Nichtgeborene Kinder des Liberalismus? - Zivilgesetzgebung im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit, hg. v. Löhnig, Martin/Wagner, Stephan. Mohr Siebeck, Tübingen 2018. VIII, 373 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Der Liberalismus als die in dem 18. Jahrhundert vor allem auf der Grundlage von Adam Smiths (1723-1790) Werk Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776) ausgebildete Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftslehre erhofft sich von der freien Entfaltung des Einzelnen die bestmögliche Entwicklung der Gesellschaft und strebt Teilhabe des Einzelnen an dem Staat an, dem, getrennt von der Gesellschaft, aber auch der Schutz des Einzelnen aufgegeben ist. Ihm dient die bereits von Charles Montesquieu in seinem 1748 anonym veröffentlichten Hauptwerk De l’esprit des lois (Vom Geist der Gesetze) zu dem Schutz der persönlichen Freiheit des Einzelnen gegen ein Gewaltmonopol auf Grund des englischen Vorbilds die Lehre von der Dreiteilung der Staatsgewalt in Ausführung (Exekutive), Gesetzgebung (Legislative) und Rechtsprechung (Judikative), die eine Abgrenzung der Rechte des Staates und der Bürger in Gesetzen und sogar Kodifikationen als ratsam erscheinen lässt. Deswegen legen Preußen, Frankreich und Österreich bald umfangreiche Gesetzbücher vor, denen das Deutsche Reich und die Schweiz an dem Ende des 19. Jahrhunderts folgen.
Mit den bislang auch innerhalb der jeweiligen nationalen Rechtsgeschichtswissenschaft wenig untersuchten Zivilgesetzbüchern und Zivilgesetzbuchentwürfen der etwas späteren Zeit zwischen den beiden Weltkriegen befassten sich in Regensburg in dem Oktober 2016 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Mitteleuropa. Die Ergebnisse der gemeinsamen rechtsgeschichtlichen und rechtsvergleichenden Arbeit stellt der vorliegende Sammelband der Allgemeinheit zu weiterer Verfügung. Insgesamt folgen dabei einem Grußwort der zuständigen Staatsministerin und einer Einführung Stephan Wagners zehn Referate.
Sie betreffen nacheinander das Zivilrecht der ersten deutschen Demokratie, das Zivilgesetzbuch der Schweiz und das Bürgerliche Gesetzbuch des Deutschen Reiches in dem Vergleich zwischen 1896 und 1933, das Zivilrecht und die Zivilrechtswissenschaft Österreichs, den Durchbruch des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs in Ungarn, die tschechoslowakische Rekodifizierung des bürgerlichen Rechtes, Polens Codification of the civil law in Interwar Poland, die Codification of Civil Law in the Yugoslav State between the two World Wars, ein nichtgeborenes Kind des rumänischen Zivilrechts Rumäniens, Estlands Zivilrechtskodifikation als ein fast geborenes Kind des Konservatismus und das Zivilgesetzbuch Lettlands von dem 28. Januar 1937. Abschließend stellt Martin Löhnig auf dieser Grundlage einige Charakteristika einer – durch die nationalsozialistische Politik Adolf Hitlers - jäh beendeten mitteleuropäischen Kodifikationsepoche zusammen, die sich durch hohe Qualität auszeichnet, aber verschiedentlich über einen Entwurf nicht hinausgelangt. Ein Verzeichnis der vierzehn aus Rumänien, Serbien, Ungarn, Estland, Göttingen, Regensburg, Polen, Tschechien, Finnland und Österreich kommenden Verfasser rundet den interessanten, weiterführenden Band ab, während ein wünschenswertes Sachverzeichnis fehlt.
Innsbruck Gerhard Köbler