Willoweit, Dietmar/Schlinker, Steffen, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands. Ein Studienbuch, mit einer Zeittafel und einem Kartenanhang, 8. Aufl. Beck, München 2019. XXXVII, 497 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Unter dem 14. Juli 1989 schrieb Dietmar Willoweit fast 53 Jahre nach seiner Geburt in Memel sein Vorwort zu der ersten Auflage seiner deutschen Verfassungsgeschichte, die losgelöst von besonderen Verfassungsurkunden die Geschichte der rechtlichen Regeln und Strukturen, die das (deutsche) Gemeinwesen und damit die politische Ordnung prägen, von ihren Anfängen bis zu der damaligen Gegenwart erfassen sollte. Damals bereitete sich die aus der Besatzungszone der Sowjetunion 1949 geschaffene Deutsche Demokratische Republik auf die Feier des vierzigjährigen Bestehens ihrer Existenz vor. Weltweit ahnte wohl niemand an diesem Tage, dass dieser sozialistische Industriestaat innerhalb der Frist eines guten Jahres in der kapitalistisch geprägten Bundesrepublik Deutschland aufgegangen sein würde, wenn die Machthaber nur einmal die freie Wahl zwischen der Planwirtschaft des Mangels und dem Überfluss des freien Marktes zulassen würden, so sehr vielleicht auch einige wenige dies noch in ihren stillen Kämmerlein hofften oder gebetsmühlenartig ohne Wirklichkeitsbezug forderten.
Gewidmet ist dementsprechend die achte Auflage des ungewöhnlichen und erfolgreichen Verfassungsgeschichtswerks den mutigen Menschen, die in Leipzig knapp dreißig Jahre vor dem jetzigen Vorwort des Juni 2019 an dem 9. Oktober 1989 der sozialistischen Staatsmacht die Stirne boten. Zwar mussten auch sie wie viele ihrer unter der menschenfeindlichen Politik des Sozialismus unterdrückten und geschädigten Mitmenschen mit Tod und Verfolgung rechnen. Aber die Zeiten hatten sich gegenüber Stalin infolge der Gedanken von Sicherheit und Zusammenarbeit unter Michael Gorbatschow doch schon so stark geändert, dass die Staatsmacht keinen Schuss mehr auf Demonstranten wagte und fast durch ein Versprechen und Versehen die zum angeblichen Schutz vor der aggressiven Demokratie errichtete Mauer für jedermann öffnete.
Die in diesem denkwürdigen Augenblick deutscher Geschichte erschienene Verfassungsgeschichte konnte dementsprechend die entsprechende politische Entwicklung nicht wirklich anstoßen. Sie hat sie aber seitdem stetig in Erinnerung gerufen und unterstützt. Dementsprechend konnten 1992, 1997, 2001, 2005, 2009 und 2013 weitere Auflagen vorgelegt werden, die zwar nicht die Gesamtheit des Rechtes verfolgen und umfassen, aber doch die grundlegende politische Ordnung des deutschen Gemeinwesens.
Die vorliegende, erneut aktualisierte Auflage nimmt nach ihrem kurzen Vorwort darüber hinaus in mehrfacher Hinsicht neuere Forschungsergebnisse auf. Dies betrifft vor allem den Begriff des Rechtes, das Lehenswesen des Mittelalters und den Polizeibegriff des 19. Jahrhunderts, der in der monarchischen Regierungspraxis des 19. Jahrhunderts noch stark von der „guten Policey“ beeinflusst war und den Übergang zu der egalisierenden jüngeren Sozialpolitik und Förderungspolitik vorbereitete. Einen eigenen Abschnitt erhielt die Geschichte der deutschen Einheit in Europa.
Gegliedert ist das umfangreiche Gesamtwerk nach einer Einleitung über Gegenstand und Methode in vier Teile. Sie betreffen den Übergang von dem älteren Personenverbandsstaat der Franken an dem Ende der Spätantike zu der Reichsorganisation bis zu dem Interregnum, die Reichsordnung und Staatsbildung von dem Interregnum bis zu dem Untergang des Heiligen römischen Reiches, den monarchischen Verfassungsstaat und die Zeit zwischen Demokratie und Diktatur, in der die Weimarer Republik, der nationalsozialistische Führerstaat, die Teilung Deutschlands und die Entstehung der Nachfolgestaaten sowie die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik bis 1990 behandelt werden. Möge es beiden Verfassern gemeinsam gelingen, das grundlegende Werk erfolgreich und zu dem Wohle aller interessierten Leser in die in Einzelheiten nicht vorhersehbare europäische Zukunft fortzuschreiben.
Innsbruck Gerhard Köbler