Wegmaier, Alexander, Europäer sein und Bayern bleiben. Die Idee Europa und die bayerische Europapolitik 1945-1979 (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 171). Beck, München 2018. 574 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 9 (2019) 81. IT

 

Der ursprünglich wohl freie und abgesehen von Geschlecht, Alter und seiner individuellen Genetik irgendwie auch gleiche Mensch hat in dem Laufe seiner Geschichte organisatorische Vorrichtungen zu der möglicherweise besseren Gestaltung seines Lebens und Überlebens auf der Erde geschaffen. Zu ihnen gehören wohl Sprache, sesshafte Siedlung, Stadt und Schrift, die bereits in den aus dem Altertum überlieferten Quellen sichtbar werden. Dabei hat sich anscheinend aus der Stadt der Staat entwickelt, wie er in der Gegenwart zwischen Bayern und Europa entgegentritt, von denen Bayern seit 1871 kraft relativ freier Entscheidung des Monarchen kein souveräner Staat mehr und Europa auf Grund relativ freier Entscheidungen der souveränen Staaten seines Gebiets noch kein souveräner Staat ist, obwohl die allgemeine Globalisierung zumindest technisch und wirtschaftlich ständig umfassendere Einheiten nahelegt.

 

Mit einem Teilaspekt dieser allgemeinen Entwicklung beschäftigt sich die vorliegende, von Ferdinand Kramer betreute und von der Fakultät für Geschichte und Kunstwissenschaften der Universität München angenommene, für die Drucklegung geringfügig überarbeitete und erweiterte Dissertation des 1983 geborenen, in München in Geschichte, Germanistik und katholischer Theologie ausgebildeten Verfassers, nach deren Vorwort mehr als sechzig Jahre die Idee einer immer engeren Union der Völker Europas unumkehrbar erschien, in den Krisen um Staatschulden, Migration und Brexit aber Bruchstellen der europäischen Zusammenarbeit offen zu Tage traten. Gegliedert ist die Untersuchung nach einer Einleitung über Untersuchungsgegenstand und Fragestellung, Zeit, Raum und Europabegriff, Forschungslage sowie Vorgehen und Quellenlage in vier Sachkapitel. Sie betreffen Europa im Diskurs Bayerns in der Form der Wechselwirkungen zwischen europäischer Idee und politischem Handeln, Europa in der Gesellschaft als Reichweite der Europaidee, Europa in der Politik der Staatsregierung Bayerns und abschließend den Vergleich Bayerns mit anderen Ländern und Regionen.

 

Nach dem ansprechenden Ergebnis des Verfassers stand man in Bayern den oben entwickelten Integrationsplänen nach dem zweiten Weltkrieg mehrheitlich wohlwollend gegenüber, was er an der breiten Unterstützung vor allem christsozialer, föderaler und katholischer Kreise abliest, auch wenn nicht jeder Betroffene alle Folgen der komplexen Prozesse für sich unmittelbar absehen konnte. Von diesen Pionieren ließen sich wohl nicht zuletzt durch den wirtschaftlichen Erfolg des gemeinsamen Binnenmarkts auch die zunächst eher zurückhaltenden Kräfte beeinflussen. Die Regierung und das Parlament Bayerns versuchten demgegenüber nach Möglichkeit ihre Bedeutung in dem Rahmen eines allmählich entstehenden europäischen Mehrebenensystems zu wahren, von dem sich derzeit nicht absehen lässt, ob der Einzelne nicht doch stärker durch von ihm abgelehnte Entscheidungen anderer beschränkt und bevormundet als befreit und erleichtert wird, weil eine offene Bilanzierung der Gewinne und Verluste des Menschen durch die Politik nach Ausweis der bisherigen Geschichte nicht wirklich gesichert ist.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler