. v. § 112 III ZGB herleiten. Da sich im Abschnitt „Bauliche Veränderungen durch den Mieter“ keine Regelung für bestehende Mietverhältnisse findet, wird – unabhängig vom (nicht mitgeteilten) Wortlaut der Begründung im Einzelnen – ausgehend vom Grundsatz des § 112 III ZGB (Entschädigungspflicht des Vermieters bei Beendigung des Mietverhältnisses) eine Regelungslücke sei es durch Analogie, die hier naheliegt, oder Rechtsfortbildung durch den Richter ausgefüllt. Im Übrigen ist der Schutz des sozial Schwächeren – auf den Schröder mit Blick auf die Motivation des Gerichts etwas süffisant verweist – gerade im Wohnungsmietrecht wahrlich kein Alleinstellungsmerkmal des Zivilrechts der DDR.

Inga Markovits „Drei Geschichten einer Fakultät. Ostdeutsche Juraprofessoren im Sozialismus“ (33-49) stellt ein langfristig angelegtes und auf breitem Archivmaterial fußendes Buchprojekt vor. Bezugnehmend auf das einem japanischen Filmklassiker zugrundeliegenden Rashomon-Prinzips soll „die Geschichte der HUB-Juristen zwischen 1949 und 1989 aus drei Sichtweisen erzählt werden: erstens die willige Anpassung und Unterwerfung unter die Partei, zweitens die Geschichte des mürrischen Ausweichens, des Widerspruchs, des Sabotierens und Ignorierens von Parteibefehlen und drittens als Geschichte des Verschleißes und Verlustes des Glaubens – an die Partei und oft auch an den Sozialismus – und ihrer Verdrängung durch die Hoffnung auf mehr Recht. Das Erscheinen des Buches ist inzwischen unter dem Titel: Diener zweier Herren: DDR-Juristen zwischen Recht und Macht für April 2020 angekündigt – man darf gespannt sein. Der hier zu würdigende Beitrag ist geprägt von kritischem Verständnis für die diffizile Situation von Rechtswissenschaftlern wie Juristen in der DDR überhaupt und zeichnet einleitend den Balanceakt der HUB-Juristen zwischen Macht und Recht, wie Inga Markovits es nennt, nach. Die Ergebnisse dürften in der Tat, wie es der Rezensent aus eigenem Erleben im Wesentlichen bestätigen kann, über die Sektion Rechtswissenschaft der Humboldt-Universität hinaus verallgemeinerungsfähig sein. Die Widersprüchlichkeit von handwerklichen Notwendigkeiten (u. a. sprachliche Exaktheit, Konfliktbereitschaft und Kompromissbereitschaft) und dem Anspruch der Partei auf Unterwerfung, Gehorsam und Anpassung führten zu einem latenten Spannungsverhältnis zwischen der Partei(führung) und den Juristen, nicht nur in der DDR.

 

Oliver Vossius „Landwirtschaftsanpassung und Sachenrechtsbereinigung. Härtetest für einen Berufsstand“ (51-76) vergleicht Verlauf und soziale Wirkungen der beiden einschlägigen Gesetze. Das Fazit ist eindeutig: Während die Praxis des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes mangels auch nur ansatzweise hinreichender Berücksichtigung sozialer Folgen als misslungen angesehen werden muss, sieht Vossius im Sachenrechtsbereinigungsgesetz eine „rechtspolitische Großtat auf dem Gebiet des Sachenrechts“. Ursächlich für diese diametral entgegengesetzte Wirkung beider Gesetze sind deren unterschiedliche Entstehungszeitpunkte. So fehlte es 1990, anders als beim Erlass des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes 1994 noch an dem Bewusstsein, dass die Überleitungsprobleme nicht so sehr in der Unterschiedlichkeit beider Rechtsordnungen als vielmehr in den Vollzugsdefiziten des Rechtes der DDR begründet waren. Hinzu kam die 1994 erheblich bessere organisatorische Aufstellung des Notarstandes.

 

Ute Schneider „Zweierlei Erbe. Erbrecht in Deutschland. Überlegungen zu einer Verflechtungsgeschichte in Erinnerung an Rainer Schröder“ (77-91) verifiziert an Hand der Dissertation Rainer Schröders über „Abschaffung oder Reform des Erbrechts? Die Begründung einer Entscheidung des BGB-Gesetzgebers im Kontext sozialer, ökonomischer und philosophischer Zeitströmungen“ (1981) und dem 4. Band seiner „Zivilrechtskultur der DDR“ (2008) die vielschichtigen unterschiedlichen Entwicklungslinien des Erbrechts in beiden deutschen Staaten und die praktischen Probleme vor und nach der Wiedervereinigung. Deren Ursachen ergaben sich zunächst aus den unterschiedlichen Eigentumsverhältnissen und Familienrechtsverhältnissen sowie daraus resultierend den divergierenden Interessenlagen sowohl der Erben als auch der obersten Bankbehörden jeweils in Ost und West. Hinzu kamen bis 1989/1990 rechtliche Unzulänglichkeiten bei der praktischen Abwicklung von „deutsch-deutschen“ Erbrechtsfällen.

 

Der Beitrag Moritz Vormbaum analysiert, eingebettet in den Kontext der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten, das „Wirtschaftsstrafrecht in der DDR“ (93-107). Etappenweise werden in chronologischer Abfolge neben normativen Maßnahmen vor allem Veränderungen in der Rechtspraxis thematisiert. Markierten die „Verordnung über die Bestrafung von Verstößen gegen die Wirtschaftsordnung“ (1948) und das „Volkseigentumsschutzgesetz“ (1952) die eher repressive, strafverschärfende Anfangsphase, so trat mit der Neukodifikation des DDR-Strafrechts 1968 eine weniger ideologisch determinierte Sichtweise in den Vordergrund. Eine geplante Verschärfung des Wirtschaftsstrafrechts (1983) kam über das Entwurfsstadium nicht hinaus – im Gegenteil 1989 kam es auf Grund äußerer Umstände zu einer deutlichen Entschärfung des DDR Strafrechts insgesamt.

 

Nachdem inzwischen die Mehrzahl der unter das Gesetz zu Regelung offener Vermögensfragen (Vermögengesetz) fallenden Verfahren abgeschlossen ist, bilanziert Uta Wiedenfels „Offene Vermögensfragen. Anspruch und Wirklichkeit“ (109-123) Voraussetzungen, Verlauf, Schwierigkeiten und Ergebnisse der praktischen Umsetzung dieses im Verlauf von 20 Jahren fast 30-mal geänderten Gesetzes. Sie zieht ein letztlich positives Fazit: Trotz zahlreicher widerstreitender Interessen (z. B. Rückgabe vs. Entschädigung, Eigentümer gegen Nutzer, BGB vs. ZGB, westdeutsches gegen ostdeutsches Rechtsverständnis) hat der Gesetzgeber bei der Wiedergutmachung für rechtsstaatswidrige Eingriffe in Privatvermögen – zumeist die entschädigungslose Entziehung von Grundstücken in der DDR – „einen annehmbaren Kompromiss gefunden.“, für den letztlich auch die Tatsache spricht, dass „keiner richtig zufrieden ist“ – so das salomonische Urteil der Autorin.

 

Abschließend bleibt festzuhalten, dass in den meisten Beiträgen – und insoweit über die eigentliche Rechtsgeschichte der DDR hinausgehend – auch Fragen der Überleitung in bundesdeutsches oder wenn man so will gesamtdeutsches Recht präsent sind.

 

Jatznick                                                                                                                 Bernd Schildt*)

 

*) bernd.schildt@arcor.de