Scheidung ohne Schuld? Genese und Auswirkungen der Eherechtsreform 1977, hg. v. Löhnig, Martin (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 110). Mohr Siebeck, Tübingen 2019. VIII, 241 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Wohl nach der Entstehung von Sprache und Recht ist von den Menschen in dem Laufe ihrer Entwicklung auch die Einrichtung der Ehe geschaffen worden, wobei die frühen Anfänge nicht genau bekannt sind. Ob es einigermaßen zeitgleich mit der besonderen Eheschließung auch bereits eine eigene Ehescheidung gegeben hat, ist unklar, aber angesichts des Gewichts der damit verbundenen Entscheidungen vielleicht nicht besonders wahrscheinlich. Spätestens die Hochkulturen des Altertums kannten aber neben einer tatsächlichen Trennung von Ehegatten auch schon eine rechtliche Trennung von Eheleuten, die dann jedoch von der hauptsächlich durch Männer bestimmten christlichen Kirche nach Möglichkeit bekämpft wurde.

 

Gegen die kirchliche Gestaltung des Eherechts wandte sich nach vielen Jahrhunderten die Aufklärung, die in der Ehe kein religiöses Sakrament sah, sondern lediglich ein menschliches Rechtsgeschäft und deswegen bereits in dem 19. Jahrhundert die weltliche Eheschließung neben die kirchliche Eheschließung setzte und die Möglichkeit der Ehescheidung vorsah, wenn dafür auch besondere Gründe und besondere förmliche Verfahren erforderlich waren. Mit dem in dem Zuge der weiteren Entwicklung an dem 14. Juni 1976 verkündeten ersten Gesetz zu der Reform des Eherechts und Familienrechts beschäftigt sich der vorliegende Sammelband, der auf eine Tagung an der Universität Regensburg in dem Herbst 2018 mit zehn Teilnehmern aus Göttingen, Hannover, Regensburg, Hamburg, Bayreuth, München, Berlin und Wien zurückgeht. Er enthält nach einem kurzen Vorwort und einer Einleitung des Herausgebers zu dem behandelten Gesetz aus transdisziplinärer Perspektive neun Studien, die mit einem Überblick über die Bundesrepublik Deutschland zwischen 1969 und 1982 beginnen.

 

Sie betreffen nacheinander Kontroversem um das Familienrecht und die Ordnung der westdeutschen Gesellschaft zwischen 1975 und 1985, die Scheidungsrechtsreform von 1977 in dem Horizont des Diskurses über die evangelische Trauung, die Diskussion in der Bundestagsfraktion der SPD zwischen 1969 und 1972, die Entwicklung des Zerrüttungsprinzips in dem deutsch-deutschen Vergleich, die Wirkung auf das Ehescheidungsrecht in Österreich, die Bedeutung für die Zuteilung des Sorgerechts nach Trennung und Scheidung, die nacheheliche Namensführung und die Scheidungsrechtsreform in der Gerichtspraxis. Ökonomisch-sozialer Hintergrund der Rechtsänderung dürfte in erster Linie die zunehmende, durch die medikamentöse Empfängnisverhütung gestützte Gleichberechtigung der Geschlechter und die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen infolge vermehrter außerhäuslicher Berufstätigkeit gewesen sein. Dementsprechend wird die Eherechtsreform 1977 in ihrem Ergebnis wohl überwiegend als geglückt angesehen, weil ihre Anhänger ihre Ziele weitgehend erreicht und die Gegner sich mit der Streitigkeiten verringernden Entwicklung als letztlich unvermeidlich abgefunden haben.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler