Semelin, Jacques, Das Überleben von Juden in Frankreich 1940-1944, mit einem Vorwort von Klarsfeld, Serge, aus dem Französischen von Wittek, Susanne. Wallstein, Göttingen 2018. 364 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Nach der Einführung des vorliegenden Werkes wurden insgesamt 80000 Juden aus Frankreich Opfer des von Adolf Hitler als Reichskanzler des Deutschen Reiches beschlossenen Völkermords, das sind 25 Prozent der Ende 1940 als jüdisch definierten Bevölkerung des Landes (1942 41951, 1943 17069, erste sechs Monate 1944 16025). Das bedeutet nach dem Verfasser umgekehrt, dass ungefähr 220000 Juden in Frankreich bei Ende des zweiten Weltkriegs noch lebten, obwohl eine antisemitische Regierung an der Macht und das Land (seit November 1942) vollständig von dem Deutschen Reich Adolf Hitlers besetzt war. Die Frage nach den Gründen hierfür will das vorliegende Werk auf der Grundlage langjähriger Forschungen beantworten.

 

Sein in Le Plessis-Robinson 1951 geborener, in Paris in Psychopathologie ausgebildeter und in Geschichte promovierter, 1989 mit einer Untersuchung über den zivilen Widerstand in Europa gegen Hitler zwischen 1939 und 1943 hervortretender, danach ab 1999 an dem Institut für politische Studien lehrender und inzwischen emeritierter Verfasser will das Rätsel der 75 Prozent in der gekürzten und aktualisierten Fassung seiner 2013 erschienenen Untersuchung  über Persécutions et entraides dans la France occupée lösen. Er gliedert seine Darstellung nach Vorbemerkung und Einführung in vier Teile. Diese betreffen die räumliche Verteilung der jüdischen Bevölkerung, das angesichts der Verfolgung Sich durchschlagen zwecks Überlebens, das Sich angesichts der Verhaftungen unter die Bevölkerung mischen und schließlich Hilfen für die Verfolgten.

 

In seinem Fazit der bedeutsamen Untersuchung gelangt er für das Überleben von Juden in Frankreich während der nationalsozialistischen Herrschaft zu einem multifaktoriellen Ansatz. Danach haben Juden selbst alltägliche Strategien und Tricks entwickelt, um in Frankreich ihrer Verfolgung und Verhaftung zu entgehen und gleichzeitig von der Unterstützung der Bevölkerung profitiert, um nicht in ein fatales Räderwerk zu geraten. Faktoren für ein beeindruckendes Gelingen waren dabei nach dem Verfasser unter anderem die Ausdehnung des Territoriums in dem Vergleich zu Belgien und den Niederlanden, die Relativität des Antisemitismus, das Verhältnis von Hilfe und Risiko, der zivile Rettungswiderstand, der rund 90 Prozent der französischen Juden und fast 60 Prozent der ausländischen Juden in Frankreich überleben ließ, Kultur, Struktur, die Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschen und der Vichy-Regierung sowie letztlich auch das Glück.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler