Ziemann, Benjamin, Martin Niemöller – Ein Leben in Opposition. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2019. 637 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Nach dem bisherigen menschlichen Wissen verläuft das Leben auf der Erde grundsätzlich in dem Rahmen vorgegebener Bahnen, innerhalb deren wohl auch schon Tieren Entscheidungen zwischen mehreren Möglichkeiten offenstehen, doch hat anscheinend nur der Mensch ein Bewusstsein entwickelt und kann mit dessen Hilfe über Vergangenheit und Zukunft nachdenken und sich dabei in der Gegenwart bewusst für eine von mehreren längerfristig bedeutsamen Alternativen entscheiden, ohne dass er stets sicher sagen kann, wodurch seine Wahl jeweils bestimmt wird. Trotz dieses Bewusstseins weiß auch der Mensch niemals, wie sein Leben tatsächlich verlaufen und ob er ein noch so entschieden bestimmtes Ziel wirklich erreichen wird. Deswegen enthält selbst der interessanteste Lebenslauf eine Fülle von Überraschungen, über deren Grund und Verlauf wohl nur rückblickend einige Klarheit gewonnen werden kann.

 

Der in Lippstadt 1892 als Sohn eines lutherischen Pfarrers geborene Emil Gustav Friedrich Martin Niemöller entschied sich nach dem Abitur in Elberfeld für eine Offizierslaufbahn bei der Marine, aus der er 1919 wegen Ablehnung der neuen demokratischen Regierung ausschied. Eigentlich wollte er Bauer werden, entschied sich aber aus Mangel an Geldmitteln für den Erwerb eines Hofes für ein Studium der evangelischen Theologie in Münster, um trotz vielfältiger Berührung mit politisch rechtsgerichteten Organisationen und Wahl der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei der anscheinend orientierungslos gewordenen Gesellschaft durch christliche Gedanken wieder Sinn und Ordnung zu vermitteln. Später wandte er sich von dem anfangs begrüßten Nationalsozialismus ab, wurde als persönliche Gefangener Adolf Hitlers in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht und wandte sich nach der Befreiung und scharfer Kritik der Gründung der Bundesrepublik Deutschland pazifistischen Positionen zu, wobei er seine Mitgesellschaft in Freunde und Feinde trennte und durch seine vielfältigen scharfen Stellungnahmen große allgemeine Bekanntheit erlangte.

 

Mit Niemöllers wechselvollem Leben  beschäftigt sich die vorliegende gewichtige Biographie des in Berlin 1964 geborenen, 1983 zu der Landwirtschaft tendierenden, ab 1984 in Berlin an der Freien Universität in Geschichte und Philosophie ausgebildeten, 1996 in Essen mit einer Dissertation über ländliche Kriegserfahrungen in dem südlichen Bayern zwischen 1914 und 1923 promovierten, 2004 in Bochum mit einer Schrift über katholische Kirche und Kirche und Sozialwissenschaften zwischen 1945 und 1975 habilitierten und seit 2005 an dem Department of History der Universität Sheffield tätigen Verfassers. Durch Verwertung der Briefe und Tagebücher gelingt dem Verfasser eine allgemeinere und wohl überzeugendere Einordnung des 1984 gestorbenen, sehr streitbaren Theologen. Danach war Niemöller grundsätzlich in allen verschiedenen Lebenslagen von der jeweiligen Richtigkeit seiner entschiedenen oppositionellen Haltung überzeugt, als ideales Vorbild für den Menschen als solchen taugt er aber wohl trotz mancher persönlichen Krise kaum mehr.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler