Schönegger, Josef, Innsbruck im historischen Kartenbild von den Anfängen bis 1904 (= Veröffentlichungen des Innsbrucker Stadtarchivs N. F. 60 = Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 21). Wagner, Innsbruck 2019. 412 S., 62 Abb., 86 Kart. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Kaum hatte der Mensch die Sprache als Mittel der Verständigung mit seinen Mitmenschen entwickelt, begann er auch, seine Gedanken in Bildern darzustellen, aus denen sich anschließend durch allmähliche Abstraktion die Schrift ergab, die letztlich zu den Buchstaben führte, mit deren Hilfe sich in der Gegenwart jede Vorstellung in rund zwei Dutzend Zeichen festhalten lässt. Eine auf dieser Grundlage mögliche Technik der geistigen Weltbeherrschung wurde auf diesem mühsamen Weg auch die Landvermessung, auf deren Grundlage die Landkarte als technisches Abbild der natürlichen Weltwirklichkeit gelingen konnte. In zahlreichen kleineren und größeren Schritten entstand dabei die Kartographie, die jeden beliebigen Ausschnitt der Erdoberfläche zeichnerisch in seiner jeweiligen aktuellen Gestalt festhalten und zwischenmenschlich einigermaßen dauerhaft vermitteln kann.
Mit einem Teilaspekt dieses allmählichen technischen Höhenflugs beschäftigt sich die vorliegende Veröffentlichung des in Lienz in Osttirol 1943 geborenen, in Innsbruck in Mathematik, Physik, Astronomie und Psychologie ausgebildeten, erste Erfahrungen mit Computern bereits in den 1960-er Jahren bei der Erstellung kybernetischer Verhaltensmodelle an dem Rechner der Universität Innsbruck sammelnden, in seiner folgenden beruflichen Tätigkeit bei dem Amt der Tiroler Landesregierung maßgeblich an der Programmierung von Anwendungen in dem Bereich der Computerkartographie (tiris) beteiligten, in Zusammenhang mit der Präsentation historischer Kartenwerke Alttirols in dem Internet 2015 mit wegweisenden Studien über historische Karten und Pläne beginnenden Verfassers. Ursprüngliches Ziel war dabei nach dem kurzen, mit Karl Schlögel die Identifizierung von Karten zu den aufregendsten intellektuellen Sportarten zählenden und als unabweisbaren analytischen Schritt für eine sinnvolle Interpretation dieser Dokumente betrachtenden Vorworts der Versuch, die Einordnung aller bekannten gezeichneten und gedruckten Pläne Innsbrucks in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit ihren gegenseitigen Abhängigkeiten einschließlich möglicher Fehler zu erforschen. Hieraus ist binnen weniger Jahre eine grundlegende vorbildliche Dokumentation für jeden Liebhaber der Stadt geworden.
Gegliedert ist diese bewundernswerte Leistung nach einem einführenden Überblick über die Landvermessung als Grundlage der Planerstellung mit einer graphischen Darstellung des Verhältnisses der zwischen 1700 und 1800 allein gegebenen gezeichneten Karten (Manuskriptkarten) zu den 1800 einsetzenden und allmählich vor allem seit dem franziszeischen Kataster von 1856 die Überhand gewinnenden gedruckten Karten in fünf Abschnitte. Sie betreffen genealogische Studien ab dem Grundplan Joseph Duiles von 1802, in einem Zeitraffer die Pläne von 1860 bis zu der Eingemeindung Wiltens und Pradls von 1904, das Verhältnis von Plan und Wirklichkeit in den 16 Bereichen Altstadt – Neustadt – Innrain – Marktplatz, Innsbruck – Herzog-Otto-Ufer – Rennweg – Hofgarten, Klosterkaserne – Untere Sillgasse, Kohlstatt – Dreiheiligen, Sill von der Pradler Brücke bis zu der Friedensbrücke, Angerzell bzw. Museumstraße und Umgebung, Pradl und Reichenau, Amras mit Amraser See, Schloss Ambras und Tummelplatz, Wilten mit Mentlberg und Sieglanger, Sankt Nikolaus – Mariahilf – Hötting – Höttinger Au – Kranebitten, Mühlau, Saggen, Arzl, Vill mit Viller See und Igls, Eisenbahn und Gemeindegrenzen in dem 19. Jahrhundert und die 19 Zeichner von 1712 bis 1904 sowie ihre Karten und Pläne. Eine Zeittafel, Verzeichnisse der Karten, Pläne und Panoramen, Abkürzungen, Abbildungen, Quellen und Literatur sowie ein Glossar von Adjunkt über Arche, Cotten und Pitschen bis Verklausung und eine kurze Danksagung vor allem auch an Lukas Morscher als treibende Kraft runden die durch Mittel aus der Erbschaft nach der 2014 verstorbenen Gemeinderätin Marianne Barcal in eindrucksvoller Gestaltung mögliche vorzügliche, Innsbrucks jüngere räumliche Entwicklungsgeschichte der Welt kartographisch eröffnende Werk überzeugend ab.
Innsbruck Gerhard Köbler