Richter, Steffen, Infrastruktur. Ein Schlüsselkonzept der Moderne und die deutsche Literatur 1848-1914. Matthes & Seitz, Berlin 2018. 453 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 9 (2019) 54. IT
Die aus den Elementen infra, unterhalb, und structura, ordentliche Zusammenfügung, des Lateinischen des Altertums gebildete Infrastruktur erscheint nach dem gegenwärtigen Wissen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in dem Französischen für einen Unterbau, für alle Erdarbeiten zu einer Urbarmachung von Böden und danach für den durch Erdarbeiten geschaffenen Unterbau der den möglichst ebenen Verlauf der Gleise erfordernden Eisenbahnen und in dem Englischen für die der Mobilisierung und Verfügbarkeit der Heere dienenden Einrichtungen. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zählen zu Infrastruktur so unterschiedliche Gegebenheiten wie Kommunikationseinrichtungen, Häfen, Flughäfen, Pipelines, Rampen, Fahrzeuge und Geldmittel sowie Personen. Dementsprechend ist Infrastruktur die Gesamtheit aller langlebigen Gegebenheiten, die den erfolgreichen Lauf einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft fördern.
Mit Annäherungen an die Infrastruktur an dem Beispiel des Flughafens von Libidissi in einem Roman Georg Kleins aus dem Jahre 1998 beginnt die 2017 vorgelegte Schrift des ab 1989 in Germanistik, Geschichte und französischer Philologie in Potsdam, Essen und Brüssel ausgebildeten, nach einer Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft in Essen 2002 mit einer Dissertation über Trauerarbeit der Moderne – Autorenpoetiken in der Gegenwartsliteratur Frankreichs, Deutschlands und Italiens promovierten und 2017 für neuere deutsche Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft habilitierten Verfassers. Sein Werk gliedert sich in zwei Teile. Sie betreffen die Kulturtheorie und Kulturgeschichte der Infrastruktur einerseits und die Literatur und Infrastruktur andererseits.
Detailliert werden dabei in dem ersten Teil behandelt Begriff und Systematik der Infrastruktur bei Ernst Jünger, Arnold Gehlen und Ernst Forsthoff, die Globalität als Fluchtpunkt moderner Infrastrukturen bei Alexander von Humboldt, die Hygiene bei Rudolf Virchow und Max Pettenkofer, der Verkehr bei Friedrich List, Ernst Kapp, Friedrich Ratzel, Arthur Dix und Carl Schmitt, die Bürokratie bei Alfred Weber, Max Weber, Wilhelm Heinrich Riehl und Ernst Kapp sowie das Geld bei Karl Marx und Georg Simmel. Danach widmet sich der zweite Teil der Einschreibung von Infrastruktur in literarische Texten, der Geographie in dem Kolonialroman, der Urbanität in dem Berlinroman, dem Geld und den Finanzen in dem Kaufmannsroman und Börsenroman sowie der Technik in dem Zukunftsroman. Insgesamt ermittelt der Verfasser auf dieser vielfältigen Grundlage Infrastrukturen als Agenten der Globalisierung als Mitverursacher der „immunologischen Katastrophe“ und als habitualisierte Vorsorgesysteme als Mittel ihrer Eindämmung und ist nach der Danksagung vor allem daran interessiert, was die Romane, die sein Sohn Anton einst liest, von den sich weiter entwickelnden Transportmedien, Informationsmedien und Kommunikationswerken eines Tages halten werden.
Innsbruck Gerhard Köbler