Wollin, Sören, Störerhaftung im Immaterialgüter- und Persönlichkeitsrecht. Zustandshaftung analog § 1004 I BGB. Nomos, Baden-Baden 2018. 322 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.

 

Die sog. Störerhaftung dient schon lang als fast traditionelle Rechtsfigur, um den Inhabern absoluter Schutzrechte Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung und gegebenenfalls Schadensersatz zu gewähren. Die diffizile, nach wie vor sehr aktuelle Problematik hat den damit oft geplagten Bundesgerichtshof in den letzten Jahren beschäftigt. Das gilt insbesondere in Zusammenhang mit Host-Providern und den damit verbundenen Geschäftsmodellen wie eBay, Facebook, Dropbox, YouTube und anderen Plattformen, Hosting-Diensten und sozialen Medien.

 

Die gesetzlichen Grundlagen sind spärlich. § 10 TMG nimmt den Hostprovider teilweise von der Haftung aus. Im Unionsrecht bilden die E-Commerce-RL, die Info-Soc-RL und die Enforcement-Rl eine fragmentarische Basis für national umzusetzende Normen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat mit der Störerhaftung die Grundlage geschaffen, um rechtswidrigen Beeinträchtigungen von immateriellen Schutzrechten beizukommen.

 

Die Frage bleibt aber, welche zumutbare präventive oder reaktive Verhaltenspflichten und Prüfpflichten die unterschiedlich agierenden Provider haben, sei es, dass man Kenntnis von der Verletzung erlangt oder sie kenntnisunabhängig verhindern oder gar vorsorgend aufdecken muss. Es entstand in diesem sensiblen neuen Feld eine besonders empfindliche Rechtsunsicherheit, die der Gesetzgeber kaum behoben und welche Judikatur und Lehre in nicht leicht überschaubarer Weise belastet hat. Die Rechtsinhaber beklagen seit langem die unvollkommen ausgebildeten Schutzmechanismen, die sie vor unerlaubter Usurpation ihrer Produkte nicht bewahren und kommerziell induzierte Auswertungen ermöglichen. Provider lamentieren über unzumutbare Prüfauflagen und Haftungsauflagen, Nutzer beschweren sich über rechtlich angeblich nicht annehmbare Einengungen der freien globalen Kommunikationswelten.

 

Aus dem engmaschigen Spinnennetz von auseinander oder gegenläufig strebenden Interessen sollen Propheten der juridischen Gelehrsamkeit und Architekten pragmatischer Rechtsanwendung einen leichteren Fußes begehbaren Königsweg zwischen stachligen Zäunen „proaktiver“ und „reaktiver“ Prüfpflichten erstellen und weisen.

 

Sören Wollins Dissertation (Münster 2017, Betreuung: Mary-Rose McGuire) zeigt einmal mehr, dass auf diesen dunklen Pfaden viele störende Stolpersteine und zweifelhafte Verzweigungen auftreten, so dass sich der einsame Wanderer schnell auf manchen Irrwegen befindet, und dass es der hilfreichen Stoppschilder oder Richtungsschilder ermangelt.

 

Der Verfasser widmet sich sehr prinzipiell der gesetzlichen Basis der Störerhaftung. Die Dogmatik stützt sich entweder primär auf analoge Anwendung von § 1004 BGB oder auf das Deliktsrecht. Dies führt zu komplexen, Prognose von Urteilsergebnissen erschwerenden, aber subtil begründeten Abwägungsentscheidungen. Der Verfasser zielt darauf, die Rechtsfigur in das gesetzliche System neu einzuordnen und sich von einer primär deliktisch operierenden Betrachtung zu distanzieren. Ihm reicht die handliche Formel „Kausalität + Pflichtverletzung“ nicht aus. Und auch die schlichte Frage, dass die Haftung nicht „über Gebühr“ auf Dritte erstreckt werden dürfe, scheint ihm von Grund auf falsch gestellt und selten belastbar und vorhersehbar beantwortet zu werden.

 

Ihm geht es zunächst um den systematischen Kern der außervertraglichen Haftung. Nicht § 823 BGB sondern § 1004 BGB rückt er ins Zentrum. Der Überblick über die schon jahrzehntelange von rasanten technischen und ökonomischen Entwicklungen gebeutelte Rechtsprechung umreißt die dogmatisch und pragmatisch als notwendig erachteten Prüfvoraussetzungen und Haftungsvoraussetzungen.

 

In einem dritten Schritt werden die Grundlage des Unionsrechts und die Ansichten der deliktisch zu begründenden Ansätze aus § 823 BGB kritisch analysiert. Die haftungsbegründende Kausalität führe zu bestimmten kritisch zu beobachtenden Prüfpflichten und Verkehrspflichten. In weiteren Abschnitten kehrt die Arbeit deswegen dann letztlich zur „Wurzel“ der Haftung nach § 1004 BGB zurück.

 

In der zutreffenden Nachfolge Eduard Pickers wird nicht das Verursachungsprinzip zugrundegelegt und werden der Begriff des Störers und der Begriff der Unterlassungspflichten entwickelt. Für die Sondergesetze des Immaterialgüterrechts soll bei funktionaler Betrachtung eine Regelungslücke bestehen. Denn eine Haftung für den Zustand des eigenen Herrschaftsbereichs sei gesetzlich nicht festgelegt. Letztlich wird damit in Form einer Zustandshaftung analog zu § 1004 BGB eine (begrenzte) Verantwortlichkeit, auch für Betreiber von Internetforen, begründet. Allerdings gab es schon seit jeher bei der Frage nach Verantwortung und Fahrlässigkeitsmaßstäben so etwas wie eine Sphärenlehre. Danach ist der Geschäftsherr für schädigendes Ereignisse in seiner „Unternehmenssphäre“ verantwortlich. Als ganz so neu mag man also die Zustandshaftung nicht sehen.

 

Die Kollisionen zwischen der „gestörten“ „Rechtsposition und dem Eigentum oder Besitz an der „störenden“ Sache soll nach Wollin durch „rechtlichen Elementarschutz“ gelöst werden: als so gesehen allein vertretbare Reaktion auf jede „Abweichung der Wirklichkeit von der rechtliche gewollten Güterzuordung“, hier: Verwertungsmonopol (S. 309).

 

Wie sich im Detail daraufhin die allgemeine oder proaktive Prüfpflicht von Hostprovidern darstellt, soll hier nicht en detail referiert werden. Die Entwicklung der Rechtsprechung führte jedenfalls zur Abschaffung der Haftung von WLAN-Betreibern als Störer (§ 8 TMG n. F.). Stattdessen gilt jetzt der Anspruch auf Sperrung (§ 7 TMG). Damit wurde auch dem Unionsrecht Rechnung getragen.

 

Rechtspolitisch votiert der Verfasser für ein unionsweit einheitliches Regime der Verantwortung von „Internet-Intermediären“ - eines der allerdings komplexesten Regelungsprobleme des Immaterialgüterrechts und Internet-Rechts (Ansgar Ohly); zumal sich Probleme des Eigentumsrechts und des Persönlichkeitsrechts mit Art 2, 12, 5 GG überlagern und die Landesrechte der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf sehr unterschiedlichen Rechtstraditionen fußen.

 

Die ungemein umfassende, scharfsinnige und kritische Arbeit analysiert die Defizite von Rechtsprechung, Dogmatik und bisherigen rechtspolitischen Versuchen. Ihr als systemkonform postulierter Ansatz der „Zustandshaftung“ im Immaterialgüterrecht und Persönlichkeitsrecht analog zu § 1004 I BGB hat viele gute Argumente für sich. Ob sie anders gerichteten Perspektiven des Bundesgerichtshofs standhalten, ist offen.

 

Die sorgfältig begründeten Untersuchungsergebnisse sind schließlich in vielschichtigen differenzierten Thesen zusammengefasst (S. 297-311). Sie gipfeln in prinzipieller Kritik an der „Generalermächtigung“ zu gesetzesübersteigernder freier Rechtsschöpfung der Gerichte und den Fragen nach ungelösten Problemen der Prüfpflichten und Verkehrspflichten sowie der Eingrenzung der Haftungen auf Schadensersatz.

 

Dabei müsste ‚mildernd‘ berücksichtigt werden, dass die deutsche Rechtsprechung, nicht zuletzt durch Gesetzeslücken und weithin fehlende normative Fürsorge eines leicht behindert wirkenden, am liebsten nachhinkenden Gesetzgebers, sich einer Art Case Law bedienen muss, ähnlich den Methoden und Entwicklungen im anglo-amerikanischen Rechtskreis, um den eiligen, profitablen Entwicklungen massenhafter Provider-Geschäfte zu entsprechen und geschwind auftauchende Fallgruppen namentlich im Internetfeld zu lösen. Damit versucht die Judikatur immerhin auf ihre mühsame, fast pointilistisch sich vorsichtig vortastende Art und Weise, die Lücken des Systems auf der Basis von Traditionslinien des deutschen Privatrechts auszufüllen und die noch weniger sichtbaren Grenzposten von Sorgfaltspflichten, Prüfpflichten und Haftungspflichten einigermaßen verkehrsgerecht und sachgerecht zu konturieren.

 

Düsseldorf                                                     Albrecht Götz von Olenhusen