Whistleblower – Enthüllungen zu Krebsmittel-Panschereien und illegalen Waffengeschäften. Whistleblower-Preis 2017. Mit einem Geleitwort v. Prantl, Heribert, hg. v. Deiseroth, Dieter/Graßl, Hartmut. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2018. 227 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.
„Whistleblower sind keine Verräter, sie leiden aber oft am schlechten Ruf, den Denunzianten und Wichtigtuer haben.“ Heribert Prantl plädiert damit in seinem Geleitwort für ein Whistleblower-Gesetz und für die praktizierte Verantwortung des Widerstands im Alltag. Dieter Deiseroth, bis 2015 Richter am Bundesverwaltungsgericht, und Hartmut Graßl, Hamburger Meteorologe und Klimaforscher, beide auch in der Jury zur Vergabe des Whistleblower-Preises, haben diese Dokumentation herausgegeben. In Teil A enthält sie die Begründungen des Preises 2017 an Martin Powell, Maria-Elisabeth Klein und Carl Dündar. Teil B dokumentiert die Preisverleihung vom 1. 12. 2017 in Kassel, Teil C bietet die Dokumente zu den Aktionen der Preisträger und deren Folgen. In Teil D werden Konsequenzen für die staatliche Apothekenaufsicht genannt. Es schließen sich Forderungen zur Beseitigung der Strafbarkeit des Verrates illegaler Staatsgeheimnisse und Initiativen zur Schutzverbesserung für Whistleblower an (E, F).
Martin Porwoll und Maria-Elisabeth Klein sind Preisträger 2017, weil sie 2016 den Verdacht enthüllten über illegale Panschereien mit Antikrebsmitteln in Bottrop (Nordrhein-Westfalen). Can Dündar veröffentlichte 2015 und danach ein illegales sog. Staatsgeheimnis: der Geheimdienst der Türkei, die türkische Armee und damit die türkische Regierung lieferten 2014 Waffen nach Syrien an terroristische Dschihadisten (s. die eindrucksvolle und besonders lesenswerte Laudatio von Michael Lüders auf Dündar, S. 69 ff.).
Wie schwer sich das geltende Recht, besonders das Arbeitsrecht mit Whistleblowern seit jeher tut, wird u. a. aus Dieter Deiseroths Äußerungen und Publikationn deutlich. Seine Ausführungen verweisen auch auf die prominenten historischen und aktuellen Präzedenzien. (Carl von Ossietzky, Werner Pätsch, Manning, Snowden u. a.). Im Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch musste erst der Gerichtshof der Europäischen Union die deutschen Gerichte bis hinauf zu dem Bundesarbeitsgericht über Meinungsfreiheit nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention belehren. Für Deiseroth sind die arbeitsgerichtlichen Urteile, die fristlose Kündigungen durch mutmaßliche Verbrecher legalisierten, eine Verkehrung des Rechts (S. 25). Er verlangt einen effektiven Schutz für die Meinungsfreiheit der Beschäftigten über Art. 17 GG hinaus gegen Nachteile und fordert einen gesetzlichen Schutz durch einen Anspruch auf Wiedergutmachung und Schadensersatz, durch ethikfreundliche Infrastrukturen und einen Code of Conduct sowie Ombudspersonen. Seine Ansichten orientieren sich an dem Kriterium des Gemeinwohls (serving the public interest). Die Aufdeckung von Missständen durch Alarmschlagen darf nicht, wie bisher oft, diskriminiert werden.
Can Dündar, vormals Chefredakteur in der Türkei, lebt heute im deutschen Exil – seit 2016. Er gilt nach Gülen als Staatsfeind Nr. 2 für das Regime in der Türkei.
Der Dokumentenband weist auch hin auf politische, gesetzliche und sprachliche Wandlungen des Begriffs, auf die gesellschaftliche Bedeutung von Zivilcourage, der Aufdeckung von Regelverletzungen und Fehlentwicklungen. Dazu zählen auch die immer noch wirksamen „Gesetze des Stillschweigens“. Das zeigte schon der erst von dem Gerichtshof der Europäischen Union korrigierte Fall der Tierärztin, deren Hinweise auf die Seuche BSE mit einer fristlosen Kündigung „belohnt“ wurden.
Mit dem Abdruck eines Beitrags Dieter Deiseroths über die Strafbarkeitsprobleme auch in der deutschen Vergangenheit (S. 166 ff.) werden die politischen und rechtspolitischen Lehren, die in der Vergangenheit bis hin zu dem Deutschen Bundestag und zu deutschen Regierungen nicht gezogen worden sind, erneut ins Gedächtnis gerufen. Es ist der Hinweis notwendig, dass der Informantenschutz in Deutschland weit schlechter entwickelt ist als in einer Reihe von anderen europäischen Staaten (G. Baisch, S.188).
Die Defizite der Gesetzgebung und Rechtsprechung sind hier einmal mehr offenkundig und belegt dokumentiert (S. 197ff.). Die Mehrheiten waren im Deutschen Bundestag bisher offenbar immer so geartet, dass sich Initiativen für eine Verbesserung nicht beschließen ließen.
Der Sammelband enthält ferner Optionen für den Gesetzgeber und für Reformschritte (S. 216ff.). Sie tangieren Änderungen des Strafrechts, des Zivilrechts, des Medienrechts, des Datenschutzrechts, des Arbeitsrechts und Verfassungsrechts und deren effektive Normierung und Anwendung. Es geht aber auch darum, dass die schon bestehenden Mittel und die organisatorischen Möglichkeiten von Aufsichtsinstanzen versagen oder bewusst oder auch fahrlässig nicht genutzt werden.
Der Band ist daher nicht nur eine sehr eindrucksvolle Dokumentation in Sache Whistleblowing. Er könnte auch ein Vademecum sein für Parlamente, Gerichte, Unternehmen und Behörden für eine andere Perspektive auf ein bis heute immer wichtiger gewordenes Phänomen. Es ist auch wesentlicher Teil des Medienrechts, seiner Geschichte, seiner gegenwärtigen Theorie und Praxis. Dem Verlag ist zu danken, dass er seit Jahren die Dokumente über frühere Preisverleihungen, die Preisträger und vor allem die betroffenen Bereiche und Skandale veröffentlicht (u. a. Fall Nikitin, BSE, Daniel Ellsberg, Gentechnik, Altenpflege, Steuerfahndung, Nuklear-Industrie, Sicherheitspolitik).
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen