Plüss, Martina, Der Mordparagraph in der NS-Zeit. Zusammenhang von Normtextänderung, Tätertypenlehre und Rechtspraxis – und ihr Bezug zu schweizerischen Strafrechtsdebatten (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 97). Mohr Siebeck, Tübingen 2018. XIX, 339 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Die Tötung eines Menschen durch einen anderen Menschen könnte, ohne dass sich wegen des Fehlens von Quellen dafür ein Beweis führen lassen dürfte, schon in die Anfänge der Menschheitsgeschichte zurückführen und begegnet auch in der Gegenwart weltweit sehr häufig, obgleich dem Menschen auf Grund seines Verstands auch eine weitgehende Vermeidung möglich sein sollte. Schon die ersten schriftlichen Quellen lassen Versuche in diese Richtung erkennen, weil die Tötung eines Menschen gewichtige negative Folgen nach sich zieht. Dessenungeachtet ist selbst in dem deutschsprachigen Raum die Diskussion um die bestmögliche Lösung bisher nicht zu einem endgültigen Ergebnis gelangt.

 

Mit einem Teilaspekt dieses Sachgegenstands befasst sich die vorliegende, von Thomas Henne angeregte und betreute Dissertation der 1986 geborenen, in Zürich und Luzern ausgebildeten 2014 bis 2015 als wissenschaftliche Assistentin an dem Lehrstuhl für Rechtsgeschichte, juristische Zeitgeschichte und Rechtstheorie an der Universität Zürich und seit 2016 in einer Rechtsanwaltskanzlei in Zug tätigen Verfasserin. Ihre Arbeit gliedert sich nach einer Einleitung in Ausgangspunkt, Forschungsinteresse, zentrale Thesen, Abgrenzung, Literaturlage und Quellenlage sowie Gang der Untersuchung in vier Sachkapitel. Sie betreffen die historische Einführung und Tätertypologie seit dem 19. Jahrhundert, die Schweizer Strafrechtsdebatten zwischen 1891 und 1941 in Zusammenhang mit dem Schweizer Strafgesetzbuch von 1937, die Normtextentwicklung in dem Mordparagraphen des Strafgesetzbuchs des Deutschen Reiches zwischen 1871 und 1945 mit besonderer Berücksichtigung des Jahres 1941 und die Folgen dieser Normtextänderung von 1941, die nach ihren Erkenntnissen kaum Auswirkungen auf die Rechtspraxis hatte.

 

Insgesamt gelangt die Verfasserin zu dem überzeugenden Ergebnis, dass der Wortlaut des Mordparagraphen in seiner Ausgestaltung mit Mordmerkmalen auf Diskussionen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zurückgeht und nach ihren Recherchen sich die erste Nennung der Mordmerkmale bei dem in Graz 1876 geborenen, in Wien und Graz ausgebildeten, 1903 nach Freiburg im Üchtland, 1907 nach Prag, 1915 nach Wien und 1934 nach Berlin berufenen, in Wien nach einem Schlaganfall 1944 verstorbenen Wenzeslaus Graf von Gleispach, von dem die Verfasserin in ihrem Literaturverzeichnis einen Vortrag  über Entwicklungsrichtungen im Kriegsstrafrecht an der Münchener Tagung der Strafrechtsgruppe und der Arbeitsgemeinschaft für internationales  und ausländisches Strafrecht von 1940 aufgenommen hat, findet, wobei sie allerdings nicht klären konnte, ob und wie sehr in der Zusammenarbeit zwischen Gleispach und seinem Kollegen Stoos ein Einfluss des einen auf den anderen oder umgekehrt stattfand. Darüber hinaus kann sie aber darauf besonders hinweisen, dass sich nicht einmal die damaligen Juristen darin einig waren, ob es einen Tätertyp des Mörders gab, so dass sie sich an dem Ende der Frage eines Kommentators anschließt, was an Vorschriften wirklich faschistisch ist, wenn niemand den faschistischen Ursprung bemerken kann, ohne auf ihr Entstehungsdatum zu schielen.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler