Calic, Marie-Janine, Tito. Der ewige Partisan. Eine Biografie. Beck, München 2020. 442 S., 42 Abb., 3 Kart. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

„Die Marke Tito lebte von propagandistischen Inszenierungen, aber auch von der Ausstrahlung väterlicher Autorität und einfach von einer gewissen Dankbarkeit dafür, was er für Jugoslawien und die Jugoslawen erreicht hatte“ (S. 348). Auf diese simple und doch aussagekräftige Formel lässt sich das Lebenswerk des Josip Broz „Tito“ (1892 – 1980) reduzieren, der über Jahrzehnte in so signifikanter Weise das Schicksal der Völker des südslawischen Raumes gestaltete und dessen Vermächtnis nichtsdestotrotz schon nach wenigen Jahren von einem blutigen Bürgerkrieg fortgespült wurde: Ein Staat Jugoslawien ist auf der aktuellen Karte Europas nicht mehr zu finden.

 

Marie-Janine Calic, Inhaberin des Lehrstuhls für die Geschichte Ost- und Südosteuropas der Ludwig-Maximilians-Universität München mit familiären Wurzeln in Kroatien, untersucht im Rahmen der von Thomas Schlemmer, Andreas Wirsching und Hans Woller betreuten Reihe „Diktatoren des 20. Jahrhunderts“ Leben und Wirken des Autokraten Tito, der, wie im Titel angezeigt, die wesentliche Legitimation seiner Herrschaft aus seiner überragenden Funktion als Führer der jugoslawischen kommunistischen Partisanenbewegung im Zweiten Weltkrieg generierte. Der Partisanenarmee war es gelungen, zwar mit materieller Unterstützung der Alliierten, aber ansonsten weitgehend aus eigener Kraft der überlegenen deutschen Besatzungsmacht Paroli zu bieten, erhebliche militärische Kräfte zu binden und das Land letztendlich zu befreien.

 

Dass Josip Broz einmal eine derart bedeutende Rolle einnehmen würde, stand bei seiner Geburt nicht zu erwarten: Als Sohn armer Kleinbauern in Kumrovec im westlichen Zagorje, das zu den „rückständigsten, ärmsten und am dichtesten besiedelten Landesteilen Kroatiens“ (S. 23) als Teil der ungarischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie gehörte, blieb dem aufgeweckten und begabten Kind jede höhere Schulbildung versagt. Sein Interesse an politischen Fragen erwachte 1909 während seiner Schlosserlehre. Die Walz führte ihn 1912 auch in das „Rote Mannheim“, wo er bereits „regelmäßig an den Versammlungen der sozialistischen Arbeiterjugend teilnahm, treu seine Mitgliedsbeiträge für die sozialistische Jugend bezahlte und sogar die Arbeiterzeitung abonnierte“ (S. 28). 1915 geriet der Feldwebel der Habsburgerarmee in russische Kriegsgefangenschaft, die russische Oktoberrevolution wurde ihm zum „zentrale(n) Erleuchtungs- und Erweckungserlebnis [:] Die Erfahrung radikaler Umbrüche, die die Bolschewisten gewaltsam herbeigeführt hatten, bestärkten ihn in seinen politischen Einstellungen, weiteten seinen Erfahrungshorizont und bekräftigten seinen Glauben an die Kraft des eigenen Handelns“ (S. 35). Russland-Heimkehrer verbreiteten das revolutionäre Gedankengut und gewalttätige Anschläge bald auch im jungen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS), wo sich 1919/1920 die Kommunistische Partei Jugoslawiens (KPJ) als Mitglied der von den russischen Bolschewisten dominierten Dritten Internationale (Komintern) etablierte, aber bereits 1921 verboten wurde. Durch seine Verstrickung in die illegale Parteiarbeit der KPJ (zuletzt als Vorsitzender der einflussreichen Zagreber Ortsgruppe) geriet Josip Broz fortan immer wieder in das Visier der Polizei und der Gerichte; 1928 wurde er zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, das er pragmatisch in autodidaktischer Fortbildung und durch Netzwerken als eine „kommunistische Universität“ nutzte, bevor er 1934 wieder auf freien Fuß kam. „In der Illegalität wuchs in den dreißiger Jahren eine neue revolutionäre Generation heran. […] Aus dieser Kohorte formte sich der Kern der späteren Gefolgschaft Titos, die Führungsriege der Partisanenbewegung und späteren jugoslawischen Partei- und Staatsfunktionäre“ (S. 72f.), darunter der Slowene Edvard Kardelj, der Montenegriner Milovan Ðilas und der Serbe Aleksandar Ranković. Ehe Josip Broz 1934 in Wien in das Zentralkomitee der exilierten KPJ kooptiert wurde, vereinbarte er mit seinen Genossen „einen neuen Nom de guerre. Er wählte einen in seiner Heimatregion verbreiteten Vornamen, der ihm nach eigener Aussage, einfach so eingefallen war‘: Tito“ (S. 75).

 

Unter schwieriger werdenden Rahmenbedingungen – in Europa war der Faschismus zunehmend auf dem Vormarsch, in Jugoslawien „(wiegelten) die Nationalsozialisten die slowenischen und kroatischen Ultrarechten auf und (unterwanderten) die volksdeutschen Organisationen“ (S. 109) – führte Titos Parteikarriere weiter bergan. 1935/1936 diente er in Moskau im Balkan-Sekretariat der Komintern und überstand, anders als andere führende Funktionäre der denunzierten KPJ, anschließend auch die als Großer Terror bekannten stalinistischen Säuberungen unbeschadet. Anfang 1939 berief ihn das Exekutivkomitee der Komintern zum Generalsekretär der KPJ, 1940 bestätigte ein konspirativer Parteitag der KPJ Tito durch Wahl offiziell in dieser Funktion.

 

Am 6. April 1941 eröffnete die deutsche Wehrmacht die Kampfhandlungen gegen Jugoslawien, das am 11. April kapitulierte und als Staat zerschlagen wurde. Mit dem Angriff Hitlers auf die Sowjetunion im Juni 1941 entstand für die jugoslawischen Kommunisten „eine neue Lage: Sie konnten hoffen, dass die Rote Armee den Krieg binnen Wochen gewinnen und dann die jugoslawischen Partisanen mit Waffen unterstützen werde – ein Irrtum, dem auch Tito aufsaß. Überzeugt von seinen wahrscheinlich bei einer Geheimausbildung in Moskau erworbenen militärischen Fähigkeiten ließ er sich von der Partei zum Oberkommandierenden der irregulären Volksbefreiungseinheiten, der Partisanen ernennen“ und am 4. Juli 1941 den allgemeinen Volksaufstand ausrufen (S. 120). Bei der Anwerbung der Freiwilligen gemäß Titos Motto „Tod dem Faschismus – Freiheit für das Volk!“ wurde der Schulterschluss mit möglichst vielen Oppositionellen gesucht. „Tatsächlich stellten die Kommunisten mit dem Volksbefreiungskampf […] alle Weichen für die spätere totalitäre Machtausübung. Denn der Widerstand beruhte auf der zentralen Steuerung durch eine einzige revolutionäre Partei, einer klaren ideologischen Ausrichtung und einem umfassenden gesellschaftspolitischen Geltungsanspruch. […] Warum sollte nicht auch in Jugoslawien die sozialistische Ordnung unmittelbar aus dem Befreiungskampf hervorgehen können?“ (S. 122). Die von ausufernder Gewalt gekennzeichneten Auseinandersetzungen mit der extrem repressiv agierenden deutschen Besatzungsmacht, aber auch mit konkurrierenden einheimischen Interessensgruppen, wie etwa den faschistischen kroatischen Ustascha und den serbischen königstreuen Tschetniks, charakterisiert die Verfasserin anschaulich als „Ausbeutungs-, Rasse- und Bürgerkrieg apokalyptischen Ausmaßes“ (S. 141).

 

Nach der Gründung des Antifaschistischen Rates der Nationalen Befreiung Jugoslawiens (AVNOJ) gab Anfang 1943 der schon jetzt legendäre Tito seine Identität als Kroate Josip Broz öffentlich bekannt, doch alle Versuche der Gegner, seiner habhaft zu werden, scheiterten. Er war es auch, der nach der deutschen Niederlage durch geschicktes Taktieren Jugoslawien von fremden Einflüssen – Großbritannien und die Sowjetunion hatten sich vorab bereits auf eine Teilung ihrer Interessenssphären verständigt – freihalten konnte und die von ihm geführte Volksfront als alleinige Wahlliste bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung durchsetzte, die am 29. November 1945 die Föderative Volksrepublik Jugoslawien ausrief und 1946 eine Verfassung ins Werk setzte, „die dem sowjetischen Vorbild nachempfunden war“ (S. 195). In der Folge führte Tito „ein fast idealtypisches autokratisches Regime, das ganz auf seine Person zugeschnitten war und das noch in der Tradition des Partisanenkampfes stand. Er war niemandem verantwortlich und konnte dabei auf die volle Zustimmung seiner engeren Parteigenossen rechnen. […] Tito berief seine Kandidaten und Kandidatinnen nach eigenem Gutdünken in die Führungspositionen. Die Parteigremien hatten wegen des Krieges bereits seit Jahren nicht mehr getagt, geschweige denn gewählt. […] Viele Entscheidungen fällte Tito im persönlichen Gespräch mit dem zuständigen Minister, beim Mittagessen oder auf der Jagd“ (S. 203).

 

Gelegenheiten, seine herausragenden diplomatischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und die Welt zu überraschen, boten sich dem ehemaligen Partisanenoberhaupt fortan vor allem auf dem Gebiet der Außenpolitik, wo er sich als begnadeter Netzwerker erwies. Im Kontext des Kalten Krieges wagte er den Bruch mit Stalin, ohne im Gegenzug dem Westen – Amerikaner und Briten verschafften Jugoslawien aus ureigenem strategischen Interesse zwischen 1950 und 1955 „internationale  Unterstützung in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar ohne nennenswerte Gegenleistungen“ (S. 237) – irgendwelche politischen Konzessionen zuzugestehen. 1954 beschloss das jugoslawische Parlament die Doktrin der aktiven friedlichen Koexistenz, die zur Grundlage der Bewegung der Blockfreien wurde und das Ziel verfolgte, kleinere Staaten aufzuwerten und internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen als Regelungsinstanz zu stärken. In Vollzug dieser Außenpolitik, die sich vor allem dem Abbau des Nord-Süd-Gefälles verschrieb, entfaltete Tito eine ausgedehnte Reisetätigkeit, häufig in Länder Asiens und Afrikas: „Zwischen 1944 und 1980 absolvierte er 169 Staatsbesuche in 92 Ländern. […] In Jugoslawien empfing er 175 Staatsoberhäupter, 110 Premierminister und hunderte Minister und Chefs politischer Bewegungen“. Er stand insofern im Ruf eines „Weltbürger(s)“, als er „nicht nur weltoffen und –gewandt war, sondern auch eine neue globale Ordnung im Sinn hatte“ (S. 283). Innenpolitisch war ebenfalls von Nutzen, „dass man Beziehungen in alle Richtungen knüpfte“, denn das „versöhnte rivalisierende außenpolitische Orientierungen im Vielvölkerstaat, weil einige Republiken eher mit dem Westen, andere mit der Sowjetunion und die dritten am liebsten mit den islamischen Staaten kooperieren wollten und das auch konnten“ (S. 307).

 

Der in den 1950er-Jahren erklärte und vollzogene „Übergang zur ‚sozialistischen Gesetzlichkeit‘“ (S. 250) brachte die Trennung der Staats- und Regierungsfunktionen von der Partei; die staatlich angetriebene, fortschreitende Industrialisierung bescherte dem Land einen enormen materiellen Aufschwung: „Wer nach dem Krieg geboren wurde, wuchs unter Bedingungen auf, von denen Eltern und Großeltern nicht einmal geträumt hätten: mit Bildungsmöglichkeiten, sicheren Arbeitsplätzen und einem Einkommen, das den allermeisten Menschen einen über das Lebensnotwendige hinausgehenden Konsum erlaubte. […] die Realeinkommen (stiegen) zwischen 1950 und 1965 um rund achtzig Prozent“. Mit der Liberalisierung wurden aber auch „ungewollt Kräfte frei, die das totalitäre System unterhöhlten und aufzuweichen begannen“ (S. 269). Es waren vor allem nationalistische Turbulenzen, die bereits in den 1960er- und zunehmend in den 1970er-Jahren im Einklang mit wirtschaftlichen Strukturproblemen den Bestand des jugoslawischen Staates zu gefährden begannen. Eine 1974 verabschiedete Verfassung brachte zwar in dem Bestreben, für die Zeit nach Tito vorzusorgen, den Prozess, „Jugoslawien in eine Staatsnation mit kollektiver Führung zu transformieren, formal zum Abschluss“ (S. 344), konnte aber den Zerfall des Landes nach Titos Tod 1980 nicht verhindern.

 

Bei aller Sympathie für die unbestreitbaren Leistungen ihres Proponenten verschweigt Marie-Janine Calic aber nicht die Härte, zu der Tito fähig war, wenn es die Umstände und politischen Ziele seiner Meinung nach erforderten, wobei er auch hier ein gewisses Maß zu wahren bemüht gewesen sei. Dies mag ihn wohltuend von Gewaltherrschern vom Schlage Hitlers und Stalins unterscheiden, die in ihrer unberechenbaren Rachsucht keine Grenzen kannten. Bestimmte gerichtliche Institutionen sollten auch in der Volksbefreiungsarmee das Recht wahren: „Seit 1943 sammelte eine Kommission der Partisanen Beweise, um die für Kriegsverbrechen Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. […] Während des Krieges waren so genannte Volksgerichte im Einsatz, die ihre Urteile ohne klare Rechtsgrundlagen im Schnellverfahren fällten und sogleich vollstrecken ließen. Im Mai 1944 wurden Divisions- und Korpsgerichte der Armee sowie ein Höheres Militärgericht beim Obersten Stab geschaffen; Anfang 1945 traten ad hoc eingerichtete Gerichte zum Schutz der Volksehre hinzu“ (S. 184). Dennoch habe gegen Ende der erbitterten blutigen Auseinandersetzungen und wechselseitigen Repression ein „furchtbares Klima der Vergeltung und Abrechnung“ geherrscht, dem die Behörden nicht immer Einhalt gebieten konnten oder wollten. Organe des Nachrichten- und Spionageabwehrdienstes OZNA und des Korps der Volksverteidigung Jugoslawiens KNOJ hatten den Auftrag, „ohne große Skrupel alle zu liquidieren, von denen wir wissen, dass sie Feinde sind, und die morgen gegen uns sein werden“ (S. 186). Für Kriegsgefangene „galt (zwar) Titos Befehl vom Dezember 1944, ‚dass alle […] nach internationalem Recht zu behandeln sind‘ und das willkürliche Töten unverzüglich zu beenden war. Diverse ‚Liquidationslisten‘ legen allerdings nahe, dass die Erschießungen trotzdem weitergingen“, wobei  insgesamt „womöglich bis zu 70000 Menschen […] gewaltsam ums Leben (kamen)“, deren Leichen in zahlreichen Massengräbern verschwanden. Da Jugoslawien dem Londoner Viermächte-Abkommen vom August 1945 beitrat, war das Statut der internationalen Militärgerichtshöfe Rechtsgrundlage für Kriegsverbrecherprozesse im Land, die „die moralische Überlegenheit und somit die Legitimität der kommunistischen Herrschaft gegenüber dem bourgeoisen System demonstrieren (sollten), das die terroristische Besatzungsmacht jahrelang gestützt hatte“, und darüber hinaus als Instrument fungierten, „die politischen Gegner propagandistisch, politisch und physisch auszuschalten“ (S. 206f.). Das größte Aufsehen erregten wohl die Prozesse im Jahr 1946 gegen den Tschetnik-Führer Draža Mihailović (Hinrichtung) und gegen den Zagreber Erzbischof Aloizije Stepinac (16 Jahre Gefängnis, Ende 1951 in den Hausarrest entlassen).

 

Die Angehörigen der etwa eine halbe Million Menschen umfassenden Minderheit der Jugoslawiendeutschen wurden bis auf die wenigen, die in den Reihen der Partisanen gekämpft hatten, als Kollaborateure der deutschen Besatzungsmacht enteignet, in Lagern interniert und zur Auswanderung genötigt, sodass 1961 nur mehr 20000 im Land verblieben. Dass nicht wenige unpolitische volksdeutsche Bauern als jugoslawische Staatsbürger von der deutschen Besatzung und der kollaborierenden Volksgruppenführung drangsaliert, wider ihr Interesse zum Wehrdienst gepresst und damit in einen erheblichen Loyalitätskonflikt gedrängt worden waren, blieb dabei unberücksichtigt. Nach dem Bruch mit Stalin wurden zwischen 1949 und 1956 insgesamt etwa 13000 jugoslawische Anhänger des sowjetischen Diktators auf der Gefangeneninsel Goli Otok festgehalten, wovon um die 400 ums Leben kamen, die meisten aufgrund der unwirtlichen Lebensbedingungen und „etwa zehn bis zwanzig infolge von Gewaltanwendung“ (S. 247). Als Anfang der 1970er-Jahre aus den Reihen der weltweit etwa 230000 jugoslawischen Emigranten terroristische Gruppen vermehrt mit Anschlägen hervortraten, versuchte der jugoslawische Geheimdienst deren Strukturen zu unterwandern, sie gegeneinander auszuspielen und schreckte als ultima ratio auch vor Mord nicht zurück. „Gesichert ist in jedem Fall, dass er [Tito] sich über die Arbeit der Dienste regelmäßig unterrichten ließ“ (S. 341). Ein Denunziant scheint er aber nie gewesen zu sein, denn als er in seiner Moskauer Zeit der Komintern Personalinformationen über Genossen liefern sollte, die womöglich beim sowjetischen Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten NKWD landen würden, verfasste er „Charakterisierungen, die […] phrasenhaft klangen. Während er viel Lob ausstreute oder Nichtwissen vorgab, beschränkte er seine Kritik auf allgemeinmenschliche Schwächen“ (S. 81). Und obwohl andere glaubhafte Quellen exzessive Kriegsgräuel der Partisanen belegen, wie sie von der Gegenseite vice versa wiederum den deutschen Truppen vorgeworfen wurden, konstatierte der deutsche Generaloberst Lothar Rendulic nach dem Krieg, „wir hatten nicht den Eindruck, dass Tito die Grausamkeit der Partisanen förderte“ (S. 140). Die Beispiele legen in der Summe nahe, dass Tito die Anwendung von Gewalt als Mittel zum Zweck auf ihm unvermeidbar erscheinende Erfordernisse des Staatswohls zu beschränken trachtete, daraus aber keine persönliche Befriedigung zog.

 

Neben dem gemäßigten charismatischen Alleinherrscher und verantwortungsbewussten Politiker Tito, der „die jugoslawische Version des amerikanischen Traums vom Tellerwäscher, der Millionär wurde“, verkörperte (S. 278) und dessen Allgegenwart von den Propagandaabteilungen medial geschickt forciert und zum unbeschränkten Personenkult verdichtet wurde, ist immer wieder auch der Mensch Gegenstand der Darstellung Marie-Janine Calics. Dabei begegnet uns ein charmanter geselliger Bonvivant, der die Freuden des Lebens zu schätzen wusste und dem viele Frauenherzen zuflogen. Er war insgesamt dreimal verheiratet (mit der Ukrainerin Pelagija Denisowa Belousowa „Polka“ 1920 – 1936; mit der Deutschen Johanne Elsa König alias Lucie Bauer 1936 – 1937; sowie mit der aus Kroatien gebürtigen Serbin Jovanka Budisavljević 1952 – 1980); von 1938 bis 1941 war Herta Haas, Angehörige der deutschen Minderheit in Slowenien, seine Partnerin, anschließend bis 1946 seine aus dem serbischen Požarevac – im Übrigen auch der Geburtsort des Slobodan Milošević – stammende Sekretärin Davorjanka Paunović „Zdenka“. Auf seinem Refugium, der kroatischen Inselgruppe Brioni, hielt er Hof und umgab sich gerne mit Staatsgästen und Hollywoodgrößen, die sich später „an einen heiteren, geistreichen, menschlichen und zugewandten Gastgeber“ erinnerten (S. 313), der „sehr auf gutes Aussehen bedacht“ gewesen sei (S. 315). Vorzügliche Zigarren und Whisky seien seine Accessoires gewesen, doch „betrunken erlebte man Tito […] nie“ (S. 316). Und wer könnte sich einen Hitler oder Stalin vorstellen, der eigenhändig, wie es Tito tat, für seine Gäste kocht? Interessant ist, dass Tito, für dessen gesamte Bedürfnisse der Staat aufkam, keinerlei Privatvermögen akkumulierte.

 

Heute ist der einstige Staatsführer zwar Gegenstand mancher „Titostalgie“, doch auf der anderen Seite streben weder einer der aktuellen Nachfolgestaaten noch eine relevante politische Bewegung eine Wiederherstellung des jugoslawischen Staates an. Die Persönlichkeit Tito ist damit in ihrer Bedeutung untrennbar an den von ihm geformten jugoslawischen Staat gebunden, wie er von 1945 bis 1991 Bestand hatte. Insofern ist sie ein markantes Beispiel für die gestalterische Kraft der Einzelpersönlichkeit in der Geschichte, deren Werk ohne geeigneten Nachfolger der Vergänglichkeit anheimfällt. Auch wenn sie sich später für den so schmerzlichen Weg des Nationalismus entschieden, haben die Völker des südslawischen Raumes seinem persönlichen Format und seiner klugen gemäßigten sozialistischen Herrschaft jedenfalls internationale Wertschätzung, die weitgehende Unabhängigkeit von äußerer Bevormundung, vier Jahrzehnte Stabilität und Frieden und vor allem den Anschluss an Bildung und materiellen Wohlstand zu verdanken. Für einen Diktator ist das alles in allem keine üble Bilanz. Marie-Janine Calic modelliert seine Biographie mit Einfühlungsvermögen und profunder Sachkenntnis der jugoslawischen Geschichte. Obwohl sie viele Informationen zur allgemeinen politischen Entwicklung des Landes einbringt, bleibt ihre von formalen Fehlern angenehm verschonte, nach Ausgewogenheit strebende empathische Darstellung stets flüssig lesbar und wohl auch für interessierte Laien weitestgehend verständlich.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic